Demonstration für Abtreibungsrechte am 15. Mai in Washington.

Foto: Washington

Die Organisation Aid Access bietet in den USA telemedizinische Unterstützung für ungewollt Schwangere an. Die NGO organisiert die nötigen Medikamente für einen Schwangerschaftsabbruch zu Hause und begleitet die Frauen dabei. Wie schon Women on Web und Women on Waves wurde auch Aid Access von der niederländischen Ärztin und Aktivistin Rebecca Gomperts gegründet. Die NGOs unterstützen Frauen mithilfe medizinischer Fachleute bei einer sicheren Abtreibung. Women on Waves fungiert dabei als mobile Klinik, die Frauen in internationale Gewässer mitnimmt, um dort die Abbrüche legal nach niederländischem Recht durchzuführen. Christie Pitney ist bei Aid Access digital und telefonisch für Frauen da.

STANDARD: Aus welchen US-Bundesstaaten kommen derzeit besonders viele Anfragen?

Pitney: Die meisten kommen aus Texas, wo ein sehr strenges Abtreibungsgesetz gilt – gleich danach kommen die meisten Anfragen aus Kalifornien.

STANDARD: Warum? In Kalifornien ist Abtreibung doch sogar bis zur 26. Schwangerschaftswoche legal?

Pitney: Ja, das bedeutet aber nicht, dass Abtreibung auch zugänglich ist. Ich habe selbst einmal in Kalifornien in einer Gegend gelebt, in der die nächste Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs kaum öffentlich zu erreichen und sehr weit weg war. Die meisten Menschen in Kalifornien leben aber genau in solchen Gegenden. Sehr viele, die eine Abtreibung wollen, haben mehrere Kinder, arbeiten sechs oder sieben Tage die Woche – da ist es sehr schwer, viele Stunden für den Weg zu einer Abtreibungsklinik aufzuwenden.

STANDARD: Wie haben sich die Anfragen an Aid Access in den letzten Wochen und Monaten entwickelt?

Pitney: Die Anfragen steigen stark an. Ich bin vor gut einem Jahr zum Team gestoßen, in dieser Zeit sind es deutlich mehr geworden. Als die Verschärfungen in Texas im Herbst 2021 kamen, gab es einen signifikanten Anstieg, und als die Nachricht kam, dass das Grundsatzurteil Roe v. Wade wahrscheinlich gänzlich aufgehoben wird, explodierten die Anfragen richtiggehend.

STANDARD: Aber bis es tatsächlich zu Verboten kommen wird, ist ja doch noch Zeit.

Pitney: Wir organisieren die Medikamente auch für Frauen, die nicht schwanger sind. Man kann sie also auch bekommen, um sie im Notfall parat zu haben.

Christie Pitney ist Hebamme und Krankenpflegerin mit einem Schwerpunkt auf reproduktiver Gesundheit.
Foto: privat

STANDARD: Waren Sie von den jüngsten Entwicklungen überrascht?

Pitney: Viele haben das schon erwartet, doch dieses Ausmaß hat letztlich schon viele schockiert. Man hat eher damit gerechnet, dass eine Aufhebung nur bis zur 15. Schwangerschaftswoche gelten wird. Jene, die für die Aufhebung des Grundgesetzes für ein Recht auf Abtreibung sind, würden das nicht als restriktive Maßnahme bezeichnen, sondern dass die Regelung von Abtreibungen nun lediglich in die Verantwortung der Bundesstaaten gelegt wird. Aber letztendlich wird es zu sehr vielen Verboten führen.

STANDARD: Was brauchen ungewollt Schwangere?

Pitney: In einer idealen Welt? Die Möglichkeit, zu wählen zwischen einem telemedizinischen Anbieter oder einer Klinik in ihrer Nähe, die sie gut erreichen können. Aber jetzt steuern wir in eine Zukunft, in der wohl die Hälfte der Bundesstaaten gar keinen Zugang zu Abtreibungen mehr bietet. Ich empfehle ungewollt Schwangeren, sich nach lokalen Organisationen zu erkundigen. Wir haben in jedem Bundesstaat Einrichtungen vor Ort, die mit uns kooperieren.

STANDARD: Was können nun jene tun, die gegen die Aufhebung von Roe v. Wade sind?

Pitney: Letztlich müssen alle, die ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen nicht wollen, ihr Augenmerk auf Wahlen legen. Denn es ist nicht nur die Präsidentschaftswahl, die uns in diese Situation gebracht hat, es ist auch jede Midterm-Wahl, jede Wahl auf kommunaler Ebene. Auch kommunale Politik kann vieles verändern. (Beate Hausbichler, 17.5.2022)