Deniz Yücel trat beim PEN zurück, ...

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... Josef Haslinger springt ein.

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Er wolle nicht mehr "Präsident dieser Bratwurstbude" sein, erklärte Deniz Yücel am Freitag auf der Jahrestagung des deutschen PEN in Gotha. Mit der Wortgewalt, deretwegen er einst geholt worden war, warf er den Posten als Präsident des deutschen Zweigs der Schriftstellervereinigung hin. Mit Begriffen wie "Spießer und Wichtigtuer Ü70" oder "Möchtegernliteraten" legte Yücel seither nach. Der Verein sei "alt ja, ehrwürdig weniger", sagte er der Süddeutschen.

Mehr Publicity und Sichtbarkeit hatten sich die Mitglieder bei Yücels Wahl vergangenen Oktober erwartet. Mit ihm trat kein schöngeistiger Dichter den Posten an, sondern ein Journalist, der sich gerne einmischt: 1973 als Sohn von Gastarbeitern in Deutschland geboren, schreibt der Linke seit 2015 für die konservative Welt, von 2017 bis 2018 saß er wegen angeblicher Terrorpropaganda in der Türkei in Untersuchungshaft. Er sei, was der zuletzt nicht mehr als intellektuelle und moralische Instanz wahrgenommene Verein brauche, jubelten viele. Mit Erfolg intensivierte Yücel etwa das für ihn teils zu selbstgefällig betriebene Programm "Writers in exile" für weltweit verfolgte Autorinnen und Autoren. Yücel schwebte der PEN als eine "moderne NGO" vor.

Knarzen im Gebälk

Aber bald knarzte es im Gebälk. Als Yücel im Ukraine-Krieg eine Sperre des Luftraums durch die Nato forderte, wurde das von Kolleginnen und Kollegen als Kompetenzüberschreitung gewertet, der Konflikt brach auf: Yücels Rücktritt wurde gefordert, ihm zudem Mobbing vorgeworfen.

Wie gespalten der PEN ist, zeigt die Tagung vom Wochenende. Von fast 800 registrierten Mitgliedern gaben beim Abwahlantrag gegen Yücel 161 eine gültige Stimme ab. Mit zwei Stimmen Überhang wurde er im Amt bestätigt, wichtige Vertraute wurden indes abgewählt. So wollte er nicht weitermachen. Von Kraftausdrücken und ausgestreckten Mittelfingern in der Sitzung wird berichtet. Der PEN habe sich selbst desavouiert, so der Tenor.

Perpetuieren statt Erneuerung

Es muss sich etwas ändern, nur wie? Auf Twitter echauffiert Yücel sich über Mitglieder wie einen "emeritierten Professor für Astrochemie, Winzer am Rolandsbogen, Verfasser mehrerer Bücher über den Rolandsbogen im eigenen (...) Verlag" oder solche, die Rundschreiben mit ihrem Honorarkonsul-Briefkopf versähen. Neue PEN-Mitglieder müssen von zwei bestehenden vorgeschlagen werden. So perpetuiert sich ein System. Junge Stimmen, die Yücel vom Beitritt zum Verein überzeugen konnte, wollen lieber doch nicht mehr dazu.

Bis Herbst soll ein neuer Präsident gewählt sein, interimistisch übernimmt das Amt der Österreicher Josef Haslinger, der dem PEN bereits zwischen den Jahren 2013 und 2017 vorstand. Er will einen "Neustart" vorbereiten. Dass auch er Yücels Rücktritt gefordert hat, reut ihn nun. (Michael Wurmitzer, 16.5.2022)