Boris Johnson stand in Belfast das Wasser bis zum Hals.

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Für die neueste Wendung seiner Nordirland-Politik erhält Boris Johnson Prügel von allen Seiten. Bei seinem längst erwarteten Besuch in Belfast gaben die Vertreter der politischen Parteien am Montag dem britischen Premierminister keine Rückendeckung für seinen Plan, den mit der EU vereinbarten Sonderstatus der Provinz einseitig zu verändern. In London warnten Parteifreunde vor einem neuen Nordirland-Gesetz, das Außenministerin Elizabeth Truss an diesem Dienstag dem Kabinett vorlegen will. Sogar aus Washington hieß es, die konservative Brexit-Regierung solle in der hochsensiblen Angelegenheit "kein Theater" machen.

Bei der Regionalwahl zu Monatsbeginn hatte Sinn Féin (SF) 29 Prozent und die meisten Mandate gewonnen. Erstmals ist damit eine irisch-nationalistische Partei stärkste politische Kraft im Belfaster Parlament. Daraus leitet sich der Anspruch der regionalen SF-Chefin Michelle O’Neill auf das Amt der Ministerpräsidentin ab. Eine Konkordanzregierung mit einem Vertreter der größten unionistischen, London-treuen Gruppierung kann aber nur gebildet werden, wenn die von der Wählerschaft abgestrafte DUP (21 Prozent) einen Vertreter als Vize-Premier benennt. Dies verweigert DUP-Chef Jeffrey Donaldson, mehr noch: Seine Fraktion stimmte nicht einmal der Wahl eines Parlamentspräsidenten zu, womit das gesamte politische System Nordirlands wieder einmal brachliegt.

"Gehen Sie an die Arbeit!"

An diese Verweigerer gerichtet schrieb der Premierminister in einem Artikel für den "Belfast Telegraph", die Wählerschaft habe ihren Politikern einen klaren Auftrag erteilt: "Konzentrieren Sie sich auf die alltäglichen Probleme, Schulen, Krankenhäuser, Lebenshaltungskosten." Daraus ergebe sich die Forderung, die politischen Institutionen mit Leben zu erfüllen: "Gehen Sie zurück an die Arbeit."

Als Zugeständnis an die unionistische Seite aber reden Johnson und seine Nordirland-Chefunterhändlerin Truss seit Wochen einer Neuformulierung des sogenannten Protokolls das Wort. Diese Vereinbarung gehört zum völkerrechtlich verbindlichen EU-Austrittsvertrag des Königreichs. Es soll die Landgrenze zur Republik im Süden offen halten, aber gleichzeitig die Integrität des Binnenmarktes gewährleisten. Deshalb wurden zwischen Nordirland und der britischen Hauptinsel Zoll- und Einfuhrkontrollen fällig, was die Unionisten verärgert. Vize-Kommissionspräsident Maroš Šefčovič hatte nach monatelangen Verhandlungen vergangenen Oktober erhebliche Verbesserungen der bis dahin eher kleinlich gehandhabten Vorschriften zugesagt, was in London als unzureichend gilt. Allerdings pocht Brüssel darauf, eine Neuverhandlung des Protokolls komme nicht infrage.

Irische Lobby nicht begeistert

Was Johnson und Truss nun vorhaben, sei "rücksichtslos", schäumt O’Neill. Truss' irischer Kollege Simon Coveney warnte in klarer Sprache vor britischen Alleingängen. Für Nachdenken in London scheint aber vor allem Conor Burns gesorgt zu haben. Der enge Johnson-Vertraute kehrte mit leeren Händen von einer Reise nach Washington zurück, wo die Entwicklung in Nordirland von der mächtigen irischen Lobby im Kongress, aber auch vom irischstämmigen Präsidenten Joe Biden genauestens verfolgt wird. Man wünsche "kein Theater", wurde Burns signalisiert, wie er der "Times" anvertraute.

In der Downing Street beäugen Johnsons Berater mit hohem Misstrauen die Vorgehensweise von Truss. Die Außenministerin hatte im Herbst das Nordirland-Thema vom völlig überforderten Lord David Frost übernommen mit dem expliziten Auftrag, die Gespräche mit Šefčovič in freundlicherer Atmosphäre und zielorientiert zu führen. Stattdessen nutzt die ehrgeizige Politikerin die sperrige Angelegenheit, um sich beim harten rechten Flügel der regierenden Torys einzuschmeicheln. Es gebe da "unterschiedliche Motivationen" im Regierungsviertel Westminster, seufzt der liberale Tory Julian Smith.

Nach Erfolg gefeuert

Nach einer langen Reihe inkompetenter und uninteressierter Konservativer im Amt des Nordirland-Ministers war es Smith im Februar 2020 gelungen, die Provinzpolitiker wieder am Belfaster Regierungstisch zu versammeln. Kurz darauf wurde er von Johnson gefeuert. Jetzt wirbt der Ex-Minister für rasche Verhandlungen, wie er dem Club der Auslandspresse FPA am Montag in London berichtete.

Dazu müssten sich beide Seiten bewegen, so Smiths Appell an die eigene Regierung, aber auch an Brüssel: "Der Frieden in Nordirland ist auf immer neuen Kompromissen aufgebaut." Truss' Gesetz als Grundlage einer einseitigen Neufassung des Protokolls erteilte der enge Vertraute der früheren Premierministerin Theresa May eine Absage: "Ich halte es nicht für hilfreich, ein Gesetz als Drohung einzusetzen." (Sebastian Borger aus London, 16.5.2022)