Frau Zoya ist die erste von fünf neu eingestellten "Back-Omas" in der Vollpension. Österreichweit haben derzeit mehr als 1.700 Geflüchtete aus der Ukraine einen Job und dürfen bereits arbeiten.
Foto: Regine Hendrich

Der Duft von frischgebackenem Kuchen liegt in der Luft, wenn man die Stiegen ins Souterrainlokal in der Schleifmühlgasse 16 hinuntersteigt. Seit Anfang Mai stehen für die Gäste der Vollpension im vierten Bezirk neben Buchteln von der Oma zwei weitere Mehlspeisen zur Auswahl: Apfelkuchen nach ukrainischer Art und Rogaliki mit Topfenfüllung. Gebacken werden die neuen Spezialitäten von Frau Zoya, wie Zoya Nechai und die anderen "Back-Omas" im Wiener Generationencafé angesprochen werden.

Bevor der russische Angriffskrieg begann, lebte die 62-Jährige in einer kleinen Wohnung im Zentrum von Kiew. Ende Februar denkt Nechai noch nicht daran, aus ihrer Heimat zu fliehen. "Sieben Tage habe ich mich in meiner Wohnung eingeschlossen, während draußen die Sirenen heulten. Mein Bunker war mein Badezimmer", erzählt sie. Ihre Tochter habe sie sofort angerufen und gebeten, Kiew zu verlassen. "Aber ich konnte nicht einfach aufgeben. Ich dachte, wenn alle gehen, wer bleibt dann, um vor Ort zu helfen?" Als sie ihre Hilfe anbieten möchte, teilt man ihr mit, dass Frauen, Kinder und Senioren zu ihrer eigenen Sicherheit das Land verlassen sollten.

An Tag acht packt sie ihre Sachen und macht sich mit nur einem Koffer in der Hand auf den Weg zur österreichischen Botschaft. Nechais Tochter kam bereits vor mehr als 20 Jahren nach Vorarlberg, um am Landeskonservatorium zu studieren, und lebt derzeit mit ihrem Mann und ihren Kindern in Wien. Sie habe im Vorfeld mit der Botschaft Rücksprache gehalten, um ihre Mutter auf dem Weg nach Österreich zu unterstützen. Eine Nacht verbringt Nechai in einem Bunker, bevor sie gemeinsam mit vier anderen in einem Auto die Ukraine verlässt. "Die Fahrt war anstrengend und gefährlich. Ich war vier Tage lang unterwegs, bis ich in Wien angekommen bin", erzählt sie.

Anfang Mai waren laut Innenministerium mehr als 64.000 Menschen aus der Ukraine in Österreich registriert. Die Geflüchteten erhalten wegen des Krieges temporär vollen Zugang zum Arbeitsmarkt. Um hier zu arbeiten, benötigen sie eine blaue Aufenthaltskarte und eine Beschäftigungsbewilligung. Derzeit sind 1.952 Bewilligungen von ukrainischen Flüchtlingen beantragt worden, davon sind 1.707 bereits aufrecht, heißt es vom Arbeitsmarktservice auf APA-Anfrage. Zahlreiche heimische Unternehmen bieten außerdem explizit Stellen für ukrainische Flüchtlinge an. Viele Geflüchtete haben Jobs in der Gastronomie und Hotellerie, in landwirtschaftlichen und Gartenberufen sowie im Handel gefunden.

Im Café Vollpension stehen seit kurzem auch Apfelkuchen nach ukrainischer Art und Rogaliki auf der Speisekarte.
Foto: Regine Hendrich

"Back-Omas" gesucht

Das vor zehn Jahren als Pop-up gestartete Kaffeehausprojekt besticht seit 2015 in Wien-Wieden mit kitschiger Inneneinrichtung und nostalgischem Flair. Die Gäste der Vollpension kommen nicht nur für Kaffee und hausgemachten Kuchen, sondern für einen Besuch in "Omas öffentlichem Wohnzimmer" – oder ihrer Terrasse, der der erweiterte Schanigarten mit den schnörkeligen Gartenstühlen und geblümten Sitzpolstern wohl nachempfunden ist. Mitte März schreibt das Café vier Stellen für geflüchtete Seniorinnen und Senioren aus der Ukraine aus. Innerhalb von drei Tagen melden sich mehr als 30 Personen.

"Als mir klar wurde, dass ich nicht nur für ein paar Wochen hierbleiben werde, wollte ich einen Job finden und wieder mehr unter Leute kommen", sagt Nechai. Ende März kam die 62-Jährige als eine der Ersten zum Vorstellungsgespräch. Im April erhält sie die blaue Aufenthaltskarte, eine Woche später kommt die Beschäftigungsbewilligung, die die Vollpension als Arbeitgeberin für sie beantragt hat. "Ganz so einfach ist es mit dem Arbeiten für Geflüchtete aber nicht", erklärt Geschäftsführerin Julia Krenmayr. All jene, die die Grundversorgung in Höhe von 215 Euro beziehen, dürfen in Österreich nur bis zu 110 Euro monatlich dazuverdienen. Das entspreche maximal zehn Stunden im Monat. In der Vollpension sei es zwar möglich, nur wenige Stunden pro Monat zu arbeiten, in vielen anderen Bereichen seien Geflüchtete dadurch aber systematisch vom Erwerbsleben ausgeschlossen, kritisiert Krenmayr.

Gemeinsam mit Frau Zoya sind nun fünf ukrainischstämmige "Back-Omas" in der Vollpension beschäftigt – und es sind noch weitere Stellen geplant. "Jedes Bewerbungsgespräch war herzzerreißend, und wir haben gemerkt, dass schon eine Einladung vielen Hoffnung schenkt. Deshalb versuchen wir, so viele Menschen wie möglich einzustellen", sagt die Geschäftsführerin.

Die Gäste der Vollpension kommen nicht nur für Kaffee und hausgemachten Kuchen, sondern für einen Besuch in "Omas öffentlichem Wohnzimmer".
Foto: Regine Hendrich

Lebendige Straßen

An ihrem ersten Arbeitstag war Frau Zoya besonders nervös, erzählt sie. "Ich habe das erste Mal seit langer Zeit gebacken – und dann auch noch für jemand anderen als meine Freunde oder Familie." In der Ukraine hat die 62-Jährige Architektur und Geschichte studiert. Eine Verbindung zu ihrem früheren Beruf als Reiseführerin sieht sie auch in ihrer aktuellen Tätigkeit: "Meine Mutter hat oft Rogaliki gebacken. In jedem Rezept steckt also viel Geschichte. Ich freue mich, das den Gästen hier zeigen zu können."

Wenn sie heute in Wien durch die Straßen geht, bewundert sie nicht nur die Architektur der Stadt. "Ich sehe wieder Menschen auf den Straßen und in Cafés. Leute, die lachen und feiern. Ich sehe wieder Leben", sagt Nechai. "Gleichzeitig sind meine Gedanken immer bei der Ukraine, wo Menschen für genau diese Freiheit kämpfen." (Anika Dang, 17.5.2022)