Tschechiens Premier Petr Fiala (links) empfing Österreichs Kanzler Karl Nehammer in Prag.

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Wenige Wochen vor Beginn des tschechischen EU-Ratsvorsitzes (ab 1. Juli) hat Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Dienstag Prag besucht. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz wiesen Nehammer und der tschechische Premierminister Petr Fiala insbesondere auf die gemeinsamen Interessen beider Länder hin. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sagte Nehammer unter anderem, ein Embargo gegen russische Gaslieferungen käme derzeit weder für Österreich noch für Tschechien infrage. Österreich bezieht etwa 80 Prozent seines Gases aus Russland, in Tschechien sind es laut Fiala 90 Prozent.

Ganz anders ist die Lage bei der Einfuhr von russischem Erdöl: Ein europaweites Embargo hätte auf Tschechien weitaus größere Auswirkungen als auf Österreich. Fiala bedankte sich deshalb bei Nehammer für dessen Bereitschaft, den Ausbau der transalpinen Ölpipeline TAL zu unterstützen, die – ausgehend von der italienischen Hafenstadt Triest – Öl Richtung Norden nach Österreich, Tschechien und Deutschland pumpt. Dieses könne langfristig russisches Öl ersetzen, ein sofortiger Importstopp würde in Tschechien allerdings zu Versorgungsengpässen führen. Es sei eine Frage der "europäischen Solidarität", das auch bei den Verhandlungen über weitere Sanktionen auf EU-Ebene zu berücksichtigen, entgegnete Nehammer.

Integration des Westbalkans

Einigkeit zeigten beide Regierungschefs auch bei der Frage der EU-Integration des Weltbalkans. Der tschechische Premier betonte, dass diese im Interesse beider Länder sei. Kanzler Nehammer wiederum appellierte seinerseits an Fiala, während der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft seines Landes, die am 1. Juli beginnt, den Westbalkan nicht aus den Augen zu verlieren – gerade weil hinsichtlich der Annäherung an die EU derzeit vor allem auf die Ukraine geblickt werde.

Bereits am Montag, nur einen Tag vor Nehammers Reise nach Prag, war der tschechische Europaminister Mikuláš Bek zu Besuch in Wien gewesen. Zu den zentralen Themen bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner österreichischen Amtskollegin Karoline Edtstadler gehörte ebenfalls das Ringen um das sechste EU-Sanktionspaket gegen Russland. Edtstadler zeigte sich zuversichtlich, dass es "in Bälde" eine Einigung geben werde. Auch Bek sprach von "positiven Signalen", die er dazu erhalten habe, forderte aber auch Verständnis dafür, dass wichtige Entscheidungen Zeit bräuchten.

Zuvor hatte Bek gesagt, dass auch Tschechien Bedenken gegen einen allzu raschen Importstopp für russisches Öl habe. Prinzipiell aber plädiere Prag für ein scharfes Vorgehen gegen Russland und wolle auch künftig kein Veto gegen Sanktionsbeschlüsse einlegen. Ein neuer Anlauf für ein weiteres Sanktionspakt gegen Russland ist im Verlauf des Montags dann am Widerstand Ungarns gescheitert.

EU-Reformen

Im STANDARD-Interview äußerte sich Bek auch zu den aktuellen Vorschlägen zum Reformprozess in der EU, wie sie im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas erarbeitet wurden. Einige Länder und Akteure, etwa das Europäische Parlament, würden für radikalere Änderungen des institutionellen Rahmens plädieren. Immer wieder ist dabei auch vom möglichen Wegfall des Einstimmigkeitsprinzips bei Fragen der Außenpolitik die Rede.

Andere Mitglieder – wie etwa die baltischen Länder, aber auch Tschechien oder die Slowakei – seien da vorsichtiger. "Tschechien lehnt eine Debatte über Vertragsänderungen nicht ab", so Bek. In der derzeitigen Lage solle man aber nicht zu viele kontroverse Themen auf einmal aufs Tapet bringen: "Dazu müsste man viel politische Energie aufbringen, die dann bei der Lösung der dringlichsten Probleme fehlen könnte." Konkret wären das etwa Energiesicherheit, Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit sowie der Umgang mit Klimakrise, Flüchtlingskrise und wachsenden wirtschaftlichen Problemen.

Weitere wichtige Prioritäten der tschechischen Präsidentschaft sind für Bek unter anderem die Stärkung demokratischer Institutionen, Medienfreiheit sowie die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich mit Epochen von Diktatur und Unterdrückung befassen. Bek verwies dabei expliziert auf das Verbot von Memorial, einer Institution, die sich in Russland der Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit gewidmet hat: "Die Pflege demokratischer Institutionen sollte auch mit einem guten historischen Gedächtnis verbunden sein." (Gerald Schubert, 17.5.2022)