Der Krieg in der Ukraine ist eine komplexe Angelegenheit. Und sein Verlauf hat einmal mehr klargemacht, dass es für eine Einordnung nicht ausreicht, einfach nur die Stärke der involvierten Armeen auf dem Papier zu vergleichen. Ginge es allein nach diesen Zahlen, hätte der russische Diktator Putin sein ursprüngliches Ziel eines "Regime-Change" in Kiew wohl tatsächlich in wenigen Tagen erreichen können – wie es auch manche internationale Beobachter erwartet hatten.

Die Geschichte nahm bekanntlich einen anderen Lauf. Russlands Armee scheiterte beim Vormarsch auf die ukrainische Hauptstadt und hat dort mittlerweile das Feld geräumt. Und selbst um ihre auf den Süden und Osten konzentrierte Offensive ist es nicht besonders gut bestellt. Dabei spielen viele Faktoren zusammen, die zur derzeitigen Situation geführt haben.

Detaillierte Analysen gibt es in den täglichen Nachrichten selten. Aber wer sich intensiver mit dem Krieg, seinem Verlauf, militärischen Aspekten, Propaganda sowie sozialen und kulturellen Aspekten beschäftigen will, findet im Netz eine Reihe guter Anlaufstellen. Sie ermöglichen es, sich selbst einen Überblick zu verschaffen und eine gut argumentierbare Meinung zur Lage zu bilden.

Wir haben eine Auswahl an zwölf Anlaufstellen getroffen.

Kyiv Independent

Wer abseits deutscher Nachrichtenmedien auf dem Laufenden bleiben will, findet beim Kyiv Independent ein Medium, das auch per Twitter laufend "News von der Front" liefert. Das sind teilweise eigene Berichte, teilweise Informationen auf Basis der Veröffentlichungen von offiziellen Stellen wie der ukrainischen Armee. Darunter etwa eine regelmäßige Aufstellung russischer Verluste – die freilich mit etwas Vorbehalt zu genießen sind.

Die russischen Verluste per 17. Mai laut ukrainischem Militär, aufbereitet vom Kyiv Independent.

Meduza

Weniger stundenaktuell arbeitet Meduza. Einst in Russland als unabhängiges Medium gegründet, wurde die Redaktion aufgrund der Kreml-Repressionen mittlerweile in die lettische Hauptstadt Riga verlagert. Von dort berichtet man aber weiter Hintergründiges über Russland, aber natürlich auch den Krieg in der Ukraine. Die Autorinnen und Autoren betreuen auch eine englischsprachige Website und liefern auch kurze Auszüge ihrer Arbeit auf Instagram.

MEMRI

Hinter dem Kürzel MEMRI verbirgt sich eigentlich das Middle East Media Research Institute. Zwar liegt die Ukraine nicht zwischen Kairo und Teheran (also in dem Gebiet, dem sich MEMRI nach eigener Beschreibung vorwiegend widmet), dennoch gibt es freilich auch dorthin Querverbindungen – etwa durch syrische Söldner aufseiten Russlands.

Hauptsächlich finden sich auf der Sammelseite zum Krieg in der Ukraine aber Stimmen aus verschiedenen Ländern, die medial viele Menschen erreichen. Dabei geht es um Meinungsstücke aus Russland selbst, auch um reichweitenstarke Kommentare aus China, dem Iran oder Südasien, inklusive Indien, wo das Meinungsbild längst nicht so klar proukrainisch ist wie im Westen. Die Sammlung an Links und Videos sollte freilich auch als das betrachtet werden, was sie ist: ein Verzeichnis medialer Meinungsstücke von sehr wechselhaftem Wahrheitsgehalt.

Foto: Screenshot

Francis Scarr (BBC Medienmonitoring)

Apropos Wahrheitsgehalt: Die russische Medienlandschaft besteht mittlerweile fast ausschließlich aus Stimmungsmache für den Kreml. Die teilweise absurden Behauptungen und Narrative sind aber schon allein aufgrund der Sprachbarriere für viele Menschen im Westen schwer mitzuverfolgen. Dennoch sind sie relevant, weil die Erzählungen der Putin-Propaganda es über deutschsprachige Kreml-treue Medien und Verschwörungserzähler letztlich auch zu uns schaffen – und sich teilweise dann auch im politischen Diskurs wiederfinden.

Francis Scarr wirft für die britische BBC ein Auge auf russische Medien, sowohl was politische Narrative als auch was andere bizarre Auswüchse betrifft. Hier etwa einen Monolog des staatlich finanzierten TV-Verschwörungserzählers Wladimir Solowiew, nachdem ihm Italien die Aufenthaltsgenehmigung entzogen und Immobilien beschlagnahmt hat.

Live Ukraine Map

Die Ukraine ist bekanntlich kein kleines Land, und natürlich schafft es längst nicht jede Kampfhandlung oder jedes sonstige Ereignis in die Schlagzeilen Wer hier fast in Echtzeit einen zum Teil auf Open-Source-Intelligence basierenden Überblick haben möchte, sollte einen Blick auf die Live Ukraine Map werfen. Hier sind umkämpfte Gebiete und gemeldete Ereignisse nebst Ortsmarkierung, verfügbaren Fotos, Videos und Quellenverweisen dokumentiert. Auch nichtmilitärische Neuigkeiten, etwa die Entdeckung von offenbar hingerichteten Zivilisten, werden dort festgehalten.

Die Live Ukraine Map vom Vormittag des 19. Mai.
Foto: Screenshot

Österreichisches Bundesheer

Lobenswerterweise widmet sich auch das österreichische Bundesheer auf seinem Youtube-Kanal dem Krieg in der Ukraine. Regelmäßig analysiert man den aktuellen Stand der Dinge aus militärischer Perspektive und zeigt dabei, welche Strategien beide Seiten gewählt haben, welche Optionen ihnen offenstehen und wie der weitere Verlauf aussehen könnte. Dazu gibt es auch interessante Erläuterungen zu einzelnen Manövern, beispielsweise wie es den Verteidigern von Kiew gelungen ist, eine russische Kampfgruppe im Vorort Browary nordöstlich der Hauptstadt abzufangen.

Österreichs Bundesheer

Mick Ryan, War in the Future

In eine ähnliche Kerbe schlägt Mick Ryan, Militärstratege und ehemaliger Generalmajor in der australischen Armee. Auch er bereitet immer wieder den Kriegsverlauf und einzelne Manöver analytisch auf. Dazu erklärt er häufig auch verständlich dazugehörige Abläufe und militärtaktische Grundlagen, um die Einordnung zu erleichtern. Vor einigen Tagen widmete er sich auf diese Weise beispielsweise, wie es den ukrainischen Streitkräften gelang, eine Überquerung des Flusses Siwerskyj Donez durch das russische Militär auf ganzer Linie zu vereiteln.

Chris Cappy, Task & Purpose

Teil des Krieges sind freilich auch Waffen. Der Widerstand und zunehmende Erfolge des ukrainischen Militärs werden immerhin auch durch westliche Lieferungen ermöglicht. Immer wieder wertvollen Input liefert hier Chris Cappy. Der ehemalige Berufssoldat der U.S. Army, der unter anderem im Irak eingesetzt war, beschäftigt sich häufig mit verschiedenen Waffensystemen. Und im Rahmen des Ukraine-Krieges dabei freilich auch mit solchen, die von den Konfliktparteien genutzt werden.

Noch bevor Wladimir Putin seine "militärische Spezialoperation" verkündete, veröffentlichte er Ende Jänner ein Video, in dem er über den tragbaren Javelin-Raketenwerfer referierte. Nur einen Monat später sollte der Clip schnell aktuelle Bedeutung erlangen, spielten doch gerade Javelin und ihre "Verwandten" NLAW und Stinger eine wichtige Rolle bei der ukrainischen Verteidigung gegen russische Panzer und Fluggeräte.

Das Video über die tragbaren Javelin-Raketenwerfer wurde noch vor dem Ukraine-Krieg veröffentlicht.
Task & Purpose

Visual Politik DE

Abseits der Schlachtfelder werden viele Fragen aufgeworfen. Wirken die Sanktionen? Wird China Russland unter die Arme greifen? Warum ist Russlands Militär, das vor dem Krieg noch weithin als das zweit- oder drittmächtigste der Welt angesehen wurde, so marode? Fragen wie diesen geht der Kanal Visual Politik nach. Einst als spanisches Outlet gestartet, gibt es den Kanal mittlerweile auch auf Englisch und Deutsch. Er richtet sich in Erklärstil und Aufbereitung an jüngeres Publikum und stellt Fakten und Zusammenhänge leicht verständlich dar.

VisualPolitik DE

Kamil Galeev, Historiker aus Moskau

Kaum ein anderer bietet auf Twitter so viel Einblick in Russland, seine Gesellschaft und historische Entwicklung wie Kamil Galeev. Der Historiker der nichtstaatlichen Politikforschungsorganisation Wilson Center stammt selbst aus Moskau und hat unter anderem zum Umgang der Putin-Regierung mit ethnischen Minderheiten in Russland geforscht. In seinen teils sehr ausführlichen Threads greift er immer wieder oft wenig beachtete, aber durchaus bedeutsame Aspekte politischer, sozialer, historischer und ökonomischer Natur auf.

In einem davon klärt er etwa darüber auf, wie Russlands Parlamentarismus und seine schlafenden Institutionen funktionieren. Von allen hier genannten Quellen formuliert er die deutlichste Eigenmeinung: Er ist der Ansicht, dass Russland den Krieg klar verlieren und der Machtapparat um Putin zerstört werden muss, da jede Appeasement-Lösung das große Risiko eines noch gefährlicheren Krieges in der Zukunft birgt.

Ian Garner, Historiker und Übersetzer

Der Twitter-Account von Ian Garner ist laut Eigenbeschreibung auf die Beobachtung russischer Propaganda spezialisiert. Er bietet aber darüber hinaus eine gute Sammlung an Verweisen auf andere Accounts und Medien, die Informationen rund um den Krieg liefern.

Tanja Maier, Flüchtlingshelferin in Österreich

Mit einer Lebensgeschichte mit Jugend in Kanada und den USA, knapp acht Jahren in Russland, einigen Jahren in London und seit 2008 in Wien engagiert sich die eigentlich aus dem Finanzsektor kommende Tanja Maier seit Beginn des Krieges intensiv für die Flüchtlinge in Österreich. Sowohl in ihrem Newsletter auf Substack als auch in Twitter-Beiträgen dokumentiert sie dabei nicht nur die Geschichten der Ankommenden, die ihre Heimat zurücklassen mussten, sondern auch die wertvolle Arbeit vieler Freiwilliger.

Dabei rückt sie auch immer wieder massive Defizite in der staatlich gemanagten Flüchtlingsversorgung in den Fokus – von der trägen Vergabe von Vertriebenenkarten und Grundversorgung bis hin zu Missständen in Unterkünften. Zudem sammelt sie mit der Initiative "Cards for Ukraine" Spenden für 50-Euro-Einkaufsgutscheine, die an schlecht versorgte Flüchtlinge verteilt werden. (gpi, 23.5.2022)