Die russische Währung hält sich stark, der Kurs wird aber künstlich beeinflusst, heißt es.

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Irina, eine Pensionistin im Supermarkt, ist stinksauer. "Alles wird teurer!" Joghurt etwa kostete im Jänner 55 Rubel, jetzt 89 Rubel. Für 3,5 Kilo Waschmittel muss man 700 Rubel zahlen, im Jänner waren es 400 Rubel. Acht Rollen Klopapier, auch die Russen hamstern gerne, sind um 100 Rubel teurer geworden.

Die steigenden Preise hängen auch mit dem Rubel-Kurs zusammen. Aus dem Westen importierte Waren müssen in Euro oder Dollar bezahlt werden. Viele russische Hersteller brauchen Rohstoffe oder Vorprodukte, die sie aus der EU einführen und auch in Euro bezahlen müssen. Beim derzeitigen Rubel-Kurs verteuert das die Endprodukte.

Rasche Erholung

Über einen langen Zeitraum pendelte der Rubel-Kurs um die 90 Rubel pro Euro. Zu Beginn der "Spezialoperation" in der Ukraine, wie man den Krieg in Russland zu nennen hat, sackte der Rubel erwartungsgemäß auf rund 150 Rubel pro Euro ab. Dann aber begann sich die russische Währung überraschend schnell zu erholen und steht jetzt bei rund 65 Rubel pro Euro, ist also stärker als zuvor. Wie kommt das?

Der Ökonom und Investmentfachmann Sergej Suwerow erklärt das in der Internetpublikation Meduza so: "Es gibt zwei Hauptfaktoren. Der erste ist ein Rekordhandelsüberschuss, der Economist schreibt, dass es heuer einen Überschuss von 250 Milliarden Dollar geben wird – doppelt so viel wie 2021. Dies liegt zum einen daran, dass die Preise für russische Exportrohstoffe gestiegen sind. Zweitens verließen viele Importeure mit einem Rekordrückgang bei den Importen den russischen Markt: Logistik- und Abrechnungsprobleme begannen. Der zweite Faktor sind Währungsbeschränkungen."

Devisenzuflüsse halten an

Ein wirksames und flächendeckendes Öl- oder gar Gasembargo ist nicht in Sicht, seit Beginn der Militäroperation erhält Russland aus diesen Exporten erhebliche Devisenzuflüsse. Experten gehen bislang von rund 40 Milliarden Euro aus. Die russische Zentralbank ist zwar sanktioniert, nicht aber die Gazprombank, wo jetzt eingehende Dollar oder Euro umgerubelt werden. Zum staatlichen Kurs, der – so sehen es viele – ein reiner Fantasiekurs ist und nicht dem eigentlichen Wert des Rubel entspricht. Egal, der energiehungrige Westen zahlt.

Der EU-Beschluss, künftig auf Kohle zu verzichten, ist bedeutungslos. Gerade mal vier Prozent der russischen Exporterlöse 2019 entfielen auf Kohle. Anders beim Öl. Nach einem kurzen Einbruch ist längst wieder eine Rekordzahl von Tankern, beladen mit russischem Rohöl, unterwegs auf den Weltmeeren. Interessanterweise fahren viele dieser Tanker unter der Flagge des EU-Landes Griechenland, glaubt man Haver Analytics, einem Unternehmen, das weltweit Spezial- und Fachdatenbanken auswertet.

Weniger Importe

Russlands Exporterlöse boomen, gleichzeitig wird durch die Sanktionen weniger importiert. Hinzu kommen strenge Regeln bei der Devisenbewirtschaftung. Die Ausfuhr von Dollar oder Euro aus Russland ist reglementiert, um die Kapitalflucht zu stoppen. Seit dieser Woche sind die Regeln gelockert. Devisen im Wert von 50.000 Dollar dürfen ausgeführt werden, ursprünglich waren es nur 10.000 Dollar.

Bleibt die Inflation. Bei einem starken Rubel wird sie zum Jahresende bei 20 Prozent liegen, schätzt die russische Zentralbank. "Wenn der starke Rubel nicht wäre, könnte die Inflation 30 bis 40 Prozent betragen", befürchtet Suwerow. Will man Rubel und Wirtschaft schwächen, was das Ziel der Sanktionen ist, gäbe es nur einen Weg, erklärt Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg: Alle russischen Banken müssten auf die Sanktionsliste, Exporte in die EU wären unmöglich. Kein Gas und Öl. (Jo Angerer aus Moskau, 18.5.2022)