Der Jurist Klaus Schwaighofer erklärt im Gastblog, warum Strafverschärfungen bei Gewalt- und Sexualdelikten nicht sinnvoll sind.

Durch das dritte Gewaltschutzgesetz 2019 wurde das Strafrecht für Gewaltdelikte erheblich verschärft. Im Gesetzgebungsverfahren gab es zwar viele kritische Stellungnahmen – auch von Praktikerinnen und Praktikern aus der Justiz und Opferschutzorganisationen –, doch wurde darauf keine Rücksicht genommen. Das Gesetz wurde im September 2019 von der damaligen türkis-blauen Mehrheit im Parlament beschlossen, um das Regierungsprogramm ("Null Toleranz bei Gewalt- und Sexualdelikten") umzusetzen.

Es ist eine kriminalpolitische Fehlentwicklung, wenn auf spektakuläre Verbrechen reflexartig mit einer Verschärfung des Strafrechts reagiert wird.
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Schon einige Jahre zuvor, mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015, wurden zahlreiche Strafdrohungen für Gewaltdelikte beträchtlich erhöht und überdies in § 33 StGB ein neuer Erschwerungsgrund eingefügt, wenn der Täter ein vorsätzliches Verletzungsdelikt, Freiheitsdelikt oder Sexualdelikt unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung begeht und dabei zum Beispiel eine Waffe verwendet. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff "Waffe" von der Rechtsprechung "funktional" verstanden wird: Waffe ist jeder Gegenstand, der die Angriffs- oder Verteidigungsfähigkeit erhöhen kann, also zum Beispiel irgendein harter Gegenstand wie ein Holzstück, eine Flasche oder auch ein Regenschirm mit Spitze. Der Erschwerungsgrund greift auch, wenn mit einer solchen Waffe bloß gedroht wird: wenn beispielsweise der Täter seinen Regenschirm nur drohend erhebt, um einen anderen davon abzuhalten, sich zu nähern (Nötigung).

Unzulässige Doppelverwertung der Strafdrohung

Das alles war den damaligen Regierungsparteien aber noch nicht genug. Man suchte nach weiteren Verschärfungsmöglichkeiten, was gar nicht einfach war, weil die Obergrenzen der Strafdrohungen für Gewalt- und Sexualdelikte bereits eine solche Höhe erreicht hatten, dass eine weitere Hinaufsetzung nicht mehr möglich war, ohne das Strafdrohungsgefüge völlig zu zerstören.

Seit dem dritten Gewaltschutzgesetz 2019 führt die Verwendung einer Waffe bei einem vorsätzlichen Verletzungsdelikt, Freiheitsdelikt oder Sexualdelikt unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung auch zu einer Anhebung der Untergrenze der Strafdrohung für das begangene Delikt (§ 39a StGB): Für die "Regenschirmnötigung" ändert sich die Strafdrohung von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen auf Freiheitsstrafe von zwei Monaten bis zu einem Jahr. Das schließt (zum Glück) zwar nicht aus, dass dennoch eine Geldstrafe verhängt wird (§ 37 StGB macht das möglich), aber die Strafe wird natürlich strenger ausfallen.

Freilich kann der gleiche Umstand (Drohung mit der "Regenschirmwaffe") nicht gleichzeitig die Strafdrohung erhöhen und auch noch innerhalb des erhöhten Strafrahmens als erschwerend wirken, das wäre eine unzulässige Doppelverwertung. Aber wozu diese Neuerung, die zu noch strengeren Strafen führt und die Strafzumessung unnötig verkompliziert?

Sühnebedürfnis in der Gesellschaft

Einzelne aufsehenerregende Fälle führen oft zum lauten Ruf nach strengeren Strafen. Man kann damit vielleicht das noch immer in der Gesellschaft vorhandene Sühnebedürfnis befriedigen. Aber es ist eine kriminalpolitische Fehlentwicklung, wenn auf spektakuläre Verbrechen reflexartig mit einer Verschärfung des Strafrechts reagiert wird.

Strafen müssen schuldangemessen sein, sie dürfen keine Bagatellisierung der Tat zum Ausdruck bringen. Man kann jedoch gewiss nicht behaupten, dass die Gerichte bei Gewalt- und Sexualdelikten besonders gnädig waren, von Milde oder "Kuscheljustiz" der Gerichte konnte und kann keine Rede sein. Das wird gerne (so auch im Initiativantrag zum dritten Gewaltschutzgesetz 2019) einfach behauptet, ohne einen Nachweis dafür zu erbringen. Gerade das Gegenteil trifft zu, wie dies etwa der Jurist Christian Grafl in einem Gutachten für die Task Force Strafrecht und in mehreren Untersuchungen nachgewiesen hat.

Strafrecht soll Verbrechen verhindern. Zur Erreichung der Strafzwecke (Spezial- und Generalprävention) gehört auch, dass Straftatbestände mit entsprechenden Strafdrohungen ausgestattet sind. Aber es ist eine Illusion zu glauben, dass durch eine laufende Erhöhung von Strafdrohungen potentielle Straftäter besser abgeschreckt werden können. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass strenge(re) Strafen, wenn überhaupt, nur eine sehr geringe kriminalitätsvermindernde Wirkung haben.

Wichtig ist, dass auf eine Normverletzung reagiert wird. Das ist für das Vertrauen in die Justiz unabdingbar. Und die Reaktion muss als angemessen (gerecht) angesehen werden, was auch strenge Strafen erforderlich machen kann. Die vorhandenen Strafdrohungen für Gewalt- und Sexualdelikte sind aber längst so hoch, dass auch auf besonders schwere Taten angemessen reagiert werden kann. Noch höhere Strafdrohungen, Anhebung von Mindeststrafen und noch größere Strenge bei der Bestrafung erzielen keine messbar positiven Effekte auf die Kriminalitätsentwicklung, und auch Opfer werden dadurch nicht besser geschützt. (Klaus Schwaighofer, 19.5.2022)