Zumindest rein optisch scheint die Schimpansenmutter Asanti ihrem Junior Akuna hier wichtige Dinge zu erzählen.

Foto: Liran Samuni / Tai Chimpanzee Project

Es gibt nicht allzu viele Fähigkeiten, die der Mensch nicht mit den anderen Menschenaffen teilt. Der vielleicht wichtigste Unterschied, der uns bleibt, ist die Sprache: Menschenaffen können zwar alle möglichen Zeichen erlernen und damit kommunizieren, doch eine Art von Sprache scheinen sie nicht zu besitzen. Das liegt freilich nicht an der Anatomie ihres Vokaltrakts, der nicht wesentlich anders gebaut ist als der unsrige.

Als einzigartig an der menschlichen Sprache gilt die Fähigkeit, eine begrenzte Anzahl von Lauten flexibel zu Wörtern und hierarchischen Sequenzen zu rekombinieren und so unendlich viele neue Sätze zu bilden. Im Gegensatz dazu scheint die Produktion von Sequenzen bei den meisten anderen Tieren – mit Ausnahme der Singvögel – begrenzt zu sein, was das Potenzial zur Bedeutungserzeugung einschränkt.

Laut einer neuen Studie von Forschenden aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz, die 900 Stunden Tonaufnahmen von Schimpansen ausgewertet haben, kombinieren auch diese Menschenaffen ihre Rufe zu geordneten Sequenzen. Cédric Girard-Buttoz (Institut des Sciences Cognitives Marc Jeannerod in Lyon) und seine Kolleginnen und Kollegen spekulieren, dass durch dieses Kombinieren von Vokalsequenzen möglicherweise komplexere "Inhalte" vermittelt werden könnten, als dies mit einzelnen Rufen möglich ist.

Fast 5.000 Lautäußerungen

Das Ausgangsmaterial für die Studie, die diese Woche im Fachblatt "Communications Biology" erschien, besorgte Tatiana Bortolato, Doktorandin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Sie hat 2019 und 2020 wild lebende Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste von morgens bis abends verfolgt und ihre Laute aufgezeichnet. Die insgesamt 4.862 Lautäußerungen von 46 wild lebenden Tieren wurden danach mit Kolleginnen und Kollegen analysiert, um die Struktur dieser Laute zu entschlüsseln.

Was hat die Schimpansenmutter hier wohl zu sagen?
Foto: Liran Samuni / Tai Chimpanzee Project

Die Wissenschaft weiß bisher, dass Schimpansen ihre Rufe aus einer Handvoll verschiedener Laute zusammensetzen, die fast wie Buchstaben klingen: Grunzen, Rufen, Bellen, Schreien und Brüllen. Sie können entweder einzelne dieser Laute äußern oder eine ganze Reihe von ihnen aneinanderreihen, wobei sie zwischen jedem neuen Laut einatmen. Diese Lautkombinationen waren für die Forschenden von besonderem Interesse.

Jane Goodall und ein paar Schimpansen demonstrieren ein paar "Schimpansisch"- Basislaute.
Jane Goodall Institute USA

Absichtlich und "bedeutungsvoll"?

Um zu klären, ob die Menschenaffen absichtlich Phrasen aneinanderreihen, analysierte das Team um Girard-Buttoz unter anderem, ob bestimmte Sequenzen häufiger verwendet werden, als es rein zufällig der Fall wäre. Ein gekeuchtes "Hoo" trat beispielsweise zuverlässig an der ersten Stelle einer zweigliedrigen Sequenz auf und wurde mit zwölfmal höherer Wahrscheinlichkeit von einem gekeuchten Schrei gefolgt, als dies bei einer zufälligen Kombination von Vokalisationen zu erwarten gewesen wäre.

Grundsätzlich wurden die meisten dieser kombinierten Vokaleinheiten in Form zweigliedriger Sequenzen (Bigramme) geäußert, die wiederum in dreigliedrige Sequenzen (Trigramme) eingebettet waren. Bigramme wiesen Positions- und Übergangsregelmäßigkeiten innerhalb der Trigramme auf, wobei bestimmte Bigramme vorhersehbar entweder an der Kopf- oder an der Endposition in den Trigrammen auftraten.

Der Anfang eines größeren Projekts

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass das vokale Kommunikationssystem der Schimpansen viel komplexer und strukturierter ist als bisher angenommen", sagt Co-Autorin Tatiana Bortolato. Wie das Team in seinem Fachartikel resümiert, böte diese Fähigkeit, einzelne Einheiten in strukturierten Sequenzen zu organisieren, rein strukturell betrachtet die Möglichkeit, eine Vielzahl von Bedeutungen zu vermitteln.

Doch ob hinter den knapp 400 Phrasen auch ebenso viele Bedeutungen und damit relativ komplexe Inhalte stecken, müssen erst weitere Forschungen zeigen. Die sind auch bereits geplant. Senior-Autorin Catherine Crockford reicht auch noch die größere Perspektive des Forschungsvorhabens nach: "Dies ist die erste Studie im Rahmen eines größeren Projekts. Indem wir die Komplexität der Lautsequenzen frei lebender Schimpansen erforschen, einer Tierart mit einem komplexen Sozialleben, ähnlich dem des Menschen, erhoffen wir uns, mehr darüber zu erfahren, woher wir kommen und wie sich unsere einzigartige Sprache entwickelt hat." (Klaus Taschwer, 18.5.2022)