Als wichtigste wissenschaftliche Entdeckung des Jahres 1938 gilt gemeinhin die Kernspaltung: Die Erkenntnis, dass sich Atome spalten lassen, war nicht nur eine wichtige Grundlage für das Verständnis der Bestandteile der Materie. Die Kernspaltung lieferte auch den physikalischen Prozess, der wenige Jahre später für den Bau der Atombombe genutzt wurde.

Eine weitere wissenschaftliche Entdeckung des Jahres 1938 war ebenfalls schicksalsreich. Ihre gesellschaftliche Bedeutung wurde gar so dominant, dass sie bald kaum noch als generisch wissenschaftliche Errungenschaft wahrgenommen wurde. In jenem Jahr synthetisierte Albert Hofmann, Chemiker beim Pharmakonzern Sandoz in Basel, erstmals eine Substanz, die den Lauf der Welt verändern sollte: Lysergsäurediethylamid, kurz LSD.

Hofmann gefiel die chemische Struktur von LSD, das sich aus seiner Forschung zum Mutterkornpilz ergab, auf Anhieb. Doch eine Prüfung durch die pharmakologische Abteilung des Unternehmens hatte keine vielversprechenden Eigenschaften ergeben. Mehr aus Intuition denn aus Ratio entschloss sich der Chemiker am 16. April 1943, LSD abermals herzustellen – diesmal mit unerwarteten Folgen.

LSD entwickelte sich von der Partydroge zu einem Therapeutikum für zahlreiche Erkrankungen.
Illustration: Fatih Aydogdu

Hofmann wurde plötzlich von einer Unruhe übermannt. Zu Hause angekommen, legte er sich ins Bett und "versank in einen nicht unangenehmen, rauschartigen Zustand, der sich durch äußerst angeregte Phantasie kennzeichnete", wie er später in einem Bericht an seinen Vorgesetzten festhielt. Für den Chemiker stand sofort fest, dass es sich um eine enorm wirksame Substanz handeln musste – mit möglicherweise medizinischem Potenzial.

Aus Ratlosigkeit, wie mit LSD weiter zu verfahren sei, entschloss sich Sandoz zu einem recht ungewöhnlichen Schritt. Um die Erforschung der Substanz zu fördern, stellte sie der Konzern Forschenden relativ unkompliziert und beinahe kostenlos zur Verfügung. Das Kalkül ging auf: In den kommenden Jahren florierte die Forschung zu LSD – von psychischen Erkrankungen bis hin Alkoholentzug widmete sich eine Vielzahl von Projekten einer breiten Palette therapeutischer Anwendungen.

Fatale Risiken

Nach und nach wurde der Substanz aber ihr eigener Erfolg zum Verhängnis. Im Lauf der 1960er-Jahre wurde LSD als Partydroge immer populärer, bald entdeckte die Hippie-Bewegung die Substanz für sich – mit weitreichenden Folgen für Kunst, Kultur und Gesellschaft. Auch die Schattenseiten des Konsums blieben der Öffentlichkeit nicht verborgen, Mitte der 1960er-Jahre setzten Verbote ein, in Österreich erfolgte der Schritt 1971.

In der Folge kam auch die Erforschung von LSD zum Erliegen: Der Substanz haftete ein Schmuddelimage an, das es immer schwerer machte, Forschungsgelder zu erwerben. Hofmann beobachtete die Entwicklungen mit Bedauern. In seinem 1979 erschienenen Buch "LSD – Mein Sorgenkind" warnte er vor einem leichtfertigen Einsatz als Genussmittel wie auch vor einem Verbot der medizinischen Erforschung und Anwendung.

Renaissance-Psychedelika

Hofmanns 100. Geburtstag im Jahr 2006 markiert jenes Jahr, in dem die Forschung zu psychoaktiven Substanzen wieder salonfähig wurde. Vor allem drei Ereignisse verhalfen der Forschung zu Psychedelika ab 2006 zu einer Renaissance: So versammelte ein Symposium Forschende und Therapeuten, die dafür eintraten, LSD eine neue Chance zu geben.

Nur wenige Wochen später erlaubte der U.S. Supreme Court einer kleinen Sekte die Einnahme eines halluzinogenen Tees, der die Substanz Dimethyltryptamin (DMT) enthält, für religiöse Praktiken. Mit diesem Spruch legalisierte das Gericht erstmals seit den 1960er-Jahren die Einnahme von Psychedelika – wenn auch in einem speziellen Fall.

Klinische Studien zu Psychedelika

Das wohl wichtigste Ereignis des Revivals ab 2006 stellte aber eine Facharbeit dar. In jenem Jahr publizierte der Neurowissenschafter Roland Griffiths von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, USA, mit Kollegen eine Studie mit dem Titel "Psilocybin Can Occasion Mystical-Type Experiences Having Substantial and Sustained Personal Meaning and Spiritual Significance".

Wie der Titel der Arbeit verrät, ging es Griffiths um den Einsatz der Verbindung Psilocybin an gesunden Menschen, um spirituelle Erfahrungen zu erzielen. Es war die erste doppelblinde, placebokontrollierte klinische Studie zu Psychedelika seit Jahrzehnten. Erstaunen darf am Ergebnis auch, dass zwei Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch Monate später das Experiment als eine der fünf wichtigsten Erfahrungen ihres Lebens bezeichneten.

Der Blauende Kahlkopf (Psilocybe cyanescens) enthält Psilocybin und Psilocin – Substanzen, deren Wirksamkeit als Antidepressivum belegt belegt sind.
Foto: Imperial College London

Nachhaltige Wirkung

Nicht nur Griffiths und sein Team setzten die Forschung zu Psychedelika fort, auch zahlreiche weitere Teams weltweit nahmen die Arbeit daran wieder auf. Am Imperial College in London wurde 2019 ein Forschungszentrum zu Psychedelika gegründet. Dort wird unter der Leitung des Neuropsychopharmakologen David Nutt etwa erforscht, inwiefern Psychedelika bei Patienten mit schweren Depressionen eingesetzt werden können. Kürzlich veröffentliche die Gruppe in "Nature Medicine" eine Studie, in der nicht nur die Wirksamkeit von Psilocybin als Antidepressivum belegt werden konnte, sondern auch, dass der positive Effekt viel langfristiger ist als bei traditionellen Psychopharmaka.

Andere Forschungsprojekte widmen sich dem Einsatz von Psychedelika zur Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung oder zur Palliativtherapie von Krebspatienten im Endstadium. In Österreich wird in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt an der Med-Uni Innsbruck an der biotechnischen Herstellung von Psilocybin gearbeitet.

Strenge Gesetze

Hürden für die Anwendung gibt es aber nach wie vor durch die restriktive Gesetzgebung. "Psilocybin ist auch in Österreich als Suchtgift klassifiziert, was für mich nicht rational nachvollziehbar ist", kommentierte kürzlich Matthäus Willeit von der Med-Uni Wien die Lage. Trotz der vielversprechenden Ergebnisse der nun seit knapp zwei Jahrzehnten andauernden Renaissance von Psychedelika dürfte es bis zum breiten medizinischen Einsatz also noch dauern. (Tanja Traxler, 14.6.2022)