Bitcoin-Anlegerinnen haben derzeit wenig zu lachen, außer sie wollen günstiger nachkaufen als noch vor wenigen Monaten.

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Wer sich bereits länger mit Bitcoin und dem Kryptomarkt beschäftigt, ist die periodisch auftretenden Preisschwankungen nach oben und unten gewöhnt. Die Stimmungslage aktuell ist dennoch so negativ wie schon lange nicht mehr. Als Indikator dafür gilt der "Fear & Greed"-Index, der auf einer Skala von eins bis 100 abbildet, ob Negativemotionen wie Angst den Markt dominieren oder Investoren aufgrund von überbordendem Optimismus ein gieriges Verhalten an den Tag legen.

"Extreme Angst" in Kryptomarkt

Am Dienstag zeigte die Nadel den historisch niedrigen Wert acht für "extreme Angst" an und egalisierte damit den Tiefpunkt während des Corona-Crashs im März 2020, der nicht nur den Krypto-, sondern auch den Börsenmarkt traf. Nur einmal in der Geschichte wurde ein tieferer Wert verzeichnet, nämlich im August 2019 mit dem Wert fünf. Damals kämpfte Bitcoin mit der Preismarke von 10.000 Dollar, die einige Wochen später auch tatsächlich verlorenging. Der Preis gab danach um weitere 35 Prozent nach.

Einen historischen Negativrekord hat Bitcoin jedenfalls schon aufgestellt. Erstmals in der zehnjährigen Geschichte der Kryptowährung fiel der Preis sieben Wochen in Folge. Und auch aktuell ist der Balken rot, es könnte also eine achte Woche im Minus dazukommen. Der bisherige Rekord stammt aus dem Jahr 2014, in dem der Bitcoin-Preis einmal sechs Wochen am Stück an Wert verlor. Ein vorläufiges Ende des Abwärtstrends ist bisher also immer noch nicht in Sicht.

Alle Augen auf Tether

Als Damoklesschwert, das den Kryptomarkt zumindest vorübergehend kollabieren lassen könnte, gilt nun der Kryptodollar Tether. Er zählt zu den "Stablecoins", die, wie der Name schon sagt, stabil den Wert einer Geldwährung abbilden sollen – im Fall von Tether eben US-Dollar. Nach dem Totalcrash des Kryptodollar-Projekts TerraUSD (UST), der mittlerweile statt einen Dollar nur mehr acht Dollar-Cent wert ist, ist die Angst groß, dass auch das weitaus größere Projekt Tether dem aktuellen Preisdruck auf dem Kryptomarkt nicht standhalten könnte.

Die Organisation hinter Tether hat wiederholt darauf verwiesen, dass die Funktionsweise von Tether mit TerraUSD nicht vergleichbar sei. Denn während TerraUSD die Dollar-Kopplung mithilfe der populären eigenen Kryptowährung Luna zu gewährleisten versuchte, was spektakulär scheiterte, gibt Tether an, dass der eigene Dollar-Wert durch 1:1-Rücklagen gesichert sei. Wollen Anlegerinnen also ihre Kryptodollar in echte Dollar umtauschen, könne die Organisation diesem Wunsch folglich entsprechen.

Die Frage, die nun nicht zum ersten Mal aufkommt, ist allerdings, wie flüssig die Organisation tatsächlich ist, sollten Tether-Inhaber in großem Stil das Vertrauen in den Stablecoin verlieren und diesen in echtes Geld umtauschen. Für Unbehagen sorgt, dass der letzte Bericht darüber, wie sich die Rücklagen zusammensetzen, vom 31. Dezember 2021 stammt. Der aktuelle Quartalsbericht, der die Zeit bis 31. März abdeckt, ist zwei Monate später immer noch nicht erschienen.

74 Milliarden Dollar auf dem Spiel

Wie viel für den gesamten Kryptomarkt auf dem Spiel steht, zeigen die 74 Milliarden Dollar Kapitalisierung, die in Tether geparkt sind. Für sich und ihr Geschäftsmodell verbuchen kann die Organisation, dass auch beim bisher letzten großen Kryptocrash im Jahr 2017 und 2018 die Dollar-Kopplung mehr oder minder funktionierte. Dass die Kryptowährung gegenüber Preisschwankungen aber nicht immun ist, zeigte sich vergangene Woche, als Tether plötzlich an Wert verlor und zwischenzeitlich auf 0,95 Dollar-Cent absackte.

Die aktuellen Preisturbulenzen auf dem Kryptomarkt, der seit 2017 enorm gewachsen ist, werden damit auch zur Feuerprobe für den größten Stablecoin der Welt und seine Besitzerinnen. Durch die bisher fehlende Regulierung fehlen allerdings potenzielle Auffangmaßnahmen von Notenbanken und anderen staatlichen Stellen, um Kryptobesitzer im Ernstfall vor enormen Verlusten schützen zu können. Tether muss in den kommenden Wochen folglich beweisen, dass die Behauptungen über die angeblich ausreichenden Rücklagen stimmen.

Wie tief sinkt Bitcoin noch?

Was die künftige Wertentwicklung von Bitcoin angeht, hält sich die größte Kryptowährung der Welt bislang an die Preisregionen, die Experten bereits vor Wochen ausgemacht haben. Nach dem Verlust der psychologisch wichtigen Marken von 37.500 und 33.000 Dollar hat sich der Preis von 28.500 Dollar als nächste rote Linie erwiesen. Fällt auch diese, ist ein Rückgang um weitere 30 bis 35 Prozent auf das frühere Allzeithoch von 20.000 Dollar denkbar.

Die vor Wochen eingezeichneten Preislinien für Bitcoin haben sich bisher als zuverlässig erwiesen.
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Da auch im Aktienmarkt, insbesondere bei den Technologietiteln, kein Ende der Abwärtsspirale in Sicht ist, bleiben die Zeiten auch für Bitcoin-Anlegerinnen eher schwierig. Besonders dramatisch sind die Rückgänge allerdings nicht unbedingt bei den größten Projekten wie Bitcoin oder Ethereum, sondern bei den kleineren Altcoins. Sie haben in der Zwischenzeit bis zu 90 Prozent ihres Allzeithochs eingebüßt. Und solange Bitcoin keinen Boden findet, werden sie nach überproportionalen Gewinnen im Vorjahr nun auch überproportional an Wert verlieren.

Selbst Kryptokenner sind sich uneins, ob man die aktuelle Situation bereits ausnützen soll, um sich mit vermeintlich günstigeren Kryptocoins einzudecken. Zwar suggeriert der "Fear & Greed"-Index, der Marktdaten, Social Media und das Suchverhalten auf Google berücksichtigt, dass der Höhepunkt der Angst die mögliche Talsohle des Bitcoin-Preises in greifbare Nähe rücken lässt. Wie 2014 zeigte, kann es für Bitcoin aber auch wochenlang danach noch nach unten gehen. Und verliert die Kryptowährung noch einmal 30 bis 35 Prozent an Wert, sieht es für Altcoins entsprechend düster aus. Vorsicht ist also absolut angebracht. (Martin Stepanek, 19.5.2022)