Delfine sind für zahlreiche erstaunliche Fähigkeiten bekannt, nun darf man wohl auch Selbstmedikation dazuzählen.
Foto: imago/ZUMA Press

Wegen ihres erstaunlichen Verhaltens und ihres vermeintlich fröhlichen Dauerlächelns neigt man dazu, Delfine zu vermenschlichen. Aber es ist ja auch kein Wunder: Beispielsweise scheinen Tümmler über so etwas wie Namen zu verfügen, hochfrequente Pfeiflaute mit einer individuellen Note, die sich auch nach längerer Zeit nicht verändert.

Komplexes Sozialleben

Überhaupt ist ihr Sozialleben hochkomplex und nur oberflächlich verstanden; so sind etwa die Kleingruppen innerhalb einer Population selten stabil, sie verändern fortlaufend ihre Zusammensetzungen – auch nach dem Kriterium, wer mit wem gut kann und welche Individuen einander lieber aus dem Weg schwimmen sollten. Anfang des Jahres lieferte eine Studie neue Hinweise darauf, dass Delfine auch Spaß beim Sex in den unterschiedlichsten Variationen haben dürften.

Außerdem – und wenig verwunderlich – sind Delfine Mitglied im wachsenden Klub der Werkzeugbenutzer: Man hat sie dabei beobachtet, wie sie sich Meeresschwämme über die Schnäbel zogen, um auch in ansonsten zu scharfkantigen Spalten und Klüften Nahrung aufzuscheuchen. Eine andere Population verwendet große Meeresschneckenschalen, um damit Fische zu fangen. Die Forschenden sprechen von Sponging und Shelling, die Techniken werden in der Regel von den Müttern an ihre Töchter weitergegeben, aber auch gleichaltrige Artgenossen bringen sie einander bei.

Video: Delfine nutzen Schwämme als Schnabelschutz.
Rotating Planet Productions

Tierische Selbstmedikation

Nun kann man wohl auch Selbstmedikation zu den Fähigkeiten der Meeressäuger hinzuzählen: Ein internationales Forschungsteam berichtet im Fachjournal "iScience", dass Delfine im Roten Meer vor der Küste Ägyptens Korallen und Schwämme einsetzten, um Hautproblemen zu behandeln.

Vor dreizehn Jahren hat Angela Ziltener, Wildtierbiologin an der Universität Zürich, erstmals Indopazifische Große Tümmler (Tursiops aduncus) dabei beobachtet, wie sie ihren Körper an Korallen rieben. Dabei zeigten sich die Delfine durchaus wählerisch. Warum die Tiere bestimmte Korallenarten ansteuerten, während sie andere Spezies links liegenließen, war zunächst unklar. Gemeinsam mit Gertrud Morlock von der deutschen Universität Gießen wollte Ziltener diesem merkwürdigen Verhalten auf den Grund gehen.

Es geht um den Schleim

Dabei erwies sich als vorteilhaft, dass Ziltener Taucherin ist und so die Delfine und ihre Gewohnheiten aus nächster Nähe studieren konnte. Die Forscherinnen und Forscher identifizierten im Laufe der Zeit schließlich jene Korallen, an denen sich die Delfine besonders gerne rieben. Die Beobachtungen zeigten, dass es den Tümmlern offenbar um den Schleim geht, den die Korallenpolypen absondern, wenn sie gestört werden.

Morlock, analytische Chemikerin und Lebensmittelforscherin an der Justus-Liebig-Universität Gießen in Deutschland, und ihr Team entdeckte im Schleim von Arten wie der Gorgonienkoralle (Rumphella aggregata), der Lederkoralle (Sarcophyton sp.) und eines Schwamms (Ircinia sp.) zahlreiche aktive Substanzen mit unter anderem antibakterieller oder antioxidativer Wirkung.

Wellnessen im Korallengarten: Hier relaxen die Delfine und betreiben Hautpflege – sofern sie von Touristen in Ruhe gelassen werden.
Foto: Angela Ziltener

Badehäuser der Delfine

Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die bioaktiven Verbindungen bestimmter Korallen und Schwämme dazu dienen könnten, das Mikrobiom der Delfinhaut zu regulieren und Infektionen zu behandeln. "Durch wiederholtes Reiben können die aktiven Metaboliten mit der Haut der Delfine in Kontakt kommen", sagt Morlock. "Diese Metaboliten könnten den Tieren als Prophylaxe oder als Behandlung gegen mikrobielle Infektionen dienen."

Die Riffe, an denen diese Korallen zu finden sind, erwiesen sich als wichtige Orte für die lokale Delfinpopulation. Sie suchen diese Plätze auf, um sich auszuruhen oder zum Spielen; ist der Andrang zu groß, stellen sich die Delfine sogar in einer Reihe an. "Es ist fast so, als würden die Delfine duschen, sich putzen und sich dann ein wenig aufs Ohr hauen", sagt Ziltener.

Rückzugsorte in Gefahr

Leider werden solche ruhigen Rückzugsorte vor den Küsten Ägyptens immer seltener. "Die Tourismusbranche verdient heute viel Geld mit Delfinschwimmen. Die Bootsbetreiber haben mittlerweile auch herausgefunden, wo sich die Delfine gerne versammeln, und stören sie, wenn sie sich nicht an vereinbarte Richtlinien halten", sagte Ziltener. (tberg, 19.5.2022)