Immer noch der Schnellste: Tom Cruise kehrt im neuen "Top Gun" ins Cockpit zurück.

Foto: 2022 Paramount Pictures

Das Selbstverständnis von Cannes als Hochburg des internationalen Autorenkinos ist nur die halbe Wahrheit. Die Kernaufgabe des Filmfestivals trifft besser, wer es als aufwendigen Stunt betrachtet, um die Verästelungen einer sich ständig erweiternden Industrie für einen Moment im Jahr an einem Ort zu bündeln. Gerade nach der Krise aufgrund der Pandemie scheint Selbstpromotion dieses Jahr wieder sehr gefragt. Und die lässt sich auch damit bewerkstelligen, indem man jene feiert, die schon besonders lange dabei sind.

Paramount Pictures

Ein scheinbar nur in Zeitlupe alternder Action-Star wie Tom Cruise – diesen Juli wird er 60 – ist also ein perfektes Vehikel. Er personifiziert nicht nur Kinoerfolge (und ein paar Flops), die mehr als eine Generation begleitet haben, sondern er lässt auch keine Gelegenheit aus, das Erlebnis großen, physischen Kinos zu preisen. Außerdem trägt das Arbeitsethos von Cruise noch immer das Siegel der Echtheit – bei einer Masterclass in Cannes auf seine Stunts angesprochen, antwortete er keck: "Würden Sie Gene Kelly fragen, warum er die Tänze alle selber macht?"

Überraschungspalme

Tom Cruise wurde für seine Anwesenheit reich beschenkt: Er erhielt eine Überraschungspalme für sein Lebenswerk, mehrmals Standing Ovations im Kinosaal, und acht französische Kampfjets flogen gleichsam als seine Kohorte mit ohrenbetäubendem Lärm über das Küstenstädtchen hinweg.

Letzteres hat seinen Grund in der Premiere von Top Gun: Maverick, der mit zweijähriger Verspätung am 25. Mai ins Kino kommt. Der Originalfilm von Tony Scott hat satte 36 Jahre auf dem Buckel. Er war ein niedrig budgetierter Überraschungshit, der mit seinem Instantheroismus, einer Prise Erotik und fescher Militärästhetik ideal zum Hedonismus der 1980er-Jahre passte. Manche wollten darin einen Werbefilm für die US-Navy sehen, aber den meisten dämmerte es schon, dass man im postideologischen Zeitalter angekommen war. Die Musik von Giorgio Moroder und dröhnende Motoren klangen einfach sexier.

Tom Cruise als Pilot in Aktion.
Foto: 2022 Paramount Pictures

Unter der Regie von Joseph Kosinski wird nun viel Energie darauf aufgewandt, den Stil des Vorläufers zu bewahren, nicht ohne jedoch die Erzählung mit einem Hauch Nostalgie ins Jetzt zu überführen. Cruise ist als Pete "Maverick" Mitchell ironischerweise der Alte geblieben. Er hat nie die Karriereleiter erklommen und sich damit ein Stück seines Außenseitertums bewahrt. Anstatt Anweisungen zu folgen, setzt er sich lieber selbst ins Cockpit, um seine Vorgesetzten mit einer Stresstestvorführung zu belehren. Dabei verfolgt er nur ein Ziel: Er will demonstrieren, wie unentbehrlich menschliches Vermögen, Instinkt und Teamgeist sind.

Mit dieser Beharrlichkeit verweist Top Gun: Maverick freilich auf seinen Star Tom Cruise zurück, der sich auf ähnliche Weise weigert, als altes Modell ausgemustert zu werden. Mit Fliegerbrille und speckiger Lederjacke zeigt er schon anfangs auf seiner Kawasaki, wie Imagepflege geht. Er wird schließlich an die Eliteschule der Piloten zurückberufen, um den Nachwuchs auf eine haarsträubende Mission vorzubereiten. Es gilt eine Urananreicherungsanlage in einem namenlosen Unrechtsstaat zu zerstören. Wer den Flug durch die engen Schluchten bewältigt, hätte auch beim Todesstern von Star Wars keine Probleme.

Generationenzwist

Kosinskis Sequel ist insgesamt mehr ausgedachtes High-Concept-Kino als das Original, das sich noch auf seine schmierige Vordergründigkeit verlassen konnte. Den Generationenkonflikt, der sich zwischen Maverick und dem Nachwuchspiloten Rooster (Mike Teller) entfaltet, bleibt arg schematisch – ähnlich wie beim letzten James Bond beschleicht einen das Gefühl, dass man von innerfamiliären Dingen hier nichts wissen will. Immerhin Val Kilmer hat als Iceman, Ma vericks einstiger Gegenspieler, einen würdigen Auftritt.

Bleiben am Ende die Flugsequenzen, die Kosinski als Handwerker samt Loopings und Steilsturzmanövern sicher und mitreißend abzuliefern versteht – am Ende kommt dann sogar ein Oldie zum Einsatz. Ob diese Ode auf das analoge, praktische Filmemachen auch ein Blockbuster-Modell für die Zukunft ist, bleibt eine andere Frage. (Dominik Kamalzadeh aus Cannes, 19.5.2022)