Die Menschheit – in "Una imagen interior" vertreten durch fünf zeitgenössische Homo-Sapiens-Exemplare – baut sich eine Realität aus akkumulierten Fiktionen, Religionen, Träumen.

Nurith Wagner-Strauss

Was ist real und was nicht? Und welchen Wert zieht das jeweils nach sich? Materie ist real, eine erzählte Geschichte nicht. Oder doch? Das spanische Theaterduo El Conde de Torrefiel ist bekannt für die Beschäftigung mit kniffligen Fragen. Nach dem mit den Achsen von Zeit und Raum spielenden La Plaza 2018 sind sie bei den Wiener Festwochen heuer mit einer weiteren Gedankenperformance zurück – sie hatte am Mittwoch in der Halle G im Museumsquartier Weltpremiere.

Die 90-minütige, auf wenige choreografische Manöver reduzierte und entschleunigte Aufführung folgt der Prämisse, dass Realität letztlich vor allem ein Konstrukt aus subjektiven Fakten und vor allem Fiktionen ist. Wir alle teilen folglich keine gemeinsame Wirklichkeit, so die politische Implikation dieser Annahme. Die Aufführung selbst hat aber keine vorrangig sozialpolitische Mission, sondern sie befasst sich vor allem mit den Fragen nach Realitätserzeugung: Una imagen interior, ein "Bild aus dem Inneren".

Spiel mit Imagination

Um das Gedankenspiel anschaulich zu machen, weiten Tanya Beyeler und Pablo Gisbert den Moment einer konkreten Bildbetrachtung. Eine Ichfigur meldet sich vor der Rekonstruktion einer Höhlenmalerei im Naturhistorischen Museum in Wien zu Wort (der Text wird nicht gesprochen, sondern eingeblendet) und taucht darüber in verschlungene Überlegungen zu Realität und Fiktion ein. Dieses so angestoßene Spiel mit der Imagination ist höchst sophistisch, als Theaterabend bleibt es indes akademisch, redundant und langatmig anzuschauen.

Das Publikum betrachtet, wie sich die Theorie auf der Bühne manifestiert. Vor riesigen Vorhangplanen in knalligen Komplementärfarben, die sich mittels Licht und Text rasch manipulieren lassen, werden zwei Urszenen der Menschheit, 36.000 Jahre voneinander entfernt und doch nah, durchgespielt: am Lagerfeuer, im Supermarkt.

Ein Soundscore unterstützt diese Meditationsübung, kann aber nicht verhindern, dass sie in ihrer Aussage simpel und pathetisch bleibt. (Margarete Affenzeller, 20.5.2022)