Meret Becker spielte sieben Jahre lang die Berliner "Tatort"-Kommissarin Nina Rubin.

Foto: ORF/ARD/rbb/Hans Joachim Pfeiffer

Robert Karow (Mark Waschke) und Nina Rubin (Meret Becker) werden auf der Flucht getrennt.

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Seit 2015 spielte Meret Becker die Berliner Tatort-Ermittlerin Nina Rubin. Nun bleibt ihr Partner Robert Karow, dargestellt von Mark Waschke, alleine zurück.

STANDARD: Wie groß ist der Abschiedsschmerz?

Meret Becker: Es war schon krass, das merkte ich bereits bei den Drehs davor. Und als ich dann die letzten Szenen mit Mark Waschke drehte, war das sehr emotional. Und dennoch war ich erleichtert.

STANDARD: Warum?

Becker: Ich war nie ein Fernsehmensch. Es war mir eine Ehre, den Tatort drehen zu dürfen, aber ich habe noch so viele andere Sachen vor. Der Tatort nahm schon viel Raum ein. Relativ zeitig nach Beendigung eines Films, den man dann bis zur Premiere begleitet, kam schon wieder das nächste Drehbuch, das man lesen, diskutieren und überarbeiten musste. Aber es ist Verantwortung, die einem anvertraut wird und die es zu tragen gilt, und natürlich auch eine tolle Absicherung.

STANDARD: Warum haben Sie die Rolle der Nina Rubin angenommen?

Becker: Ich wurde schon mal als Tatort-Kommissarin angefragt, als ich Anfang 20 war. Damals habe ich sofort abgesagt. Mit Anfang 20 macht man so etwas nicht – also ich nicht. Da habe ich Kinofilme gedreht. Aber dann wurde ich wieder gefragt. Mein Vater, Otto Sander, war gerade gestorben, und ich musste mich neu sortieren. Die Rolle fiel mir sozusagen vor die Füße, und Otto hat in meinem inneren Ohr gesagt: "Mach!" Es war dann meine erste Festanstellung, außerdem wollte ich mal was Neues ausprobieren. Sieben Jahre fand ich dann eine schöne Zeit.

STANDARD: Mochten Sie "Ihre" Kommissarin?

Becker: Vieles mochte ich. Aber irgendwann wollte ich auch keine Leichen mehr sehen. Am Anfang war das spannend. Da ging es um die Rolle und den Beruf. Es ging darum, von Berlin und seinen Menschen zu erzählen. Aber dann merkt man, dass man andauernd mit Gewalttaten zu tun hat. Das fand ich auf Dauer nicht mehr so schön.

STANDARD: Gibt es da spezielle Erinnerungen?

Becker: In ein paar Fällen wurden junge Frauen ganz mies kaputt gemacht. Das ging mir schon nahe. Aber andererseits war es eine tolle Erfahrung. Ich hatte vor dem Tatort-Engagement noch nie eine kontinuierliche Arbeit. Sieben Jahre mit demselben Kollegen zu arbeiten, das ist etwas sehr Besonderes. Die Teams wechseln jedoch jedes Mal. Daher musste ich mich erst trauen, bei Maske, Kostümen, Ausstattung oder Drehbuch auch mal reinzureden, einfach weil ich die Rolle am besten kannte.

STANDARD: Nun verliert die Tatort-Gemeinde eine selbstbewusste Berliner Schnauze.

Becker: Anfangs, als ich die Beschreibung der Figur bekam, stand da: "Sie geht gern in Diskotheken und tanzt gern." Das traf es nicht ganz. Ich sagte dann: "Nee, die geht in Diskotheken und fickt gerne." Nina Rubin reagiert sich dort halt trotz Familie ab, was ohnehin kein fröhlicher, sondern ein schmerzvoller Zustand ist. Entwickelt wurde das vor #MeToo. Mit dieser Debatte hat sich dann auch für mich viel verändert.

STANDARD: Was haben Sie bemerkt?

Becker: Früher wurde Frauen oft gesagt, sie seien dusselig oder zickig oder hysterisch. Dann nimmt man sich irgendwann automatisch zurück, weil man nicht verbal plattgemacht werden wollte. Aber als die #MeToo-Debatte anbrach, wurde Frauen mehr zugehört. Da konnte ich dann auch die Rolle der Nina Rubin besser verteidigen. Aber anfangs war es nicht immer leicht, diese Rolle einer Frau, die scheinbar nicht ins Bild passt, zu verteidigen. Oft hatte ich das Gefühl, ihr sollte was weggenommen werden.

STANDARD: Wurde Ihnen all das Erwähnte auch an den Kopf geworfen?

Becker: Klar. Vor allem als junger Filmschaffender, dass ich, wie Frauen generell, ja keine Ahnung von Technik habe und zu blöd bin, Hintergründe zu verstehen. Aber das hat dann aufgehört.

STANDARD: Das Berlin-Bild des Hauptstadt-Tatorts ist oft düster. Sie sind auch Berlinerin. Haben Sie Ihre Stadt wiedergefunden?

Becker: Ich habe versucht, in meine Rolle Dinge reinzubringen, die sehr berlinerisch sind. Nina Rubin ist sehr vielschichtig, hat einen proletarischen Hintergrund und geht eben gerne aus. Und trotzdem ist sie intellektuell und kulturell interessiert. Natürlich hat sie eine abgebrühte Rotzigkeit, aber eigentlich ein großes Herz. Mir war wichtig, dass irgendwie immer ein bisschen die 20er- und die 80-Jahren reinspielen. Das sind die Epochen, die immer noch am meisten mit Berlin in Verbindung gebracht werden.

STANDARD: Schauen Sie selbst Tatort?

Becker: Nein, ich habe gar keinen Fernseher. Das war eine Entscheidung aus reiner Not. Früher dachte ich immer, ich müsste mich beim Fernsehen erholen von allem Möglichen. Aber in Wirklichkeit stiehlt der Fernseher nur die Zeit, man macht nicht die Dinge, die man kreativ machen möchte. Also habe ich ihn abgeschafft. Ich weiß nicht, wie Leute ihr Leben mit einem Fernsehen meistern. Es gibt so viel anderes zu tun. (Birgit Baumann, 22.5.2022)