Sie sind förmlich aus dem Boden gesprossen: Shops, über deren Eingangstür große Hanfpflanzen blinken, Automaten, die zu CBD-Verteilerkästen umfunktioniert wurden, Onlinehändler, die ihre Knollen und sonstiges Sortiment per Post in die Wohnungen ihrer Kunden liefern. Vorbei sind die Zeiten, in denen das grüne Kraut nur für Kiffer und Konsorten war: Das Geschäft mit legalem Cannabis floriert, vor allem während der Pandemie ist der Absatz von Cannabidiol-Produkten massiv gestiegen. Viele Millennials und junge Eltern setzen auf die entspannende Wirkung ohne Rausch, um besser durch den Alltag zu kommen.

Foto: Dragan Dok / Magu

Schlafstörungen? CBD. Regelschmerzen? CBD. Entzündungen? CBD. Cannabidiol ist im Gegensatz zum berühmteren Bruder THC (Tetrahydrocannabinol) nicht psychoaktiv, löst kein High aus. Damit ist es in Österreich grundsätzlich legal. Seit Jahren baut sich ein Markt um CBD auf, der vor allem auf kosmetische und medizinische Produkte sowie Nahrungsergänzungsmittel setzt. Nur: Wissenschaftlich bewiesen ist die Wirkung in vielen Anwendungsbereichen nicht.

Rebound-Effekt

Nichtsdestotrotz: "CBD ist erlaubt, weil es nicht verboten ist. THC ist verboten, weil es im Suchtmittelgesetz steht", stellt Rechtsanwalt Lorenz Kirschner klar. Der Besitz und Konsum von CBD ist nicht strafbar. Das liegt auch daran, dass es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als harmlos eingestuft hat.

Siegfried Kasper, ehemaliger Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Med-Uni Wien, sieht das anders: "THC ist viel schlimmer, aber CBD geht auf vergleichbare Rezeptoren und kann auch Abhängigkeiten verursachen. Zwar keine körperlichen wie etwa Opium, aber psychische." Es komme zu einem sogenannten Rebound-Effekt. Patientinnen und Patienten nehmen CBD etwa gegen innere Unruhe ein. Ihre Beschwerden verbessern sich dann zwar, "aber wenn man es dann wieder weglässt, wird es nur noch schlimmer", sagt Kasper.

Das hängt mit den Cannabis-Rezeptoren im Gehirn zusammen: "Auf diese endogenen Rezeptoren dockt das Exogene – also das, was man von außen zuführt – an und gibt dem Gehirn die Nachricht: Du brauchst das nicht mehr produzieren, das gute Zeug kommt von außen. Die Produktion wird eingestellt, der Körper rebelliert", erklärt Kasper.

In der Regel sei der Wirkstoff aber laut WHO gut verträglich. Wichtig dabei: In Österreich darf der THC-Anteil nicht über 0,3 Prozent liegen, im Rest Europas sind es sogar oft nur 0,2 Prozent. Ein Erlass des Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2018 besagt aber, dass der Verkauf von Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln mit CBD-haltigen Extrakten verboten ist. Demnach müsste der Zusatz "nicht zum Verzehr geeignet" draufstehen, Kosmetika sind ebenfalls verboten.

Zurück in die Medizin

In der Medizin wird CBD durchaus ein gesetzt, sagt Kurosch Yazdi von der Kepler-Universitätsklinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt auf Suchtmedizin in Linz. "Wissenschaftlich bewiesen ist die Wirkung von Cannabidiol bei zwei kindlichen Epilepsie -Formen. Da reden wir aber von hohen Dosen, sprich vielen hundert Milligramm, nicht von den paar Milligramm, die in Tees und Cremes vorhanden sind."

Hinter CBD stecke eine "gewaltige Werbemaschine", kritisiert Siegfried Kasper von der Med-Uni Wien.
Foto: Med-Uni Wien

Auch bei Angstbewältigung kommen Produkte mit CBD gerne zum Einsatz, etwa bei Depressionen oder psychosomatischen Erkrankungen. "Der Wirkstoff hat Auswirkungen auf Zentren, die mit Angstreduzierung verbunden sind, aber auch hier gibt es keine entsprechenden Studien", kritisiert Kasper.

CBD werde zwar seit 4000 Jahren ein gesetzt, wurde aber nie richtig erforscht. Trotzdem werde jetzt versucht, mit dem Wirkstoff viel Geld zu machen, man dürfe die gewaltige Werbemaschine nicht unterschätzen, sagt Kasper: "Der Wirkmechanismus von CBD ist schon untersucht worden, aber es fehlen klinische Studien. Es muss zurück in die Medizin und darf nicht in der Werbemaschinerie hängen bleiben." Ein "Marketing-Gag" sei das, was viele Firmen da anbieten würden, mehr nicht, sagt auch Yazdi. "Das Schlimme ist, die Produkte werden angepriesen, als würden sie gegen alles helfen: Schmerzen, Schlafstörungen, Krebs, Aids, vielleicht sogar gegen Faschismus." Die Dosierung in diesen Produkten sei in der Regel aber viel zu niedrig, als dass eine Wirkung nachweisbar wäre: "Was wiederum gut ist: Hüft’s nix, schodt’s nix."

Teure Produkte, riesiger Markt

Und tatsächlich, viele Produkte auf dem Markt kommen mit einem geringen CBD -Gehalt daher. Auf der anderen Seite gibt es aber Öle, die 2000 mg CBD in 10 ml Öl aufweisen. "Das wäre wirksam", sagt Yazdi. "Aber eine solche Flasche kostet knapp 100 Euro. Das wären bei einer Menge von 800 mg täglich Behandlungskosten von 40 bis 50 Euro pro Tag, im Monat bis zu 1500 Euro", rechnet er vor.

Die Kosten sind ein Knackpunkt. Eine Antifaltencreme, 50 ml mit 125 mg CBD, kostet rund 40 Euro. 100 Gramm CBD-Hanfblättertee gibt es für rund 14 Euro. Sogar eine Schlaf decke mit CBD versehen gibt es – für fast 300 US-Dollar. Oft weiß man auch nicht, wie viel wirklich drinsteckt: "Bei synthetischen Medikamenten weiß man ganz genau, wie viel wovon drinnen ist",sagt Kasper. Bei pflanzlichen Präparaten hingegen sei es wie beim Wein: "Es gibt keine Standardisierung, in welcher Dosierung es für eine Indikation notwendig ist."

Magu-Mitbegründerin Sofie Sagmeister haben CBD-Produkte bei Regelschmerzen geholfen.
Foto: Dragan Dok / Magu

Das macht den Markt riesig. Laut einer Analyse von Grand Review Research lag der globale Marktwert von CBD bei rund 2,8 Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig prognostiziert man bis ins Jahr 2028 eine jährliche Steigerungsrate von mehr als 20 Prozent. Der Wirtschaftsverband Cannabis Austria zählte im Jahr 2019 über 300 Betriebe, 1500 Jobs und einen Jahresumsatz von rund 250 Millionen Euro. Man darf davon ausgehen, dass die Zahlen seitdem gestiegen sind.

Wann kommt THC?

Einer der vielen Anbieter hinter diesen Zahlen ist Magu. Das Start-up schreibt sich seit 2017 auf die Fahnen, verschiedene Produkte mit CBD aus eigenem Anbau zu versehen. "Wir bauen am Feld im Weinviertel und indoor in Wien an, alles Bio", sagt Mitbegründerin Sofie Sagmeister. Ihr habe CBD bei Regelschmerzen geholfen. Und auch von ihren Kundinnen und Kunden bekämen sie regelmäßig positive Rückmeldung zu den verschiedenen Wirkungen der Produkte. Fachleute führen das auf einen Placeboeffekt zurück. Viele würden sich eben nach einem Wundermittel sehnen, das keine Nebenwirkungen hat.

Und die Produktvielfalt kennt keine Grenzen. Sie reicht von Öl, das man sich unter die Zunge tropft, über Gesichtscreme mit CBD bis hin zu Dattelsnacks und Blüten, die bei Magu als Tee verkauft werden. Angebote zum Rauchen gibt es bei Magu nicht, lediglich beim Zubehör findet man Feuerzeuge, Cig-Papiere und Filter. "Wir halten uns an das, was der Gesetzgeber vorgibt", sagt Sagmeister.

Aber Moment, Dattelsnacks und Gesichtscreme, das sind doch Lebensmittel und Kosmetika, und das Öl ist als Nahrungsergänzungsmittel ausgeschrieben. Wie geht das? "Unsere Rechtsberatung ist der Meinung, dass CBD in Lebensmitteln erlaubt ist", sagt Sagmeister und weist auf ein Verkehrsfähigkeitszertifikat hin, das das Öl als Nahrungsergänzungsmittel erlauben soll.

Es ist kompliziert. Der bereits erwähnte Erlass des Gesundheitsministeriums, der CBD-Lebensmittel und -Kosmetika verbietet, existiert zwar, er ist aber nicht mehr als ein Erlass – also eine interne Dienstanweisung an die Exekutive. Rechtsanwalt Kirschner sagt aber, ein solcher Erlass hebe keine geltenden EU-Richtlinien auf. Und die besagen, dass CBD-Produkte teilweise unter die Novel-Food-Verordnung fallen. Dort steht drin, dass Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der EU für den Verzehr zugänglich waren, eine Genehmigung brauchen. Die gibt es für CBD-Lebensmittel noch nicht. Kirschner sagt aber: "Der ständige Lebensmittelausschuss der EU-Kommission hat schon am 18. Dezember 1997 festgestellt, dass Lebens mittel, die Teile der Hanfpflanze als Inhaltsstoffe enthalten, nicht unter die damalige, erste Novel-Food-Verordnung fallen."

Viele Anbieter würden deswegen auf Nummer sicher gehen und Öle als Aromaöle statt Nahrungsergänzungsmittel bewerben. Und auch Stefan Wolyniec, Vorstand des Wirtschaftsverbands Cannabis Austria, spricht von einer Grauzone. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Markt für CBD nur ein Testmodell sei. Nämlich für den Zeitpunkt, an dem auch eine Legalisierung vom psycho-aktiven Bruder THC feststeht. Deutschland hat es im 2021 festgelegten Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP stehen.

Und in Österreich? "Ich denke mal, wir werden keine Pionierrolle spielen", sagt Wolyniec. "Wenn Deutschland die Koalitionsfragen tatsächlich umsetzt, dann wird man in Österreich nachziehen." Ob dann auch THC-Läden aus dem Boden sprießen werden? (Thorben Pollerhof, Magdalena Pötsch, 21.05.2022)