Die PR-Expertin Kateryna Slatina zog nach ihrer Flucht nach Wien in eine privat zur Verfügung gestellte Wohnung und fand einen Job in einem englischsprachigen Unternehmen.

Foto: Heribert Corn www.corn.at

Wien/Linz/Innsbruck – In den kommenden Tagen dürften die Landeshauptleute eine der vielen Hürden meistern, die es für eine adäquate Versorgung der Ukraine-Vertriebenen und anderer Flüchtlinge zu überwinden gilt. Bei der Landeshauptleutekonferenz in Bregenz am Freitag sagte der aktuelle Konferenzvorsitzende Markus Wallner (ÖVP), eine Vereinbarung, mit der die Tagsätze in der Grundversorgung erhöht werden, stehe vor der Unterzeichnung.

Danach müssen noch die neun Landesparlamente der Erhöhung von 21 auf 25 Euro pro Tag zustimmen. Dieser Satz gilt für einen Erwachsenen in einem organisierten Quartier. So lange jedoch im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung nicht mehr Geld fließt, werde "Mikado" gespielt, wie Insider sagen. Keiner bewege sich, in manchen Bundesländern warten Ukraine-Flüchtlinge schon seit Monaten auf Geld.

Viel zu langsam

Für sie arbeitet das System viel zu langsam. Drei Monate nach dem Überfall Russlands auf ihr Land suchen die bis dato 71.850 kriegsgeflüchteten, in Österreich registrierten Personen dringend Boden unter den Füßen. Es sind zu 70 Prozent Frauen und Mädchen, 30 Prozent sind minderjährig.

Laut STANDARD-Recherchen gelingt die Integration vor allem Menschen, die einen Job bekommen und nicht auf Grundversorgung angewiesen sind. Der prinzipielle Zugang zum Arbeitsmarkt wurde auf Grundlage der EU-Massenzustromrichtline gewährt. Die Geschichte der 29-jährigen PR-Expertin Kateryna Slatina etwa (siehe Titelfoto), die bei einer international tätigen Firma unterkam, ist eine Erfolgsstory.

Nur 3600 Arbeitsbewilligungen

Der überwiegende Teil der Ukraine-Flüchtlinge hat das bisher nicht geschafft. Bis dato wurden 3600 Vertriebenen Arbeitsbewilligungen gewährt, 5800 Personen sind beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgemerkt. Um überhaupt so weit zu kommen, braucht es eine blaue Vertriebenenkarte und eine E-Card. Um auch wirklich einen Job zu finden, muss der potenzielle Arbeitgeber um Bewilligung ansuchen, das AMS muss sein Okay dazu geben.

Hinzu kommt, dass Ukraine-Flüchtlinge, die aus der Grundversorgung heraus Arbeit suchen, an der extrem niedrigen Zuverdienstgrenze zu scheitern drohen. Wer mehr als 110 Euro monatlich verdient, verliert Unterkunft und Betreuung. Um die Erhöhung der Zuverdienstgrenze ist ein Konflikt entbrannt. Die ÖVP will verhindern, dass eine solche Erleichterung auch Asylwerbern zugutekommt.

Keine Hilfen für alleinerziehende Frauen

Ähnliches gilt für Sozialleistungen, ohne die viele alleinerziehende ukrainische Frauen wohl nur schwer werden arbeiten können. Ob und wie die Vertriebenen Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld erhalten sollen oder ob man sie ganz in die Sozialhilfe überführen sollte, ist ungeklärt.

Kateryna Slatina: Job und Wohnung nach nur eineinhalb Monaten

Kateryna Slatina hat ihr inneres Gleichgewicht einigermaßen wiedergefunden. Das habe viel mit der Wohnung und dem Job beim Projektentwickler für grüne Energielösungen Enery in Wien zu tun, sagt die 29-Jährige aus Odessa. Nach der Flucht vor dem Krieg Anfang März allein mit dem Auto habe sie sich einsam und entwurzelt gefühlt; völlig anders als bei ihren häufigen Reisen nach Westeuropa davor.

Doch Slatina hatte Glück, und auch ihre Ausbildung – sie hat Ökonomie und PR studiert – sowie ihre sieben Jahre Berufserfahrung als PR-Managerin in der Ukraine kamen ihr zugute. Ursprünglich peilte sie Berlin an, doch dann habe ihr eine Bekannte in Wien eine Wohnung vermittelt, die ein Enery-CEO Ukraine-Vertriebenen zur Verfügung stellt.

Auch an ihren Qualifikationen hatte die in Osteuropa tätige Firma, bei der man auf Englisch kommuniziert, Interesse: "Mein Arbeitsvertrag war nach sieben Tagen unterschriftsreif. Die behördlichen Bewilligungen – Blue Card, E-Card, Arbeitsbewilligung – dauerten sechs Wochen", schildert Slatina. Bis dahin habe zum Glück ihr mitgebrachtes Geld gereicht. Nun will sie Deutsch lernen – und hat einen Wunsch: bald einmal nach Odessa zurückkehren, wo ihre Eltern leben. Um diese hat sie, wegen der russischen Bomben, große Angst.

Liuba und Uliana: Weiter Weg zur staatlichen Unterstützung

Der Krieg zwang Liuba Buschuiewa, ihre fünfjährige Tochter Lisa und Freundin Uliana Balakyrewa zur Flucht aus der südukrainischen Stadt Mykolajiw. Und führte sie Mitte März nach Schedlberg, in einen kleinen Ortsteil der Mühlviertler Gemeinde Tragwein. Dort wurden die Vertriebenen mit offenen Armen von Familie Langeder empfangen. Spontan hatten sich Silke und Heinz Langeder mit ihren beiden Kinder Lena-Maria (elf) und Jakob (sechs) entschlossen, ihre 60 Quadratmeter große Einliegerwohnung Liuba, Lisa und Uliana zur Verfügung zu stellen.

Mittlerweile hat das Trio gemeinsam mit der Gastfamilie die großen Behördenhürden gemeistert. "Sie sind in Grundversorgung, die beiden Frauen bekommen pro Monat je 215 Euro, die Tochter 100 Euro", erzählt Silke Langeder im STANDARD-Gespräch. Zusätzlich würden sie durch diverse Spendenaktionen im Ort unterstützt.

Eingekauft wird nur im Sozialmarkt. Die Frauen sind auch beim AMS gemeldet und hoffen auf eine Arbeitsstelle. Zur monatlichen Grundversorgung zu gelangen ist für Liuba und Uliana ein logistischer Großaufwand: Ausbezahlt, bar gegen Unterschrift, wird der Betrag bei der Volkshilfe Freistadt. Nur viermal täglich fährt ein Bus von Schedlberg ab, siebenmal müssen die Frauen umsteigen.

Taisiya Schimtschenko: Schuldirektorin will sich Zukunft aufbauen

Taisiya Schimtschenko sitzt sichtlich erschöpft am Küchentisch ihrer kleinen Wohnung in Innsbruck. Seit drei Tagen hat sie zusammen mit ihren drei Töchtern und ihrem Vater hier ein neues zu Hause. Endlich ein Ort, an dem sie durchatmen kann. Nach Wochen der Flucht und Ungewissheit will Schimtschenko sich in Tirol eine neue Zukunft aufbauen.

Sie stammt aus der ukrainischen Millionenstadt Dnipro. Dort hat sie als Direktorin eine Montessorischule samt Kindergarten aufgebaut und geleitet. Nun ist durch den Krieg alles verloren, ein Zurück gibt es für sie nicht, sagt Schimtschenko.

Mit ihren zweijährigen Zwillingen, der 16-jährigen Tochter und dem kranken, 78-jährigen Vater im Schlepptau kam sie am 30. April über Polen nach Österreich. Anfangs waren die fünf in einem Zimmer im Innsbrucker Ankunftszentrum untergebracht. Über Kontakte zur Innsbrucker Montessorischule wurde die Wohnung gefunden, und die Zwillinge besuchen bereits den Kindergarten, die Tochter die Schule, um Deutsch zu lernen.

An Hilfe habe sie bisher 550 Euro im Ankunftszentrum erhalten. Schimtschenko ist dankbar dafür, will aber so schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen und wieder arbeiten. Am liebsten mit Kindern. Dazu lernt sie nun Deutsch, denn die Sprache sei derzeit ihr größtes Problem.

Kateryna Petrenko: Seit mehr als sechs Wochen im Notquartier

In ihrem jetzigen Quartier, in dem sie seit Anfang April wohnt, will Kateryna Petrenko (Name geändert) noch genau zehn Tage bleiben. Am ersten Juni könne sie in ein privat zur Verfügung gestelltes Haus in Niederösterreich ziehen, sagt die 38-Jährige. Bis dahin könne sie hoffentlich in der Notunterkunft Haidehof in Wien-Simmering bleiben, wo sie mit ihren Söhnen, einem 14- und einem Dreijährigen, ein Einzelzimmer hat.

Vor wenigen Tagen wurde manchen der 300 im Haidehof wohnenden Menschen das Angebot gemacht, in ein Grundversorgungsquartier in einem anderen Bundesland zu übersiedeln. Manche stimmten zu, etliche lehnten ab. Kateryna wurde noch nicht gefragt, doch auch sie hätte Nein gesagt. Sie wolle so selbstständig wie möglich bleiben – auch um sich die Option offenzuhalten, rasch in die Ukraine zurückzukehren, zu Mann und Familie in einen Vorort Kiews.

Geld hat Petrenko nicht erhalten. Wer in einem Notquartier wohnt, bekommt keines. Das Essen wird fertig gekocht ausgeteilt, es schmeckt den Kindern nicht. Im Austria Center, wo in Wien alle Informationen für Ukraine-Vertriebene zusammenlaufen, habe man keinen für sie gangbaren Weg zu passenderer Unterkunft und Job weisen können, sagt die Ukrainerin. Sie wirkt mutlos: "Ich habe genug, ich will nach Hause." (Steffen Arora, Irene Brickner, Markus Rohrhofer, Levin Wotke, 21.5.2022)