Anthony Albanese wirkte bei seiner Siegesrede am Samstagabend eher zufrieden.

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Er werde für alle regieren, das versprach der neue Premierminister Anthony Albanese am Samstagabend dem Volk. Und um zu zeigen, dass er es ernst meinte, sprach er sich in einem seiner ersten Sätze als neuer Regierungschef für ein Mitspracherecht der Indigenen im Parlament aus.

Solche versöhnlichen Worte stehen in krassem Gegensatz zu seinem Vorgänger Scott Morrison, der selbst unter Kollegen als arrogant und überheblich galt. Der eigenen Angaben zufolge streng gläubige Politiker war im Verlauf seiner Amtszeit dutzender von Lügen überführt worden. Im Vorfeld der Wahl hatte sich Morrison in einem seltenen Anflug von Selbstreflexion als "Bulldozer" bezeichnet. Er versprach, sich im Fall seiner Wiederwahl bessern zu wollen.

Doch das Stimmvolk glaubte ihm nicht. In der Nacht zum Sonntag wurde klar, dass die bisher oppositionelle Labor-Partei eine Regierung bilden kann. Ob es die Sozialdemokraten auf 76 der 150 Sitze im Unterhaus schaffen werden und damit ohne Unterstützung anderer Parlamentarier eine Regierungsmehrheit bilden können, wird wegen der hohen Zahl brieflich abgegebener Stimmen erst in ein paar Tagen feststehen.

Prominentes Opfer

Es zeigte sich am Wahlabend jedoch bald, dass Australierinnen und Australier genug hatten von der konservativen Regierungskoalition. Sogar mehrere führende Mitglieder der Morrison-Regierung verloren ihren Sitz. Prominentestes Opfer des Schwungs gegen die Konservativen war Josh Frydenberg, Schatzkanzler und zeitweise als zukünftiger Premierminister gehandelt.

Im Bundesstaat Westaustralien war der Schwung gegen die Konservativen zu Gunsten von Labor am stärksten. Dies, obwohl die dortige regionale Labor-Regierung wegen ihrer harten Anti-Covid-Politik in der Kritik stand. Westaustralien war zwei Jahre lang buchstäblich vom Rest des Landes abgeriegelt.

Zuwächse für Grüne, Unabhängige

Doch es waren nicht primär Labor-Opponenten, die den Konservativen die Sitze streitig gemacht hatten, oder Grüne, die dank starker Gewinne im sonst konservativen Bundesstaat Queensland ihre Vertretung im Parlament wahrscheinlich von bisher einem auf vier Sitze verbessern konnten. Rund ein Dutzend parteilose unabhängige Kandidatinnen schafften es, bisherigen konservativen Amtsinhabern Wählerstimmen zu entziehen.

Die Frauen – Ärztinnen, Lehrerinnen, Journalistinnen, Unternehmerinnen – waren von ihrer Gemeinde ausgewählt und unterstützt worden. Wie viele von ihnen es nach Canberra geschafft haben, steht wegen der laufenden Auszählung der Stimmzettel noch nicht fest. Beobachter gehen von bis zu fünf aus.

Klima als Schlüssel

Während sich der Wahlkampf primär um die steigenden Lebenshaltungskosten und Inflationsdruck drehte, forderten die Unabhängigen eine glaubwürdige Klimapolitik. Die Morrison-Regierung hatte sich seit Jahren geweigert, ernsthafte Maßnahmen zum Schutz des Klimas einzuführen und setzte im Gegenteil auf den Ausbau der Kohlewirtschaft.

Die Debatte um Klimaschutz spaltet Australien seit Jahren – angeheizt nicht zuletzt von den mehrheitlich konservativen Medien. Anthony Albanese versprach in seiner Siegesrede, diesen ideologischen "Klimakrieg" zu beenden. Der Kampf gegen die Klimaveränderung sei auch eine Chance, meinte er. Australien könnte seinen gesamten Strombedarf mit erneuerbaren Energiequellen decken.

Soziale Gerechtigkeit

Der 59-jährige geschiedene Vater eines Sohnes dankte in seiner Rede seiner verstorbenen Mutter und musste dabei Tränen unterdrücken. Der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär war in Sydney im Sozialbau aufgewachsen. Seine Mutter lebte von einer Invalidenpension. Albanese versprach, sich um jene Menschen kümmern zu wollen, die sozial benachteiligt sind.

Die konservative, nicht selten von laut Kritikern neoliberaler Ideologie getriebene Regierung hatte im Verlauf der Jahre nicht nur die Ausgaben für das öffentliche Gesundheitssystem reduziert. Sie setzte Wohlfahrtsempfängerinnen und Wohlfahrtsempfänger unter Druck, Arbeit zu finden, um ihre Unterstützung weiter erhalten zu können – selbst wenn diese aus medizinischen Gründen arbeitsunfähig waren.

Frauen wandten sich von Morrison ab

Albanese wird am Montag als 31. Premierminister Australiens vereidigt. Sollte er die Unterstützung der Unabhängigen und Grünen brauchen, um eine Regierung bilden zu können, werden diese wohl die Schaffung einer Sonderkommission fordern, welche die Integrität mehrerer Politiker untersucht. Ernsthafte Verfehlungen sogar von Ministern – nicht zuletzt gegen Frauen – blieben unter Morrison ungesühnt. Solche scheinbare Nonchalance der Regierung hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Konservativen in den letzten Monaten besonders unter den Frauen an Unterstützung verloren hatten. (Urs Wälterlin aus Perth, 22.5.2022)