Drei Stunden sind zu viel.

Foto: Reinhard Winkler

Kalt begann die Opernsaison letzten September in Linz – mit einer La Bohème, in der Mimì des Winters im Container hauste und auf einer Plastikliege dahinschied. Eisig endet nun auch die Spielzeit: mit Michael Obsts neuer Oper Unter dem Gletscher. Nah des ewigen isländischen Eises passieren seltsame Dinge: Gestalten ziehen eine sargähnliche Kiste durch den Schnee. Die Kirche ist verwüstet, der Pfarrer liest die Messe nicht mehr. Um es mit den Worten der skandinavischen Realitätsdarstellerin Brigitte Nielsen zu sagen: "Was geht los da rein?" Höchste Zeit, dass ein bischöflicher Visitator nach dem Rechten schaut. Er trifft auf einen Gemeindepfarrer, der "schon lange aus dem Beten raus" ist und dafür als Do-it-yourself-Gott mitanpackt. Warum aber ist Sira Jons Braut vor Jahren verschwunden?

Weltreligionsgeraune

Hermann Schneiders Libretto von Unter dem Gletscher basiert auf dem 1968 erschienenen Roman Kristnihald undir Jökli des Nobelpreisträgers Halldór Laxness. Die Männer sind hier die Macher: Neben Sira Jon ist das der superreiche Erfinder, Erfolgsangler und Weltreisende Godman Syngmann. Die Frauen putzen und backen leider nur oder tendieren in Richtung Heilige/Hure. Des Weiteren prägen Naturmystizismus und Weltreligionsgeraune die Atmosphäre des absurden Musiktheaterstücks.

In einer personellen Dreifaltigkeit zeichnet Linz-Intendant Hermann Schneider neben dem Libretto auch für die Inszenierung verantwortlich. Falko Herold hat für malerische Bretterbuden (für die Dorfbewohner), einen stylishen Bungalow (für Syngmann) und einen Gletscher gesorgt. Projektionen und das eine oder andere farbenfrohe Kostüm bemühen sich um Stimmung, Martin Achrainer (als Trucker Alfberg) und drei hippiehafte Hirten ebenso.

Instrumentalstimmenwald

Mit marmorn-glänzendem Mezzo gibt Anna Alàs i Jové den bischöflichen Abgesandten, Michael Wagner verströmt als Sira Jon mit seinem warmen Bass Gelassenheit. Belebend der Charaktertenor von Matthäus Schmidlechner als Bauer Helgi, passabel die mittleren Partien bis hin zu den Back- und Putzkräften. Die Gesamtleistung und auch manche Soli des Bruckner Orchesters sind exzellent; herausragend Ingmar Beck am Dirigentenpult. Er sorgt für lichte Transparenz im dichten Instrumentalstimmenwald.

Michael Obsts Partitur ist komplex und abwechslungsreich gearbeitet. Aber der Rahmen, in dem der Mittsechziger seine Kunstfertigkeiten ausstellt, bleibt akademisch-limitiert, und so gerät sein drittes in Linz gezeigtes Werk im Lauf der dreieinhalb Stunden zur quälenden Ödnis. Unter dem Gletscher ist schon am Abend der Uraufführung kaum mehr als Schnee von gestern. (Stefan Ender, 23.5.2022)