Die französische Filmschauspielerin Adèle Haenel verkörpert alle Kinderrollen in "Der Teich". Dabei stürzt sie sich Hals über Kopf in die unsichere Erlebnis- und Gefühlswelt der Jugend.

Foto: Estelle Hanania

Maliziös blinken die Lichter der Mini-Stereoanlage, aus der Musik dröhnt. Lebensgroße Puppen bevölkern den abweisenden White Cube: das Elternpaar auf dem Bett, davor zwei Kinder, am Boden kauernd. Etwas entfernt davon ein weiteres Kind, bäuchlings am Boden liegend.

Dieses verstörende Bild nimmt schon vorweg, was folgen wird: Die frankoösterreichische Choreografin, Regisseurin und Puppenspielerin Gisèle Vienne hat Robert Walsers 1902 in Berner Mundart verfasste, nur 20 Druckseiten umfassende Szenenfolge Der Teich in zeitgenössischem Französisch auf die Bühne gebracht. Händl Klaus, der den Text zusammen mit Raphael Urweider ins Hochdeutsche übersetzt hat, brachte Vienne das Stück nahe.

"Womöglich", sagt sie, "hat mich dieser Wedekind-Geruch berührt …" – tatsächlich ist Der Teich ein Stück literaturgewordene Adoleszenz, in eine Linie zu stellen mit Musils Törless, Goethes jungem Werther oder dem briefeschreibenden Kafka.

Selbstmord im Teich

Fritz, wohl ein Alter Ego des Autors, fühlt sich ungeliebt in seiner Familie: Die Schwester ein "Saufratz", die Pädagogik schwarz, Vater Adolf (tatsächlich hieß Walser senior so) ein patriarchales Phantom, und die Mutter, seltsam schablonenhaft und ohne Vornamen, scheint tatsächlich zu glauben, dass Härte der größte Liebesdienst sei. Dumm nur, dass die Liebe beim Kind nicht ankommt, weshalb Fritz beschließt, seinen Selbstmord im Teich vorzutäuschen. Vielleicht weint ja wer.

Vienne geht es in L’Étang / Der Teich weniger um diese rudimentäre Handlung, sondern um Gefühle, Wahrnehmungen, Atmosphären. Fulminant spielen zwei Frauen in der assoziativen Interpretation alle Rollen: Adèle Haenel gibt Fritz und die anderen Kinder, Henrietta Wallberg die Erwachsenen.

Henrietta Wallberg gibt die Erwachsenen.
Foto: Estelle_Hanania

Nachdem die Puppen von einem Bühnentechniker rührend umsichtig hinausgetragen worden sind, betreten die beiden in aufreizender Slow Motion die Bühne. Diese asynchronen Bewegungen sind es, die gemeinsam mit der von Keuchen und Schmatzern durchzogenen Körperlichkeit der Sprache, dem Licht, das den weißen Raum in elektrisches Blau, grelles Pink oder warmes Orange taucht, und dem verzerrten, oft unerträglich lauten Sound (Stephen F. O’Malley, François J. Bonnet) eine unheimliche Atmosphäre erzeugen, die fast augenblicklich die aufgewühlte, unsichere Erlebniswelt der Jugend heraufbeschwört.

Adèle Haenel stürzt sich ohne jeden Rückhalt in diese Welt, sie krümmt und windet sich, man sieht ihr an, wie es sie quält – nur der Folterer bleibt unsichtbar. Und genau das ist, worum es Vienne geht:

"Mich interessiert, wie unsere Wahrnehmung aufgebaut ist – man versucht uns weiszumachen, Wahrnehmung wäre etwas Natürliches, tatsächlich aber ist sie kulturell und sozial überformt, sie ist zutiefst politisch. Machtverhältnisse werden hier naturalisiert. Ich will dieses System nicht nur verstehen, sondern auch infrage stellen."

Dass sie sich nun ein Stück über die verwirrende Phase der Adoleszenz vorgenommen hat, ist genauso wenig Zufall wie die Tatsache, dass sie es sprachlich an die Gegenwart anbindet – immerhin ist die gesellschaftliche Disziplinierungsmaschine nicht einfach verschwunden, sie ist heute nur schwerer zu erkennen.

Keine private Krise

"Besonders brutal äußert sich der Kampf gegen diese Autoritätsstruktur während der Pubertät, wo die sozialen Normen mit Gewalt in das intimste Empfinden eingeschrieben werden: So sollst du fühlen, lieben und begehren, so sollst du leben! Doch dieser Kampf dauert ein Leben lang." Dass das nicht nur für Pubertierende, sondern gerade auch für Frauen und Mütter gilt, zeigt eindrucksvoll Henrietta Wallberg:

Sie bewegt sich in ihrer Mutterrolle fast, als wäre ihr ein Kreuz auferlegt, und man wundert sich nicht, dass sie dem Leid des Sohnes hilflos gegenübersteht – scheint sie doch nicht einmal ihr eigenes Los greifen zu können. Der Trick ist, dass die sozialen Rollen als Natur verkauft werden: "Ich bin jetzt 46", sagt Vienne, "und ich habe Jahre gebraucht, um zu verstehen, worin dieser Kampf eigentlich besteht: Es ist nicht meine private Krise, es ist strukturell. Diese Gefühlspolitik ist gerade deshalb so desorientierend und manipulativ, weil sie verschleiert und naturalisiert wird. Dieses politische System der strukturellen Ungleichheit soll stürzen." (Andrea Heinz, 23.5.2022)