Einstieg durchs Fenster, Abgang durch den Schrank: "Der Talisman" in St. Pölten mit Florian Carove, Emilia Rupperti und Laura Laufenberg (v. li.).

Alexi Pelekanos

Der Vorhang am Landestheater Niederösterreich hebt sich und gibt den Blick frei auf ein prächtiges Stück Knusperhäuschentheater. Eine schnuckelige Villa mit Geranien und Vorgärtchen steht in Technicolorfarben der Rampe zugewandt. Davor ein Bällebad als Schwimmteich, in den schon bald ein adretter Marquis unfreiwillig baden geht. Das Theaterduo Alexander Pschill und Kaja Dymnicki, die im Wiener Theater Bronski & Grünberg seit fünf Jahren alte Stoffe mit der Humorkeule zurechtklopfen, hat hier Nestroys Talisman in die 1950er-Jahre verfrachtet. Mit Wasserskispaß und Schlagermusik.

Die erstmals 1840 aufgeführte Posse über die Rothaarigkeit ist eine Aufstiegskomödie, die sich vorwiegend unter Bediensteten abspielt. Der rotschopfige Titus Feuerfuchs (Florian Carove) rattert – mit einer Schwarzhaarperücke ausgestattet – die Karriereleiter vom Gärtnergehilfen bis zum persönlichen Sekretär des Schlossherren nur so hinauf. Synchron dazu lässt das Kunsthaar die Herzen der Hausdamen (Doris Hindinger, Emilia Rupperti) durchdrehen, die in Petticoat und mit Rockabilly-Tollen ganz der Werbeästhetik der Fifties entsprechen (Kostüme: Lejla Ganic).

Die Magd Salome Pockerl (Laura Laufenberg) wiederum, selbst rotkopfert, findet den Titus attraktiv, gerade wegen seiner roten Haare. Dabei gibt der Titelheld in der neuen Textfassung von Dymnicki/ Pschill nicht den guten Außenseiter ab, sondern einen durchaus berechnenden und an keinerlei gesellschaftlichen Umstürzen interessierten Opportunisten: "Ich will die Welt nicht verändern, ich will mich selber da oben sehen!"

Schablonen der 50er-Jahre

Das Regieduo setzt dazu an, Nestroy kräftig durchzulüften und auch mit überholten Stereotypien zu brechen. Eine von Salome eingangs gehaltene Standpauke lehrt blinden Traditionshütern gleich einmal das Fürchten. Doch dann bleibt bis auf ein paar kritische À-part-Kommentarsätze alles beim Alten und den Schablonen der Fünfziger verhaftet. Dass zum Happy End die Braut bei ihrer Hochzeit ein Wörtchen mitzureden gedenkt, kann man schwer als "progressiven Boulevard" bewerten, für den das Regiepaar steht.

Die Aufführung, die in der kommenden Spielzeit weiter zu sehen sein wird und die am 31. August auch an der Bühne Baden gastiert, verfügt aber über ein paar schmucke Details und ist sprachlich neu durchgewürzt. Jedem Zeitalter seine Rotschopf-Synonyme: "Lavabuschn", "Blutwuckerl", "Rosthoden", "Sozilocke"! Oder auch: "Toupet oder not to pay?"

Die Inszenierung scheut auch keine Nähe zum burlesken Bauerntheaterstil, der hier im Auftritt des Villenbesitzers gipfelt. Herr von Cypressenburg (im Original ursprünglich eine Frauenrolle, hier Christian Dolezal) malt als Heinz-Conrads-Double halsbrecherisch die Karikatur eines schmählich untalentierten Schriftstellers aus. Das Sommertheater lässt schon grüßen. (Margarete Affenzeller, 23.5.2022)