Vor der Karlskirche sorgte am 2. Oktober das Aufeinandertreffen zweier Kundgebungen für Unruhe – und indirekt zu einer Privatanklage durch einen Polizisten.

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Wien – Gerade bei Medienprozessen geht es in aller Regel in den Gerichtssälen recht gesittet zu. Die Hauptbeteiligten sind Juristinnen und Juristen, die das Prozedere kennen, das öffentliche Zuseherinneninteresse ist meist eher gering, es wird also überwiegend sachlich und trocken verhandelt. Im von Chefinspektor A. angestrengten Verfahren gegen Thomas Walach ist das nicht ganz so: Selten ist in einem Verhandlungssaal der Begriff "Oaschloch" so häufig gefallen wie an diesem Montagvormittag.

Dass Richter Stefan Romstorfer, Antragsstellervertreter (entspricht einem Staatsanwalt) Thomas Preisinger und Antragsgegnervertreter Volkert Sackmann (das Pendant zu einem Verteidiger) die Austrittsöffnung des Darmkanals so oft ins Spiel bringen, liegt aber nicht daran, dass sie Volksnähe versprühen wollen, sondern an der Sachlage. Journalist und Herausgeber Walach hatte im Vorjahr auf Twitter den Polizisten in einem Beitrag als "kriminelles Oaschloch" bezeichnet, und das wollte sich der Beamte nicht gefallen lassen.

Maßnahmengegner und Maßnahmengegner-Gegner

Es geht um einen Einsatz am 2. Oktober, als zwei Demonstrationen beim Resselpark aufeinandertrafen. Auf der einen Seite die Gegner der Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, auf der anderen die Maßnahmengegner-Gegner auf Fahrrädern. Da es zu Reibereien gekommen sein soll, wurden Chefinspektor A. und sein Zug hinbeordert, um die Manifestanten zu trennen.

Die Trennung gelang nicht ganz reibungsfrei: Auf Videos ist zu sehen, dass A. einem Mann die Kappe vom Kopf schlägt und der bullige Beamte dann noch einen Tritt setzt. Wen oder was er tritt, ist nicht zu sehen. Es sei der Hinterreifen eines Fahrrads gewesen, erzählt A. als Zeuge dem Richter. Es sei der Fahrraddemonstrant gewesen, war Walach damals überzeugt. Weshalb er den inkriminierten Tweet verfasst habe, als er das Video sah.

Ein Polizeieinsatz im Resselpark hat einen Journalisten erzürnt.

Chefinspektor A. beteuerte schon beim von der Staatsanwaltschaft eingestellten Strafverfahren gegen ihn, dass es ihm leidtue, dass er den Demonstranten am Kopf erwischt habe, der müsse sich gebückt haben, als er ihn mit "maßhaltenden Handballenstößen" auf den Rücken zum Verlassen der Örtlichkeit bringen wollte. Getreten habe er ihn aber sicher nicht.

"Welche Auswirkungen hatte der Tweet auf Sie?", fragt Richter Romstorfer den Zeugen. "Keine", antwortet der. Er habe über Kollegen davon erfahren, im privaten Umfeld sei er nur von einer Person darauf angesprochen worden. Konsequenzen habe es aber keine gegeben. Antragsgegnervertreter Sackmann, in einem früheren Leben selbst Staatsanwalt, ortet dagegen System: Neun Anzeigen gegen A. habe es bereits gegeben, sieben davon seit 2018. Was der Inhalt dieser Anzeigen gewesen sein, will dieser vom Chefinspektor wissen. Der ist überrascht und will von einem Großteil dieses Verfahren nichts gewusst haben. Er sei seit 30 Jahren im Polizeidienst und unbescholten.

"Kriminell" versus "unverantwortlich, schlimm und rücksichtslos"

Angeklagter Walach wiederum beteuert, mit "kriminell" habe er "unverantwortlich, schlimm und rücksichtslos" gemeint, so empfinde er A.s Einsatz immer noch. "Wie viele Follower haben Sie auf Twitter?", interessiert Romstorfer. "Im Moment rund 27.000. Damals werden es weniger als 20.000 gewesen sein", bewegt sich der Angeklagte noch nicht in digitalen Kardashian-Sphären. "Und wie werden die 'kriminelles Oaschloch' verstehen?", will der Richter wissen. "Als Wertung für etwas 'zutiefst Unmoralisches'", ist Walach überzeugt.

Antragsgegnervertreter Sackmann wird in seinem Schlusswort noch deutlicher. Die Videos würden "sinnlose Polizeigewalt" zeigen. Als er die Aufnahmen zum ersten Mal gesehen habe, sei sein erster Gedanke gewesen: "Was ist das für ein ... – aber ich sage es jetzt nicht." Die in den Filmen ersichtlichen Abläufe hätten es sehr wohl nahegelegt, dass der Polizist einen Demonstranten getreten habe, daher sei ein Tatsachensubstrat vorhanden gewesen, selbst wenn die Anklagebehörde das anders sieht. Sicher: "Oaschloch ist nicht die feine Englische", gesteht Sackmann zu, die Empörung seines Mandanten sei aber nachvollziehbar.

500 statt 10.000 Euro Entschädigung

Chefinspektor A., der 10.000 Euro von Walach wollte, bekommt von Romstorfer schließlich 500 Euro Entschädigung zugesprochen. Nicht wegen "kriminelles", da man aufgrund der Aufnahmen durchaus gesetzeswidriges Verhalten vermuten könnte, stimmt der Richter Sackmann zu. Aber "Oaschloch" sei schlicht eine Beschimpfung und daher strafbar.

Nach kurzer Beratung bieten der Angeklagte und sein Rechtsvertreter der Gegenseite an, statt der 500 Euro an den Kläger 1.000 Euro an das St.-Anna-Kinderspital zu zahlen, was aber abgelehnt wird. Schlussendlich akzeptieren alle Beteiligten den Richterspruch, das Urteil ist daher rechtskräftig. Den Fahrraddemonstranten mit der Kappe konnte bisher übrigens niemand ausfindig machen, um ihn nach seiner Sicht der Dinge zu fragen. (Michael Möseneder, 23.5.2022)