Zahlreiche Aktivisten, Journalisten und Politiker hatten die UN-Sonderkommissarin Michele Bachelet gewarnt: Mit ihrem Besuch in der chinesischen Unruheprovinz Xinjiang würde sie mehr Schaden als Nutzen anrichten. Doch Bachelet ist am Montag in Kashgar eingetroffen, um sich selbst ein Bild von den gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu machen.

Michele Bachelet stößt mit ihren Reiseplänen nicht nur auf Zustimmung.
Foto: Fabrice COFFRINI / AFP

Vorausgegangen war der fünftägigen Tour ein monatelanges Tauziehen zwischen Vereinten Nationen und Peking. Human Rights Watch, der Weltkongress der Uiguren, aber auch die Interparlamentarische Allianz (IPAC), der unter anderem der deutsche Grüne Reinhard Bütikofer und die britischen Abgeordneten Helena Kennedy und Iain Duncan Smith angehören, kritisieren das Vorhaben. Sie sprachen von einer "Potemkischen Tour".

Peking werde Covid-Maßnahmen als Ausrede nutzen, um der Kommission keinen Zugang zu sensiblen Punkten zu gewähren. Gelinge es Bachelet nicht, Zugang zu den Lagern zu bekommen, könne sie dem Ansehen und Ruf des UNHCHR (United Nations High Commissioner for Human Rights) sogar schaden.

Bärendienst?

Tatsächlich sind die Befürchtungen, die ehemalige chilenische Präsident könnte dem Regime einen Bärendienst erweisen, gerechtfertigt. Wie soll sich Bachelet ein realistisches Bild machen können, wenn dies Korrespondenten nur unter Bewältigung schwerster Schikanen gelingt?

Wer in die nordwestliche Provinz einreist, wird auf Schritt und Tritt überwacht. Noch vor zwei Jahren hatten das Sicherheitsbeamte übernommen, die den Journalisten hinterherschlichen. Mittlerweile hat Peking das System der Überwachungskameras perfektioniert. Nur wer sich in die Nähe neuralgischer Punkte bewegt, merkt noch etwas von der Überwachung. Dann tauchen nämlich sofort wieder Männer in Zivil auf und verscheuchen die Fremden.

Neuralgische Punkte können die zahlreichen Lager sein, in denen bis zu 1,5 Millionen Uiguren eingesperrt sind und Gehirnwäsche und Folter erleiden. Aber auch ein Uigure selbst kann das sein.

Permanente Interventionen

"Mir ist es in einer Woche nicht gelungen, mit einem Uiguren zu sprechen", erzählt eine Radioreporterin aus den Niederlanden. "Wann immer ich es versuchte, tauchten Sicherheitsleute auf. Selbst als ich eine Uigurin beim Singen eines Liedes aufnahm, forderten mich Beamte auf, das zu löschen."

Ein anderer Kollege erzählt, er habe vorgefertigte Fragen auf sein Handy getippt und dann im Zug so getan, als sei ihm das Gerät auf den Platz des Nachbarn gefallen. Dieser konnte dann Fragen wie "Warst du im Lager?" oder "Bist du gefoltert worden?" mit Nicken beantworten.

Ab 2014 hatte die Führung unter Xi Jinping angefangen, mit grauenhaften Methoden gegen die muslimische Minderheit der Uiguren vorzugehen. Begann die Repression zunächst mit Schikanen und Hausdurchsuchungen, wurden bald "Umerziehungslager" errichtet, in denen Menschen mehrere Monate lang unter schlimmsten Bedingungen festgehalten wurden.

Es kam zu massenhaften Zwangsterilisationen, Gehirnwäsche und Folter. Wer das Lager überlebt, findet sich in einem gigantischen Freiluftgefängnis wieder, da Peking in der Provinz Überwachungstechnologie erprobt, die später im ganzen Land Anwendung findet.

Schwierige Recherchen

Nur durch die langwierige Arbeit von Aktivisten wie Adrian Zenz wurden die Vorgänge der Weltöffentlichkeit nach und nach bekannt. Zenz hatte hunderte von chinesischen Dokumenten und Satellitenaufnahmen ausgewertet. Hinzu kommen Berichte von dutzenden Überlebenden der Lager, denen die Flucht ins Ausland gelungen ist.

Peking hatte die Existenz der Lager zunächst bestritten, später von "Ausbildungszentren" gesprochen. Hinter den Vorwürfen steckten "anti-chinesische Kräfte". Mittlerweile hat die Kommunistische Partei Chinas ihre Propaganda-Anstrengungen intensiviert, um Besuchern in organisierten Touren eine "blühende Provinz" vorzuzeigen. (Philipp Mattheis, 23.5.2022)