Amber Heard und Johnny Depp Anfang Mai vor Gericht in Fairfax im US-Bundesstaat Virginia. Auch wenn das Urteil im Verleumdungsprozess noch aussteht, hat der Prozess in der Gesellschaft seine Spuren hinterlassen.

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Seit Mitte April tragen die Hollywood-Stars Johnny Depp und Amber Heard einen Rechtsstreit aus – vor den Augen aller Welt, denn jeder Moment des Prozesses kann live mitverfolgt werden. Für Freitag sind die Schlussplädoyers angekündigt, danach werden die Geschworenen sich zu Beratungen zurückziehen. Auch wenn das Urteil noch aussteht, hat der Prozess in der Gesellschaft seine Spuren hinterlassen. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen und Antworten in dem Fall. Ein Hinweis vorab: Im folgenden Text sind teilweise detaillierte Schilderungen einzelner Gewaltvorwürfe enthalten.

Frage: Wer sind Johnny Depp und Amber Heard?

Antwort: Johnny Depp ist ein prominenter Oscar-nominierter Schauspieler, bekannt vor allem durch seine Rolle in den "Fluch der Karibik"-Filmen. In den vergangenen Jahren hat der 58-Jährige allerdings kaum mehr in bekannten Filmen mitgespielt, er macht dafür seine frühere Ehefrau Amber Heard verantwortlich. Die 36-Jährige ist ebenfalls Schauspielerin, spielte etwa in "Aquaman" oder "Zombieland", sie ist aber weit weniger berühmt als Johnny Depp. Die beiden lernten sich 2009 am Filmset von "Rum Diary" kennen, zwischen 2015 und 2017 waren sie 15 Monate lang verheiratet.

Frage: Wer klagt wen?

Antwort: Depp hat gegen Heard im Jahr 2019 Klage wegen Verleumdung eingereicht. Er wirft ihr vor, seiner Karriere mit falschen Anschuldigungen der häuslichen Gewalt schwer geschadet zu haben, und fordert 50 Millionen Dollar (knapp 48 Millionen Euro) Schadenersatz. Heard hat 2020 mit einer Gegenklage wegen Verleumdung reagiert, weil Depps Anwalt ihre Vorwürfe als erfunden bezeichnet hatte. Sie verlangt 100 Millionen Dollar Schadenersatz. Verhandelt werden nun beide Klagen.

Frage: Welche Anschuldigungen hat Heard damals erhoben?

Antwort: In einem Beitrag für die "Washington Post" aus dem Jahr 2018 hat sich Heard als "öffentliche Figur, die häusliche Gewalt repräsentiert" bezeichnet. Sie konkretisiert die Gewalt nicht und nennt Depp auch nicht namentlich, doch aufgrund des zeitlichen Rahmens ist klar, dass er gemeint ist: Im Mai 2016 hatte Heard eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt und die Scheidung eingereicht, wenig später war sie mit Verletzungen im Gesicht auf dem Cover des "People Magazine" zu sehen. Die Frage im Prozess ist also: Sind die Angaben in Heards Text in der "Washington Post" wahr oder falsch? Wenn die Geschworenen keinem einzigen Vorwurf Heards Glauben schenken, wäre Depp im Recht. Die Jury fällt kein Urteil darüber, ob Heard jemals selbst gewalttätig gegenüber Depp gewesen ist.

DER STANDARD

Frage: Wurde Johnny Depp nicht bereits wegen Gewaltvorwürfen verurteilt?

Antwort: Nicht direkt. 2020 wurde Depps Verleumdungsklage gegen die Boulevardzeitung "Sun" und deren Chefredakteur Dan Wootton abgewiesen. Wootton hatte in einem Text geschrieben, dass Depp Heard körperlich misshandelt habe. Im Titel wurde er wörtlich als "Ehefrauenschläger" bezeichnet. Für den Richter erwiesen sich damals zwölf der 14 Vorwürfe im "Sun"-Artikel als wahr. Heard sei "das Opfer anhaltender und mehrfacher Angriffe" von Johnny Depp gewesen, hieß es in dem Urteil. Das war allerdings ein Prozess in Großbritannien gegen eine Zeitung, die Heards Vorwürfe übernommen hatte. Depp verklagt Heard nun direkt und in den USA.

Frage: Wie ist der Prozess abgelaufen?

Antwort: Zunächst war Depps Anwaltsteam am Wort, auch der Schauspieler selbst sagte aus. Er beschrieb eine schwierige Kindheit mit Angst vor den häufigen Gewaltausbrüchen und Prügeln seiner Mutter. Schon als Jugendlicher habe er Drogen probiert, später sei er jahrelang von Opioid-Schmerzmitteln abhängig gewesen. Heard sprach von verbalem und physischem Missbrauch, vor allem wenn Depp betrunken gewesen sei oder unter Drogeneinfluss gestanden habe. Er habe sie immer wieder beschuldigt, ihn zu betrügen, ihr ins Gesicht geschlagen oder sie an den Haaren durchs Zimmer gezerrt. Der Prozess ging insgesamt deutlich mehr ins Detail, als sich das viele vermutlich vorgestellt bzw. erhofft hatten.

Frage: Warum?

Antwort: Das lag auch an der fast exzessiven Dokumentation der Kommunikation zwischen den beiden. Tonbandaufnahmen zahlreicher Gespräche wurden vor Gericht abgespielt. In einer gibt Heard zu, Depp geschlagen zu haben, und verhöhnt ihn mit den Worten: "Geh doch an die Öffentlichkeit, sag: 'Ich, Johnny Depp, ein Mann, bin auch Opfer häuslicher Gewalt.'" Das Gericht urteilt aber wie erwähnt nicht darüber, ob Heard jemals gewalttätig war. Depp beleidigte Heard seinerseits in zahlreichen Nachrichten. Er bezeichnete sie etwa als "wertlose Schlampe" und beschrieb, wie er sie zuerst ertränken, dann anzünden und anschließend vergewaltigen wolle. Depp sagte aus, dass er sich für die Nachrichten schämen würde, und rechtfertigte sich mit einem "gewissen Level an Kreativität und Übertreibung" in seiner Art zu schreiben. Er sei aber gegenüber Heard – und auch keiner anderen Frau – jemals gewalttätig gewesen. Im "Sun"-Prozess hatte er zugegeben, Heard "versehentlich" einen Kopfstoß verpasst zu haben. Im aktuellen Prozess erregten einige Vorfälle medial mehr Aufmerksamkeit als andere.

Frage: Was ist der Fingervorfall?

Antwort: Einig sind sich die beiden, dass es um einen Vorfall im März 2015 in Australien geht. Depp zufolge sei Heard wegen eines möglichen Ehevertrags wütend gewesen. Sie habe eine Wodkaflasche nach Depp geworfen, die auf seiner Hand zerbrochen sei. Dabei sei ihm die Fingerkuppe abgetrennt worden. "Ich habe direkt auf meinen herausstehenden Knochen geschaut", so Depp vor Gericht. Heard zufolge sei Depp aggressiv geworden, nachdem er ihr vorgeworfen hatte, ihn zu betrügen. Er habe sie attackiert, ihr ins Gesicht geschlagen, sie durch den Raum geworfen, sie am Hals gepackt, ihr Nachthemd zerrissen und sie mit einer Flasche vergewaltigt. Sie habe eine Flasche auf den Boden geworfen, er habe mehrere nach ihr geworfen, sie aber nicht getroffen. Den Finger habe er sich verletzt, als er ein Telefon von der Wand auf den Boden warf und es in Stücke zerbrach. "Ich hatte in meinem Leben noch nie so viel Angst", sagte Heard vor Gericht. Im Krankenhaus gab Depp nicht an, dass Heard verantwortlich gewesen sei. "Ich wollte nicht, dass sie Schwierigkeiten bekommt", sagte Depp dazu vor Gericht. Depp schrieb mit dem Blut seines verletzten Fingers Beleidigungen auf einen Spiegel, damals wurden davon auch Fotos öffentlich.

Frage: Was ist der Treppenvorfall?

Antwort: Nach ihrer Rückkehr aus Australien im März 2015 kam es offenbar erneut zu einem gewaltsamen Streit. Heard und Depp beschuldigen sich gegenseitig, die jeweils andere Person mit einer Getränkedose beworfen zu haben. Heards Angaben zufolge sei Depp dann auf einer Treppe zu ihr und ihrer Schwester Whitney Henriquez gestürmt. Henriquez habe versucht, zwischen das Paar zu gehen, und Depp habe in ihre Richtung ausgeholt. Daraufhin habe Heard ihm ins Gesicht geschlagen, weil sie befürchtet habe, er würde Henriquez die Treppe hinunterstoßen. "Ich dachte in meinem Kopf sofort an Kate Moss und die Treppe", sagte Heard vor Gericht. Über die Beziehung zwischen Depp und dem Model Kate Moss kursiert das Gerücht, dass er sie Treppe hinuntergestoßen haben soll. Moss bestritt am Mittwoch bei ihrer Aussage vor Gericht, dass dies passiert sei.

Heards Schwester sagte aus, Depp habe sie damals "irgendwie in den Rücken geschlagen". Heard habe ihn daraufhin angeschrien und geschlagen. Depps Leibwächter habe versucht, dazwischenzugehen, "aber zu diesem Zeitpunkt hatte Johnny Amber bereits mit einer Hand an den Haaren gepackt und ihr mit der anderen wiederholt ins Gesicht geschlagen", berichtete Henriquez. Depp bestreitet, handgreiflich geworden zu sein. Sein Bodyguard sagte vor Gericht aus, nicht gesehen zu haben, dass Depp Heards Schwester angegriffen hat.

Frage: Was ist der Fäkalienvorfall?

Antwort: Depp macht Heard bzw. einen ihrer Freunde dafür verantwortlich, im April 2016 Fäkalien in ihrem gemeinsamen Bett hinterlassen zu haben. Depps Chauffeur und Bodyguard sagte vor Gericht aus, dass Heard ihm gegenüber von einem "grauenvollen Scherz, der schiefging" gesprochen habe. Heard bestritt vor Gericht, dass sie die Fäkalien im Bett hinterlassen habe. An ein Gespräch mit dem Chauffeur dazu könne sie sich nicht erinnern. Ihre Erklärung: Einer der Hunde habe "Probleme mit der Stuhlkontrolle" und schon zuvor Fäkalien im Bett hinterlassen. Am 21. Mai 2016 habe Depp sie mit den Vorwürfen konfrontiert, sei aggressiv geworden und habe ihr ein Telefon ins Gesicht geworfen, sagte Heard vor Gericht aus und legte Bilder ihres geröteten und geschwollenen Gesichts vor. Die Metadaten bestätigen den Zeitpunkt. Ihre Schwester sagte aus, sie am nächsten Tag mit Verletzungen im Gesicht gesehen zu haben. Am nächsten Tag entschuldigte sich Depp in einer Nachricht bei Heard, er schrieb: "Der Schmerz dir gegenüber ist verflogen." Er bestreitet, dass er sich dafür entschuldigt habe, sie mit dem Telefon im Gesicht getroffen zu haben. Kurz nach dem Vorfall reichte Heard die Scheidung ein und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen Depp.

Frage: Wie wurden die beiden Seiten im Prozess wahrgenommen?

Antwort: Den Kampf um die Sympathie der Öffentlichkeit hat Johnny Depp für sich entschieden. Die Hashtags #JusticeForJohnnyDepp ("Gerechtigkeit für Johnny Depp") und #JohnnyDeppIsInnocent ("Johnny Depp ist unschuldig") gingen schon kurz nach Prozessbeginn viral. Vor Gericht gab er sich oft locker und ironisch, viele seiner Aussagen oder Bewegungen wurden zu Memes, die online milliardenfach gesehen und geteilt wurden. Heard wurde hingegen oft fertig- oder lächerlich gemacht, ihre Aussagen in sozialen Medien parodiert. Sie wurde als manipulativ dargestellt, ihr wurde vorgeworfen, ihre Aussagen wirkten einstudiert. #JusticeForJohnnyDepp wurde auf Tiktok (Stand Anfang der Woche) mehr als 15 Milliarden mal aufgerufen, #IStandWithAmberHeard kam auf rund 8,2 Millionen. Nach dem "Fäkalienvorfall" trendeten die Hashtags #AmberTurd und #MePoo. Millionen unterschrieben Petitionen, die zu einem Ausschluss der Schauspielerin aus dem Film "Aquaman 2" aufrufen. "Ich werde jeden einzelnen Tag belästigt, gedemütigt und bedroht", sagte Heard am Donnerstag vor Gericht. "Menschen wollen mich umbringen und das erzählen sie mir jeden Tag."

Fehler und Peinlichkeiten ihres Anwaltsteams wurden in sozialen Medien ausgeschlachtet: von Einsprüchen, die gegen eigene Fragen erhoben wurden, bis hin zu falschen Namen, mit denen sie Zeug:innen oder Produkte an- bzw. aussprachen. Einiges davon wurde aber deutlich übertrieben: Der Ausdruck "mega pint of wine", über den sich Depp während seiner Befragung durch Heards Anwalt lustig machte, wurde zum Meme und ist mittlerweile auf T-Shirts gedruckt erhältlich. Dabei hat Depp ihn selbst im Prozess gegen die "Sun" im Jahr 2020 benutzt – Heards Anwalt hat ihn zitiert.

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Als es darum ging, welche Make-up-Palette Heard zum Kaschieren von Verletzungen ständig bei sich trug, ging ein Tiktok-Video von Milani Cosmetics viral. Die Firma hält darin fest, dass ihr Concealer Kit erst seit 2017 auf dem Markt ist. Da waren Heard und Depp bereits getrennt. Zwar sieht die vor Gericht gezeigte Palette aus wie jene von Milani, doch weder Heard noch ihre Anwältin nannten vor Gericht einen konkreten Markennamen.

Immer wieder wurden Heard widersprüchliche Aussagen und Lügen vorgeworfen. Natürlich ist es wichtig, vor Gericht auf Ungereimtheiten hinzuweisen – wenn es sich denn um tatsächliche Widersprüche handelt und sie auch die konkreten Vorwürfe betreffen. Nicht jeder Aspekt ist wichtig für den Prozess und Heards Glaubwürdigkeit: So spielt es etwa keine Rolle, ob sie einmal gesagt hat, sie sei ein Depp-Fan gewesen – und später sagte: Nein, das war sie zu diesem Zeitpunkt doch nicht.

Viele Medien sahen Heards Glaubwürdigkeit beschädigt, als sich herausstellte, dass sie erst 1,3 Millionen US-Dollar der versprochenen 3,5 Millionen aus ihrer nach der Scheidung erhaltenen Abfindung an die ACLU gespendet hat. Doch die Zahlung wurde im Jahr 2016 über einen Zeitraum von zehn Jahren vereinbart und Heard informierte die Organisation 2019 über "finanzielle Schwierigkeiten". Auch unabhängig davon würde eine nicht-getätigte Spende nicht belegen, ob sie jemals Gewalt durch Depp erfahren hat oder nicht – und dieser Frage geht das Gericht nach.

Auch die Aussage von Kate Moss wurde Heard als Widerspruch ausgelegt. Dabei kann ihr das Gerücht, dass Depp seine Ex-Freundin die Treppe hinuntergestoßen habe, sehr wohl im Kopf herumspuken, auch wenn die Betroffene abstreitet, dass das jemals passiert ist.

Auffällig ist auch, dass Depp Lügen oder Widersprüche nicht zum Verhängnis werden: etwa, dass er nach dem "Fingervorfall" im Krankenhaus von einem Unfall sprach und nun Heard beschuldigt. Gleichzeitig muss bei Aussagen in Fällen häuslicher oder sexualisierter Gewalt im Hinterkopf behalten werden, dass sich Opfer nicht immer an jedes Detail erinnern.

Frage: Welche Auswirkungen wird der Prozess haben?

Antwort: Der Prozess hat eine wahnsinnige Reichweite, vor allem in den sozialen Medien. Viele junge Menschen kommen etwa auf Tiktok so erstmals mit Vorwürfen rund um häusliche und sexualisierte Gewalt in Berührung. Opferschutzorganisationen befürchten, dass Gewaltopfer sich womöglich künftig seltener trauen werden, mit ihren Vorwürfen an die Öffentlichkeit oder zu den Behörden zu gehen, vor allem, wenn es Prominente betrifft.

Frage: Wie geht es im Prozess nun weiter?

Antwort: Die Schlussplädoyers beginnen am Freitag, danach wird die siebenköpfige Jury zu Beratungen zusammenkommen. Das Urteil muss einstimmig ausfallen. Anders als bei Strafverfahren müssen die Geschworenen die Beweise aber nicht "ohne jeglichen begründeten Zweifel" überzeugend finden. Damit eine der beiden klagenden Seiten den Prozess gewinnt, müsste die Jury urteilen, dass jemand mit größerem Gewicht von Beweisen verleumdet wurde und der oder die Beklagte vorsätzlich gehandelt hat – Letzteres gilt als schwer zu belegen. Allerdings besteht die Jury ausschließlich aus Laienrichter:innen. Welchen Einfluss die öffentliche Debatte auf ihr Urteil hat, ist unklar. (Noura Maan, 27.5.2022)