Bildungsminister Pap Ndiaye.

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Am Montag waren in Paris alle Kameras auf ihn gerichtet: Bildungsminister Pap Ndiaye war der Star der ersten Regierungssitzung unter dem wiedergewählten Staatschef Emmanuel Macron. Ein Star wider Willen: Der 56-jährige Geschichtsprofessor, Sohn eines Senegalesen und einer Französin, Bruder der in Berlin wohnhaften Starautorin Marie NDiaye (die ihren Namen anders schreibt), steht im Mittelpunkt einer wüsten Polemik, die so gar nicht passen will zu seiner sehr diskreten und kultivierten Art.

Ndiaye war am Freitag erst ein paar Minuten ernannt, da fiel die Rechtspopulistin Marine Le Pen schon über ihn her. Seine Berufung sei "erschreckend", denn der neue Minister vertrete den "US-Wokismus", also eine gesteigerte Form der politischen Korrektheit. Der rechte Ex-Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour schalt Ndiaye einen "Rassialisten", der alles auf die Frage der Hautfarbe reduziere; und Éric Ciotti von den bürgerlichen Republikanern bezeichnete ihn als "Links-Islamisten" (islamogauchiste).

Anerkannter Akademiker

Erschreckend war vor allem die sachliche Unkenntnis dieser Kritik. Ndiaye ist, wie der Zentrumspolitiker Jean-Louis Bourlanges klarstellte, ein angesehener und anerkannter Akademiker, der an der Elite-Uni Sciences Po unterrichtete, bevor er Direktor des Immigrationsmuseums in Paris wurde. Sein Spezialgebiet war ursprünglich die Rassen- und Minderheitenfrage in den USA, wo er breite Feldstudien betrieb.

Radikal ist Ndiaye mitnichten: 2012 votierte er für den gemäßigten sozialistischen Ex-Präsidenten François Hollande, und zu den teils zensurierenden Akademikerbräuchen in den USA befand er, er sei "eher cool als woke".

Frankreich hatte schon andere schwarze Minister, etwa Kofi Yamgnane, Rama Yade oder sogar in der Kolonialzeit Léopold Sédar Senghor. Pap Ndiaye wird pikanterweise auch deshalb attackiert, weil er Bildungsminister und Vorsitzender der Education nationale ist. Dieser Verwaltungsapparat von mehr als einer Million Lehrerinnen und Beamten ist Symbol, Stützpfeiler und Stolz der ganzen Republik.

Bis spät ins 20. Jahrhundert rezitierten auch afrikanische Schulkinder aus Ländern mit französischer Kolonialgeschichte den republikanischen Spruch von "unseren Vorfahren, den Galliern" (nos ancêtres les Gaulois). Dass ein Schwarzer heute den Apparat der Bildungsnation Frankreich leitet, kommt deshalb einzelnen Bürgern noch heute wie eine Umkehrung der gottgegebenen Verhältnisse vor.

Strategische Gründe

Andere lächeln heute über das "republikanisch" verdrehte Geschichtsbild der gallischen Urväter Afrikas. Etwas geblieben scheint davon aber trotzdem: Sonst würde die Nominierung eines Afrofranzosen nicht über Kolonialnostalgiker hinaus als Anmaßung empfunden. In Wirklichkeit gab es in der Geschichte der Fünften Republik kaum einen Schulminister, der einen höheren Bildungsgrad vorweisen konnte.

Wenn die Ultranationalisten gegen den neuen Minister vom Leder ziehen, hat dies allerdings einen weiteren, ebenso verdeckten Grund. In einem gewissen Sinn wird Ndiaye durchaus als Statist missbraucht – nämlich von Emmanuel Macron selbst. Der wiedergewählte Präsident bringt zwar ein ehrliches Engagement für die Chancengleichheit und die Förderung der Banlieue-Jugend mit. Vor den Parlamentswahlen im Juni ist Macron aber auch bemüht, speziell die Wähler aus den Einwandererzonen anzusprechen. Sie haben bei den Präsidentschaftswahlen von April vorwiegend für den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon gestimmt.

Schlägt Mélenchon in den Banlieues auch im Juni zu, müsste ihn Macron wohl zu seinem Premierminister ernennen – ein Albtraum für den Präsidenten. Auch diesem Umstand verdankt Ndiaye seine eher überraschende Ernennung. (Stefan Brändle aus Paris, 24.5.2022)