Teil der Xinjiang Police Files sind insgesamt 5.074 Fotos, die von der Strafverfolgungsbehörde zwischen Jänner und Juli 2018 aufgenommen wurden.

Foto: DerSpiegel/Xinjiang Police Files

Tausende Häftlingsfotos, geheime Reden chinesischer Funktionäre, Schulungsunterlagen der Sicherheitsbehörden und schier endlose Internierungslisten: Ein neues Datenleak mit dem Titel "Xinjiang Police Files", das der STANDARD-Partner DER SPIEGEL gemeinsam mit 13 anderen Medienhäusern aus aller Welt ausgewertet hat, offenbart die willkürliche und massenhafte Internierung der Uiguren in der Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas. Es enthält Fotos aus dem Inneren von Umerziehungslagern, in denen die Regierung aus Peking die Volksgruppe der Uiguren zur Assimilierung zwingt. Auch mit gewaltsamen Methoden.

Die Dokumente sind Teil des bisher umfassendsten Leaks über die chinesischen Umerziehungslager. Für die Veröffentlichung aufbereitet haben sie Journalistinnen und Journalisten von 14 Medienhäusern – darunter die britische BBC, "Le Monde" in Frankreich, "El País" in Spanien und in Deutschland DER SPIEGEL sowie der Bayerische Rundfunk.

Die Publikation der "Xinjiang Police Files" fällt mit dem Besuch von UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet in Xinjiang zusammen, die am Montag in der Provinz eingetroffen ist, um sich ein Bild von der Lage der Uiguren zu machen.

Die Vereinten Nationen schätzen, dass im Nordwesten Chinas zeitweise etwa eine Million Menschen interniert waren. Bei den meisten handelt es sich um Uiguren, eine muslimische Minderheit in der Volksrepublik.

Die Fotos aus den "Xinjiang Police Files" belegen den menschenverachtenden Umgang mit den Uiguren in den Umerziehungslagern.
Foto: DerSpiegel/Xinjiang Police Files

Leak deutschem Anthropologen zugespielt

Chinas Regierung behauptet seit Jahren, dass es sich bei den Lagern um berufliche Fortbildungseinrichtungen handle, deren Ziele die Armutsbekämpfung und der Kampf gegen extremistisches Gedankengut seien. Der Aufenthalt in den Lagern sei "freiwillig".

Dies wird durch die Xinjiang Police Files aber widerlegt. So findet sich in dem Leak beispielsweise eine bislang unbekannte Rede des ehemaligen Parteichefs der Region Xinjiang aus dem Jahr 2017, in der es heißt: Jeder Gefangene, der auch nur versuche, ein paar Schritte weit zu entkommen, sei zu "erschießen".

Zahlreiche Fotos aus dem Lageralltag belegen laut SPIEGEL den menschenverachtenden Umgang mit den Internierten. Ein Foto zeige beispielsweise einen Häftling in einer Foltervorrichtung namens "Tigerstuhl". Auf anderen Bildern seien Sicherheitskräfte mit Sturmgewehren zu sehen.

In geheimen Reden chinesischer Funktionäre ist die Rede davon, Menschen sofort zu "erschießen", wenn sie auch nur einen Schritt in die Freiheit wagen. Dabei handelt es sich laut Regierung doch nur um "freiwillige Fortbildungseinrichtungen".
Foto: DerSpiegel/Xinjiang Police Files

Aktuelle Anfragen an die chinesische Regierung und Chen Quanguo, den ehemaligen Parteichef der Region Xinjiang, der noch immer dem mächtigen Politbüro in Peking angehört, blieben laut SPIEGEL unbeantwortet.

Zugespielt wurde der Datensatz dem deutschen Anthropologen Adrian Zenz, der schon in der Vergangenheit geheime Informationen über die Lager veröffentlichte. Ihm zufolge stammt das Leak von einer anonymen Quelle – offenbar einem Hacker, der in die Computersysteme chinesischer Sicherheitsbehörden eingedrungen ist. Nach Angaben des Forschers stellte die Quelle keinerlei Bedingungen, auch habe es keine Bezahlung gegeben.

Sanktionen gefordert

Zenz, der seit 2021 von der chinesischen Regierung sanktioniert wird, war in der Vergangenheit maßgeblich an der Aufdeckung des Lagersystems in Xinjiang beteiligt. Für den China-Experten, der an der "Victims of Communism Memorial Foundation" in Washington forscht, stellen die Xinjiang Police Files eine "neue Dimension" dar, zitiert ihn DER SPIEGEL. Das Bildmaterial sei einzigartig und widerlege die chinesische Staatspropaganda, dass es sich um "normale Schulen" handle.

In den Lagern herrscht totale Überwachung.
Foto: DerSpiegel/Xinjiang Police Files

Reinhard Bütikofer, der Vorsitzende der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zur Volksrepublik China, fordert angesichts der Xinjiang Police Files neue Sanktionen gegen China. Die Fotos aus dem Leak zeigten "mit dramatischer Deutlichkeit", womit man es hier zu tun habe, sagte der deutsche Grünen-Politiker im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk und dem SPIEGEL. Diese "Bilder des Grauens" müssten dazu führen, dass die Europäische Union klar Stellung beziehe. (jop, 24.5.2022)