Die Xinjiang Police Files kommen zur rechten Zeit. Tausende von Fotos und Dokumenten belegen Einzelschicksale, die Opfer grausamster Menschenrechtsverbrechen wurden. Ausgewertet hat sie der Aktivist Adrian Zenz, der sie wiederum einem Dutzend internationaler Medien zugespielt hat, die große Teile davon nochmals verifizieren konnten.

Gerade am Montag dieser Woche ist die UN-Hochkommissarin Michele Bachelet in der nordwestlichen Provinz Chinas eingetroffen, um die Verbrechen der kommunistischen Partei Chinas zu untersuchen. Menschenrechtsgruppen wie die Interparlamentarische Allianz, Amnesty International und der Weltkongress der Uiguren befürchten eine Farce: Die Regierung in Peking versteht es wie keine andere, Besuchern eine heile Welt vorzuspielen und die grausamen Haftanstalten, in denen bis zu 1,5 Millionen Uiguren festgehalten werden, als "Ausbildungszentren" zu präsentieren. Die Xinjiang Police Files machen es der Regierung in Peking nochmals schwerer, Lügen zu verbreiten.

Michele Bachelet traf gestern unter anderem den chinesischen Außenminister Wang Yi. Zu besprechen dürfte es in den kommenden Tagen viel geben.
Foto: United Nations High Commissioner for Human Rights / AFP

Komplexes Puzzle wird klarer

Die Vorgänge in Xinjiang aufzudecken war für Journalisten und Menschenrechtsaktivisten bisher ein komplexes Puzzlespiel, das sich aus verschiedenen Disziplinen zusammensetzte: Da war ein Student, der vor einigen Jahren via Satellitenaufnahmen feststellte, dass in der Provinz immer größere Gebäudekomplexe entstanden. Da waren die Berichte von Auslandskorrespondenten, die belegten, dass die Überwachung in der Provinz immer engmaschiger wurden. Mit Uiguren direkt zu sprechen war kaum mehr möglich.

Einen wichtigen Beitrag leistete der Aktivist Adrian Zenz, der tausende Dokumente auswertete, die unter anderem einen massiven Ausbau des Sicherheitsapparates und einen Rückgang der Geburtenrate durch Sterilisierungen belegten.

Hinweise kamen aus der uigurischen Diaspora in den USA, in Kanada, Deutschland und vor allem in Istanbul. Dort gibt es kaum jemanden, der nicht mindestens ein Familienmitglied vermisst. Die Kommunikation war spätestens seit 2018 völlig abgerissen. Die spärlichen Nachrichten, die Eltern von ihren Kindern oder Kindern von ihren Eltern erhielten, waren bizarre, kaum glaubwürdige Propaganda-Sprechteile: "Mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut. Ich liebe die kommunistische Partei Chinas."

Überlebendenberichte nach dramatischer Ausreise

Und da waren Berichte von Überlebenden der Lager. Was sie schilderten, war kaum vorstellbar: Menschen, die zu zwanzigst unter grauenhaften hygienischen Bedingungen in kleine Zellen gepfercht werden. Folter, Gehirnwäsche, Vergewaltigungen, Zwangssterilisierungen sind an der Tagesordnung. Die aber, die es berichten konnten, waren wenige. Vielleicht 100 Personen sind es, denen teils unter abenteuerlichen und dramatischen Bedingungen die Ausreise aus China gelungen war und die in den vergangenen Jahren bereit waren, mit Namen und Gesicht der Welt von den Menschenrechtsverbrechen in ihrer Heimat zu berichten. Die meisten von ihnen sind ethnische Kasachen, da der Minderheit schneller die Ausreise gewährt wurde.

Foto: AP Photo/Mark Schiefelbein

Wer sich in den vergangenen Jahren intensiver mit der Materie beschäftigte, dem wurde schnell klar: Die Verbrechen, die sich in Xinjiang abspielen, haben eine historische Dimension. Die nun veröffentlichten Xinjiang Police Files lassen keinen Zweifel mehr offen. Journalistinnen und Journalisten der Medien, denen der Aktivist Adrian Zenz die Datensätze zukommen ließ, haben Namen, Personalausweisnummern und Zeitpunkte mit Familienangehörigen abgeglichen. Sie haben Angehörige von Inhaftierten zum Beispiel in Istanbul aufgesucht und die ausschlaggebenden Daten verifiziert.

Darunter sind Eltern, die erst jetzt erfahren, dass ihre Kinder, von denen sie seit Jahren nichts gehört haben, zu 15 Jahren Haft und mehr verurteilt worden sind. Hinzu kommen tausende Fotos, die nochmals das belegen, was Überlebende der Presse geschildert haben: stunden- und sogar tagelange Verhöre, bei denen das Opfer auf einem "Tiger Chair" in eine unbequeme Sitzhaltung gezwungen wird, Schläge, Misshandlungen, Erniedrigungen. Es bleibt zu hoffen, dass die UN-Hochkommissarin auf ihrer Tour durch Xinjiang Zeit findet, die Berichte zu lesen. (ANALYSE: Philipp Mattheis, 24.5.2022)