Im Juli 2020 übernahm Matthias Breschan die Leitung von Longines, nachdem er bereits zwei Schwestermarken in der Swatch Group geführt hatte: Rado (neun Jahre) und Hamilton (sieben Jahre). Der studierte Betriebswirt begann 1996 bei der Swatch Group und war damals für den Bereich Swatch Telecom verantwortlich. Seit 2005 ist er Mitglied des erweiterten Verwaltungsrats.

Vor seiner Zeit bei der Swatch Group war er bei Aldi Frankreich sowie bei Texas Instruments und Alcatel Mobile Phones im Marketing und Vertrieb tätig.

Foto: Longines

Das Erbe der Marke ist eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration – man muss sich nur die letzten Produkte aus St. Imier ansehen, die dies eindrücklich unterstreichen. Etwa die neue Hochfrequenzuhr Longines Ultra-Chron. Sie tickt mit zehn Schlägen pro Sekunde. Das garantiert eine höhere Präzision.

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Ihr Vorbild, die Longines Ultra-Chron Diver, stammt aus dem Jahr 1968. Sie war die erste Taucheruhr mit einem Hochfrequenzuhrwerk. Schon im Jahr 1914 hatte die Marke mit der geflügelten Sanduhr ihr erstes Hochfrequenzinstrument entwickelt, das die Zeit auf die Zehntelsekunde genau messen konnte. 1959 entwickelte Longines dann das erste Hochfrequenzwerk für eine Armbanduhr: einen Observatoriums-Chronometer, der neue Präzisionsrekorde aufstellte.

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Auch der Legend Diver Watch kann man einen gewissen Retro-Charme nicht absprechen. Ihr Design basiert auf einer der ersten Taucheruhren der Marke, dem Super-Compressor aus dem Jahre 1959.

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Die erste Uhr auf dem Mond, die erste im Marianengraben, die erste auf dem Mount Everest: Es gibt Geschichten, die lassen jedem Marketingverantwortlichen das Wasser im Mund zusammenlaufen. Weil: Mit einer guten Story und/oder einem berühmten Träger, einer berühmten Trägerin lässt sich jedes Produkt verkaufen. Je authentischer die Geschichte, desto besser.

Kein Wunder, dass Matthias Breschan gern von einer ganz speziellen Longines-Uhr erzählt: Sie wurde Albert Einstein am 16. Februar 1931 geschenkt und gelangte am 16. Oktober 2008 im Auktionshaus Antiquorum zur Versteigerung. Hier wechselte sie für den sagenhaften Preis von 596.000 US-Dollar den Besitzer. Sie ist somit eine der teuersten jemals versteigerten Uhren der Marke mit der geflügelten Sanduhr im Logo, die heuer ihr 190-jähriges Bestehen feiert.

Geschichte, die andere gern hätten

Gern betont der gebürtige Österreicher im Gespräch das Thema Heritage. "Obwohl ich schon seit über 20 Jahren in der Uhrenindustrie bin und Longines natürlich schon kannte, entdeckte ich zu meiner Überraschung, wie viel davon in der Marke steckt, wie viele Erfindungen auf ihr Konto gehen: Das GMT- oder das Flyback-Uhrwerk ... das war alles Longines." Das zu erkennen, als "Neuankömmling", sei super gewesen, darauf könne man aufbauen. Immerhin zählten auch Legenden wie die Flugpionierin Amelia Earhart, Howard Hughes oder Charles Lindbergh zu den Kunden von Longines. Oder auch Audrey Hepburn.

Davon kann man sich auch im Firmenmuseum in St. Imier, dem Stammsitz von Longines, überzeugen. "Wir haben die Geschichte, die andere gern hätten", sagt er selbstbewusst. Inzwischen habe man es verstanden, die eigene Geschichte und das umfangreiche Archiv, in dem alle jemals verkauften Modelle eingetragen sind und werden, und die Bindung zu Sammlern zu pflegen und auszubauen. Breschan will diesen Weg konsequent weiter beschreiten.

Umsatzplus

Seit 1. Juli 2020 ist er CEO der ältesten markenrechtlich geschützten Uhrenmarke der Schweiz und der Welt. Mitten in der Corona-Krise hat er dieses Amt von seinem, man darf es ruhig sagen, legendären Vorgänger Walter von Känel übernommen: "Man kann sich vorstellen, dass das nicht der schönste Zeitpunkt für den Einstieg war", schildert Breschan, der zuvor die Geschicke der Schwestermarke Rado gelenkt hatte, die wie Longines zur Swatch Group gehört. Zeitweise wurde die Produktion heruntergefahren, die ganze Welt hielt den Atem an. "Aber die Marke ist so stark und solide, dass 2021 letztendlich das drittbeste Jahr in unserer Geschichte war", sagt er.

Tatsächlich hat sich die Schweizer Luxusuhrenindustrie im vergangenen Jahr (anders als noch 2020) sehr gut geschlagen. Die Stückzahlen im Export sind zwar deutlich gesunken, durch höhere Preise fiel das Fazit trotzdem positiv aus. Zufrieden zeigte man sich auch bei der Swatch Group: Mit rund 30 Prozent Umsatzplus im Vergleich zu 2020 und operativen Margen im Bereich Uhren und Schmuck von rund 18 Prozent kann man das auch sein. Die Ergebnisse der einzelnen Marken werden zwar nicht ausgewiesen, aber es ist anzunehmen, dass Longines ihren Beitrag geleistet hat.

Solide Mechanik

Breschan vermutet, dass sich viele Kundinnen und Kunden – "bei uns ist das Geschlechterverhältnis ausgewogen" – während all der Lockdowns, Homeoffice, Homeschooling, Reisebeschränkungen etc. etwas Schönes gönnen wollten. Der E-Commerce habe dazu beigetragen, dass man gut durch die Krise kam, aber der stationäre, lokale Handel bleibe ein Thema, gerade bei einem so emotionalen Produkt wie Uhren, hält er fest.

Wie sieht der die Preisentwicklung am Markt? Viele Zeitmesser sind für den Normalverdiener kaum mehr erschwinglich. Breschan möchte darüber nicht urteilen, sagt aber klar, dass Longines seiner Preisspanne von rund 1.000 bis maximal rund 7.000 Euro treu bleiben werde. "Schon weil es von der Konzernseite her diesbezüglich klare Vorgaben gibt." Dieser Platz wurde der Marke quasi zugewiesen. Daher werde man bei Longines auch keine großen Komplikationen, etwa Tourbillons, finden. Man setze auf solide Mechanik, aber auch auf Quarzuhren. Deren Anteil sei mittlerweile allerdings auf 20 Prozent geschrumpft. Der passionierte Skifahrer blickt optimistisch in die Zukunft: "2025 knacken wir die Zwei-Milliarden-Franken Grenze." Das ist eine Ansage.

Interessant für Uhrensammler

Und dennoch beschleicht einen das Gefühl, dass es sich bei Longines um eine nach wie vor unterschätzte Marke handelt. Vermutlich weil man in St. Imier eben nicht die superteuren Luxusuhren baut, die viele automatisch mit "wichtig" gleichsetzen. Breschan dazu: "Wir sind im Kommen. Das sieht man gerade am Vintage-Uhren-Markt. Longines war in den letzten Jahren sicher eine der erfolgreichsten Schweizer Uhrenmarken überhaupt. Es liegt nun an uns, das, was uns stark gemacht hat, weiterzuentwickeln und die reichhaltige Geschichte noch mehr in den Vordergrund zu stellen."

Beobachtet man die Preisentwicklung dort, erkennt man vor allem die üblichen Verdächtigen, die in Sachen Werterhalt sehr erfolgreich sind: Patek Philippe und Rolex. Beide Marken erzielen regelmäßig Höchstpreise mit besonders gefragten Vintage-Modellen. Erfolgreich auf Auktionen, Börsen und Verkaufsplattformen im Internet sind aber auch Marken wie Audemars Piguet, Vacheron Constantin, Omega, Zenith – und Longines. Es ist die lange Geschichte der Uhrenfabrik, die sie für Uhrensammler so interessant macht. Seit 1832 ist man in St. Imier ansässig, seit 1867 dort, wo die Fabrik auch heute noch ihren Standort hat. Bekannt war dieser als Les Longines, zu Deutsch etwa "lange Wiesen", womit auch geklärt wäre, wo der Name der Uhrenmarke herrührt.

Kleine, feine Nische

Bereits 2018 wurde die fünfzigmillionste Longines-Uhr produziert. Es sind also jede Menge Vintage-Uhren im Umlauf. "Wir bekommen immer wieder Anfragen aus aller Welt", schildert Breschan, der seit 1996 bei der Swatch Group ist. "Vielfach sind es Erben einer Longines, die wissen wollen, wie viel die Uhr wert ist." Dank des Archivs, wo alle Seriennummern aller jemals verkauften Zeitmesser von Longines eingetragen sind, könne man diese Frage meist rasch beantworten.

Das Wort pre-owned mag der Uhren-Boss allerdings nicht. Es höre sich zu sehr nach Gebrauchtwagenmarkt an, sinniert der studierte Betriebswirt. "Lieber spreche ich vom Sammlermarkt. Dort besetzen wir eine kleine, aber feine Nische." Da ist sie wieder, die "Heritage". So wie es aussieht, wird sie auch in den kommenden 190 Jahren das bestimmende Thema bei Longines bleiben. Das Erbe ist auch eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration – man muss sich nur die letzten Produkte aus St. Imier ansehen, die dies eindrücklich unterstreichen.

Eine letzte Frage noch: Wie tut man sich so als Österreicher in der Uhren-Schweiz? "Französisch ist von Vorteil", meint Breschan. Und grinst. (Markus Böhm, 1.6.2022)