"Eigentlich tut es mir leid, dass du mit dem jetzt fahren musst", sagt die Nachbarin, nachdem ich den CE 04 von BMW aus der Einfahrt gefahren bin und ihn noch einmal kurz abgestellt habe, um das Tor zu schließen. Dabei müsste die ältere Dame ja eine Freud haben, dass es gleich so funkt, denn der neue Roller von BMW ist ziemlich leise, weil elektrisch angetrieben. Und bei uns auf dem Land, da mag man es ruhig.

Es sollte sich herausstellen, dass er ihr schlicht nicht gefällt. Wie manch anderen auch, muss man an der Stelle zugeben. Aber mit polarisierendem und eigenständigem Design hat BMW ja eine gewisse Erfahrung – und jede Menge Erfolg –, die nicht nur auf die aktuellen Nieren der Autos zurückgeht, sondern bis zu Designer Chris Bangle, falls sich noch wer erinnern kann.

Der BMW CE 04 kostet 12.150 Euro, hatte im Test eine Reichweite von 100 Kilometern und geht fast 130 km/h schnell.
Foto: BMW Motorrad

Ich indes erinnere mich an meinen Plan, in der Firma eines Freundes vorbeizuschauen, weil ich mir dann meinen Kaffee nicht selber machen muss. Und siehe da, rauscht der jüngste Mitarbeiter aus der Werkstatt raus und kniet sich fast schon vor dem CE 04 hin, weil er sie so schön findet. Das hintere Rad hat es ihm zum Beispiel angetan. Die Einarmschwinge, der Zahnriemen, und besonders sportlich findet er die auffällige schwarze Felge aus Aluminiumguss. Das TFT-Display in HD-Auflösung und mit Kartennavigation ist sowieso eine Sensation, in dem Alter. Die lange Sitzbank begeistert ihn. "Wenn ma zsammrucken, könnta ma zu dritt fahren." Den Einwand seines Kollegen, der inzwischen auch aufgetaucht ist, dass er doch gar keine zwei anderen kenne, die mit ihm mitfahren würden, lässt er eiskalt an sich abperlen und kommt auf den kleinen orangen Windschild vorne zu sprechen. "So schön", seufzt er, "hat das auch einen Zweck?"

Der kleine Windschild

Ja, eindeutig. Die kleine Schanze leitet einem ab 100 km/h den Wind so auf den Helm, dass man die Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h gar nicht erst ausprobieren möchte. Aber da sind sie bei mir beim Falschen. Das halt ich aus, da will ich durch. Und wenn man das macht, dann kommt man drauf, dass die in den technischen Daten angegebene Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h in der Praxis nicht hält. Der Roller regelt nämlich erst bei haargenau 128 km/h auf der Uhr ab. Aber vielleicht ist da eh derselbe Plan dahinter wie beim Windschild.

Der CE 04 ist, eh wie man das von BMW erwartet, extrem dynamisch zu fahren, wenn man das möchte.
Foto: BMW Motorrad

Das wissen wir eh schon, dass man bei E-Fahrzeugen viel stärker merkt, welchen Einfluss die Geschwindigkeit auf den Verbrauch hat. Das liegt am hohen Wirkungsgrad des Antriebs, weil nicht zwei Drittel der Energie zu Wärme- und Lärmerzeugung gebraucht werden. Wenn man jetzt der Fahrerin, dem Fahrer einredet, dass der Roller nur 120 geht, hört der pflichtbewusste Nutzer vielleicht bei dem Tempo auf, am Gasgriff zu drehen – was am Ende zu mehr Reichweite führt.

130 Kilometer Reichweite auf dem Papier

Ach ja, die Reichweite. Die gibt BMW mit 130 Kilometer an. Die gehen sich aber nicht aus, wenn man dauernd 128 km/h schnell fährt. Und wenn man, so wie ich, mit dem Bass auf dem Rücken auf der Autobahn zur Musikstunde brettert, fragt man sich überhaupt, ob man nicht besser auch gleich ein Zelt mitgenommen hätte. Dabei ist das Brett am Rücken gar nicht das Problem. Aber der Hals, der weit über den Kopf ragt, und die große Stofftasche, die sich launig mit dem Fahrtwind spielt, die sind echte Reichweitenkiller. Da kommt hinzu, dass die Fahrerei mit dem Bass am Buckl bei höherem Tempo ungefähr so lustig ist wie einer, der dir einen ganzen Abend lang auf die Schulter tippt, wenn er dir was erzählt.

Das TFT-Display spielt alle Stückln, die sich die Freunde der digitalen Welt wünschen, und Anschlüsse fürs Wischphone gibt es auch.
Foto: BMW Motorrad

Und siehe da, bei moderaterem Tempo durch die Dörfer und über die Bundesstraßen ist der Verbrauch dann kaum noch höher, als wenn man ohne Hackbrett am Rücken, dafür ein bisserl motivierter unterwegs ist. Soundso reichte eine Akkuladung am Ende immer für 100 Kilometer. Viel weiter würde sie reichen, wenn man statt im Dynamic- im Eco-Modus unterwegs ist. Aber wer ist das schon? Jedenfalls, mehr als 50 Kilometer am Stück musste ich in fast zwei Wochen Dauertesterei nie fahren. In der Distanz geht sich auch die Reise von mir in der Pampa in die große Stadt aus. Und Steckdosen zum Aufladen gibt es dort wie da. Wobei ich da schon Glück habe.

Lademöglichkeiten

Ich hab nämlich eine kleine Garage mit Stromanschluss daheim und bin deshalb immer nur mit vollen Akkus weggefahren. Ohne Steckdose ist man allerdings ziemlich aufgeschmissen. Weil die luftgekühlte Lithium-Ionen-Hochvoltbatterie mit 8,9 kWh Kapazität ist so groß und schwer, dass BMW das Herausnehmen gleich gar nicht angedacht hat.

Das Gussalurad kann man auch noch mit Aufklebern aus dem Zubehörkatalog verzieren.
Foto: BMW Motorrad

An der Haushaltssteckdose mit 10 Ampere dauert einer Vollladung rund vier Stunden und 20 Minuten, dreieinhalb Stunden reichen für die Ladung von null auf 80 Prozent. Mit dem Schnellladegerät und 30 Ampere ist der leere Akku in 1:40 Stunden wieder voll, in 45 Minuten kommt man von 20 auf 80 Prozent. So weit die Herstellerangaben. Nachdem der Roller bei mir mehr stand als fahren musste – wie die meisten Fahrzeuge bei den meisten Menschen meist mehr stehen als fahren –, war das Laden also in dem speziellen Fall überhaupt kein Problem. Ganz im Gegenteil. Ich hab mir ja dadurch die unnötigen Fahrten zur Tankstelle oder zur Ladestation erspart.

Fahrdynamik

Wobei, so ungut wäre die Fahrt dorthin ja nicht. Das Fahren mit dem CE 04 ist ja eine richtige Gaude. Das Tanken selber ist ja nur fad. Aber bleiben wir beim Fahren. Jetzt mag man annehmen, dass man wegen des langen Radstands von 1.675 Millimeter zwar gut gradaus, aber nur mühsam ums Eck fahren kann. Stimmt aber nicht. Der Roller ist extrem wendig, was wohl auch am tiefen Schwerpunkt liegen dürfte. Und wegen dieses merkt man beim Herummillimetrieren auch die 231 Kilo Gewicht von dem Roller nicht. Wohl aber auf der Geraden. Da ist der Roller so stabil, dass man drauf Kunststücke machen könnte. Und das muss man ehrlich gestanden auch.

Auch wenn die nackerte Bank den Verdacht aufkommen lässt, dass man auch zu dritt fahren könnte, ist das Bankerl dann zu zweit doch gut gefüllt.
Foto: BMW Motorrad

Die Sitzposition ist für jemanden, der rund 1,90 Meter groß ist, nämlich keine angenehme. Nicht, wenn man nach vorne rutscht, nicht, wenn man nach hinten rutscht, und dazwischen schon gar nicht. Die erste halbe Stunde geht's. Da ist man von dem großzügig dargebotenen Drehmoment vom Stand weg so fasziniert, dass man fast schon um rote Ampeln und Kreuzungen bettelt. Aber wenn du dich dann auf der Tangente mit einem Stau-50er in die Arbeit mühst, dann merkst du, wie dir auf einmal die Hüfte zwickt, das Knie kitzelt oder die Fußerln keinen heimeligen Ort finden. Eigentlich würde man ja annehmen, dass einem bei dem Sitzbankerl als Erstes der Hintern abfällt. Aber nein, das passt wieder hervorragend. Wie auch die Verzögerung durch die Rekuperation.

Energierückgewinnung

Am Anfang war ich noch kurz erstaunt, wie stark die BMW im Dynamic-Modus rekuperiert. Am Ende passt das dann aber hervorragend zur zugegeben eher forschen Art der Fortbewegung, die ich im Testzeitraum vorgezogen habe. Man hat halt weniger schlechtes Gewissen, wenn man Strom statt Sprit vergeudet. Und was das Gewissen auch beruhigt, ist, dass man kaum Lärm macht beim Fahren. Der Motor zwitschert ein bisserl, das klingt eh gut, und die Dröhnerei, vielleicht noch aus deinem ausgeräumten Nachrüst-Endtopf, kann mir inzwischen sowieso gestohlen bleiben.

Der Seitenständer schützt das Motorrad nicht nur vorm Umfallen, sondern auch vor dem Wegrollen, weil er auch die Bremse zieht.
Foto: BMW Motorrad

Und weil das Fahren so viel Spaß gemacht hat, muss ich an der Stelle auch dafür um Entschuldigung bitten, dass es keine handgeschnitzten Fotos gibt, sondern hier die Werksbilder gereicht werden – die aber dafür eh qualitativ viel hochwertiger sind, als es eigene wären. Bei dem Thema brauchen wir ausnahmsweise nicht über Geschmäcker streiten. Da hab ich jetzt einfach recht. Was die Ästhetik des CE 04 betrifft, da red ich aber keinem was ein. Da darf sich ruhig jede und jeder selber eine Meinung bilden.

Wenn das dann ausgesprochen ist, reden wir noch über den Preis: 12.150 Euro ruft BMW für den CE 04 auf. Als leistungsreduzierte Version mit 23 kW kommt er übrigens aufs Gleiche. Das Schnellladegerät kostet dann noch einmal 715 Euro, der Hauptständer 84 Euro, und wenn wer Heizgriffe braucht, die gibt es ab Werk um 185 Euro dazu. Das Dynamic-Paket mit dem adaptiven Kurvenlicht, Headlight Pro, Fahrmodus Pro und ABS Pro um 320 Euro sollte man zu den 12.150 Euro sicherheitshalber gleich einmal dazurechnen. (Guido Gluschitsch, 25.5.2022)

Auch von hinten ist das Design polarisierend.
Foto: BMW Motorrad