Ab Juni fällt die Maskenpflicht fast vollständig – doch was bedeutet das für die Bereitschaft, die Maske im Herbst wieder zu tragen? Das fragen sich Experten.

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Seit mehr als zwei Jahren ist die Pandemie nun unser täglicher Begleiter. Doch was haben wir daraus gelernt? Wie bereitet sich das Land auf die sicher kommende Herbstwelle vor? Und wie resilient reagieren wir generell auf gesundheitliche Herausforderungen? Diesen Fragen widmete sich die interdisziplinär besetzte Konferenz "Science for Resilience – Learnings from the Pandemic" am Vienna Biocenter. Zwei Tage lang diskutierten international renommierte Wissenschafter, wie man sich auf den Herbst ideal vorbereiten kann.

Die Vertreter der Forschungsplattform Covid-19 Future Operations forderten eine Vorbereitung auf den Herbst, die sich an sorgfältig erarbeiten Szenarien orientiert. Insgesamt fünf solcher Szenarien skizzierte Ulrich Elling, Molekularbiologe an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie reichen von "Die Pandemie ist beendet", über "Langsamer Übergang in die Endemie" bis zu "Die Pandemie eskaliert", etwa wenn große Teile des viralen Genoms ausgetauscht werden und das Virus den bisher aufgebauten Immunschutz komplett umgehen kann.

"Es geht dabei nicht um Wahrsagerei oder darum, welches Szenario am wahrscheinlichsten ist. Es geht darum, gewisse Szenarien darzulegen, damit man sich entsprechend vorbereiten kann", betont Elling. Und Dorothee von Laer, Virologin an der Med-Uni Innsbruck, ergänzt: "Auch wenn die Entwicklung der Pandemie zuletzt immer deutlicher positiv war, Hospitalisierungen und Todesfälle zurückgehen, die Immunität durch Impfung und Infektion zunimmt, muss man auf den ungünstigsten Fall vorbereitet sein – und nicht hoffen, dass es schon gutgehen wird."

Masken-Aus kritisch gesehen

Aus diesem Grund sehen die Expertinnen und Experten das am Dienstag verkündete Masken-Aus ab Juni auch eher kritisch. Zwar sei es vertretbar, dass nun die Maskenpflicht im lebensnotwendigen Handel und in Öffis ab 1. Juni für vorerst drei Monate ausgesetzt wird – in Spitälern und Heimen bleibt sie aufrecht –, weil das Gesundheitssystem nicht an der Belastbarkeitsgrenze steht. Doch Virologin von Laer hätte ein Beibehalten der Maskenpflicht in Apotheken und im lebenswichtigen Handel befürwortet, um vulnerable Gruppen leichter schützen zu können.

Auch Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien sieht das ähnlich: "Die Maske ist eine sehr gute und einfache Methode, um die Ausbreitung des Virus zu bekämpfen. Schafft man sie jetzt ab, ist es umso schwieriger, sie im Herbst wieder einzuführen. Es wäre in manchen Bereichen sicher besser, sie beizubehalten." Zumindest einen Fortschritt sieht er in der Kommunikation: "Es ist gut, dass nicht gesagt wurde, die Pandemie sei vorbei, sondern dass wir wieder Maßnahmen brauchen werden."

Und Molekularbiologe Elling betont, dass es jetzt zwar keine Überlastung in den Spitälern geben werde, aber "die Zahlen werden schon im Sommer wieder zunehmen. Fährt man jetzt etwa die in den öffentlichen Verkehrsmitteln die gut funktionierenden Maßnahmen herunter, kann dieses Hin und Her die Disziplin erodieren lassen, und wir könnten es im Herbst bereuen."

Impfkampagne gefordert

Verwundert zeigte sich Czypionka, dass sich in puncto Impfungen hierzulande gerade wenig tue: "Mir ist nicht ganz klar, warum man da nicht mehr daran arbeitet." Würde nämlich eines der ungünstigeren Szenarien eintreffen, die die Expertengruppe im oben erwähnten Arbeitspapier formuliert haben, hänge von der Immunisierungsrate sehr stark ab, wie rigide die Maßnahmen gestaltet werden müssen.

In den günstigeren Szenarien, in denen nur kleinere Wellen oder Winterwellen alle ein bis zwei Jahre auftreten, bräuchte es demnach nur sehr eingeschränkt Maßnahmen. Es gibt aber auch Modelle, in denen die Pandemie anhält, weil der Sars-CoV-2-Erreger selbst nochmals infektiöser, die Erkrankungen wieder schwerwiegender und der Immunschutz weniger wird. Diese dürfe man nicht unter den Tisch kehren, da sich die Pandemie schon öfter unerwartet entwickelt habe, betonte Elling.

Neben den möglichen Szenarien gebe es außerdem weitere Parameter, die die Maßnahmen bestimmen: die weitere Entwicklung des Virus selbst, die Immunität in der Bevölkerung, die vor allem den Schutz vor schwereren Krankheitsverläufen beeinflusst, den Aufbau von Früherkennungssystemen zum Infektionsgeschehen oder die Test- und Spitalsinfrastruktur.

Um die Situation möglichst im Auge zu behalten, brauche man daher eine Art "Radar zur Früherkennung", sagte Arne Bathke, Mathematiker an der Universität Salzburg. Man sollte sich hier auf nationale Abwassermonitoringprogramme, ein aktives Überwachungssystem für Covid-19-Fälle bei niedergelassenen Ärzten oder auch Untersuchungen von Zufallsstichproben in der Bevölkerung stützen. Des Weiteren brauche es den Blick über Fachgrenzen hinweg in andere Länder und auf deren Strategien.

Dass Österreich nach nunmehr über zwei Jahren Pandemie zu einem Modus gelangt, in dem die Vorbereitung auf den Herbst besser läuft, glaubt Ex-Verteidigungsminister und Mitorganisator der Future Operations Plattform, Thomas Starlinger. Es komme jetzt "ein gesamtstaatlicher Ansatz herein", so der Generalmajor. Das gelte hoffentlich auch für die Kommunikationsstrategie, die über weite Strecken von kurzfristigen und unklaren Botschaften dominiert war. Dass bei den Ankündigungen zu den bevorstehenden weiteren Lockerungen aber zumindest die Pandemie nicht wieder quasi abgesagt wurde, sei als Fortschritt anzusehen, so die Forscher. (Pia Kruckenhauser, APA, 24.5.2022)