Der deutsche Bundeswahlleiter Georg Thiel bei einer Pressekonferenz in Berlin im Juli 2021.

Foto: Georg Wenzel

Berlin – Wegen zahlreicher Pannen und Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung hält der deutsche Bundeswahlleiter Georg Thiel eine teilweise Wiederholung der Bundestagswahl in der Hauptstadt Berlin für unumgänglich. Am Wahltag seien nicht nur einzelne Fehler als Ausreißer passiert, sagte Thiel am Dienstag bei einer Anhörung im Wahlprüfungsausschuss des Bundestages. Vielmehr scheine es sich um ein "komplettes systematisches Versagen der Wahlorganisation" gehandelt zu handeln.

Bereits im November hatte Thiel Einspruch gegen die Wertung der Wahl in sechs von zwölf Berliner Bundestagswahlkreisen eingelegt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorkommnisse Auswirkungen auf die Sitzverteilung im neuen Parlament hätten, hatte er schon damals argumentiert. Am Ende entscheidet aber der Bundestag über eine mögliche Wahlwiederholung. Wann das passiert, ist derzeit noch offen.

Kriterium "mandatsrelevant"

Die Wahlen zum Bundestag und zum Berliner Abgeordnetenhaus am 26. September waren in der Hauptstadt von zahlreichen Pannen und organisatorischen Problemen geprägt. Dazu zählten falsche oder fehlende Stimmzettel, die zeitweise Schließung von Wahllokalen und lange Schlangen davor. Zudem hatten Wahllokale teils noch weit noch nach 18.00 Uhr geöffnet.

"Wir sind hier in einer Bundeshauptstadt eines zivilisierten Landes. Da darf so etwas nicht vorkommen", unterstrich Thiel. "Ich frage Sie, was muss sonst noch passieren, dass wir Wahlen als nicht optimal gelaufen oder rechtswidrig oder wiederholungsfähig ansehen?" Sein Einspruch gegen die Wahl sei gerechtfertigt. "Wir möchten in betroffenen Wahlbezirken eine Wahlwiederholung erreichen", so Thiel. Und: "So etwas darf sich nicht wiederholen."

Voraussetzung für eine zumindest partielle Wahlwiederholung ist, dass Fehler und Pannen "mandatsrelevant" sind, sich also auf die Sitzverteilung auswirken würden. Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags untersucht seit geraumer Zeit, ob das tatsächlich der Fall ist und zumindest in bestimmten Wahlkreisen oder -bezirken neu abgestimmt werden muss.

In den kommenden Wochen oder Monaten will das Gremium eine Empfehlung dazu abgeben. Über diese stimmt dann der Bundestag in einer Plenarsitzung ab. Gegen diese Entscheidung wiederum kann vor dem Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht werden.

Kritik von AfD und CDU

Um ein klareres Bild zu erhalten, beraumte der Ausschuss die Anhörung verschiedener Beteiligter an. Dieses eher selten praktizierte Vorgehen erfolgte nach den Worten der Ausschussvorsitzenden Daniela Ludwig (CSU) auch deshalb, weil nach Sichtung umfangreicher schriftlicher Unterlagen "weite Teile des Sachverhalts" weiter unklar beziehungsweise zwischen Beteiligten strittig seien. Ludwig zufolge gingen gegen das Ergebnis der Bundestagswahl insgesamt 2.117 Einsprüche bei dem Ausschuss ein, darunter knapp 90 Prozent "ausschließlich oder teilweise zum Berliner Wahlgeschehen."

Die Probleme seien nicht auf die Tatsache zurückzuführen, dass Berlin eine Großstadt sei, ergänzte Thiel. In Hamburg, München oder Köln habe schließlich auch alles geklappt. Außerdem glaube er, dass das beim nächsten Mal wieder passieren könnte, so Thiel. "Ich habe bisher in der Aufbereitung für Berlin und auch in den Vorbereitungen für weitere Wahlen nicht den Eindruck, dass das in Berlin zukünftig anders wird." Er forderte: "Die gesamte Wahlorganisation in Berlin braucht dringend eine Überarbeitung."

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz, Mitglied im Wahlprüfungsausschuss, prangerte im Lichte der Anhörung "chaotische Zustände" in Berlin an. Er sprach von einem kompletten Systemversagen, das in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig sei. Der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die Anhörung hat gezeigt, dass die Wahlfehler noch schlimmer sind als gedacht." Das sei eine Blamage für ganz Deutschland. "Um Schaden von unserer Demokratie abzuwenden, muss es Konsequenzen geben." (APA, 24.5.2022)