US-Präsident Biden wandte sich nach dem Amoklauf an die Nation.

Foto: EPA / Jim Lo Scalzo

San Antonio – Nach einem Massaker an einer Volksschule im US-Bundesstaat Texas steht das ganze Land unter Schock. Mindestens 19 Kinder wurden getötet, nachdem ein 18-Jähriger am Dienstag während der Unterrichtszeit das Feuer in der Robb Elementary School in Uvalde nahe San Antonio eröffnet hatte. Der Amokläufer wütete so lange, bis ihn Sicherheitskräfte laut Medienberichten erschossen.

Es ist eines der opferreichsten Schulmassaker in der US-Geschichte. Nur beim Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut starben im Jahr 2012 mehr Menschen.

Mehr als zwölf Stunden nach der Tat waren immer noch Angehörige im Unklaren über den Verbleib einzelner Schüler. Eltern mussten laut "New York Times" DNA-Proben abgeben, um ihre Verwandtschaft zu Opfern zu festzustellen. Viele Kinder waren mit schweren Verletzungen in umliegende Krankenhäuser gebracht worden.

Biden: "Waffenlobby die Stirn bieten"

Den Ermittlern zufolge betrat der Schütze am Dienstagnachmittag die Volksschule in der Kleinstadt und schoss um sich. Auch mindestens zwei Erwachsene wurden bei dem Vorfall getötet. Am Mittwoch war noch unklar, ob auch der Schütze zu den erwachsenen Todesopfern gezählt wurde.

DER STANDARD

Der gerade von einer mehrtägigen Asienreise zurückgekehrte US-Präsident Joe Biden wandte sich an die Nation. Begleitet von seiner Ehefrau Jill hielt er kurz nach seiner Landung eine emotionale Ansprache im Weißen Haus. "Als Nation müssen wir uns fragen, wann in Gottes Namen wir der Waffenlobby die Stirn bieten werden", sagte er. Die Vorstellung, dass ein 18-jähriger Jugendlicher in ein Waffengeschäft gehen und zwei Sturmgewehre kaufen könne, sei einfach falsch.

Erick Estrada vom Ministerium für öffentliche Sicherheit in Texas schilderte im Gespräch mit dem Sender CNN den Hergang der Tat. Der Verdächtige habe zunächst in der Wohnung seiner Großmutter auf die Frau geschossen. Sie wurde in ein Krankenhaus gebracht, ihr Zustand war laut CNN kritisch.

Anschließend sei der Schütze mit einem Auto zur Schule gefahren und habe dort einen Unfall verursacht, sagte Estrada. Der junge Mann habe dann das Auto verlassen und sei mit einer Schutzweste bekleidet sowie mit einem Rucksack und einem Gewehr in die Schule eingedrungen. Dort habe er das Feuer eröffnet. Der 18-Jährige sei dann vom Sicherheitspersonal der Schule gestellt worden.

Wieso ist die Debatte über Waffenbesitz in den USA stark ideologisiert, und warum ist die Waffenlobby so mächtig? Ein Gespräch mit Eric Frey
DER STANDARD

Suche nach Angehörigen

Die Volksschule war nach der Attacke abgeriegelt und von Einsatzfahrzeugen umgeben. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Krankentragen aus dem Gebäude gerollt wurden. Eltern irrten auf der Suche nach ihren Kindern umher. Eine Frau, deren Nichte noch vermisst wird, wartete im Auto vor einem nahe gelegenen Krankenhaus. "Wir wissen nicht, wo sie ist", sagte sie dem Lokalsender Kens 5. "Es ist nicht typisch für meine Nichte, sich nicht zu melden. Ihr Telefon ist aus."

DER STANDARD

Laut dem Heimatschutzministerium wurde ein Beamter des US-Grenzschutzes bei dem Amoklauf verletzt. Demnach wurden Einsatzkräfte des in Uvalde stationierten Grenzschutzes zu Hilfe gerufen. Sie seien bei ihrer Ankunft in der Schule von dem Täter beschossen worden, der sich im Inneren des Gebäudes verschanzt hatte. "Ihr eigenes Leben riskierend, brachten sich die Grenzschutzbeamten zwischen den Schützen und Kinder, um die Aufmerksamkeit des Schützen von potenziellen Opfern abzulenken und Leben zu retten", sagte eine Sprecherin des Ministeriums auf Twitter.

Bei einer Pressekonferenz dem Amoklauf kam es am Mittwoch es zu einem Eklat. Der Demokrat Beto O'Rourke unterbrach am Mittwoch den republikanischen Gouverneur von Texas, Greg Abbott, und kritisierte diesen für seine Haltung zu den Waffengesetzen im Land.

O'Rourke, der im November bei der nächsten Gouverneurswahl in Texas als Herausforderer gegen Abbott antreten will, warf dem Republikaner vor, nichts gegen die grassierende Waffengewalt in den USA zu unternehmen. "Sie tun nichts", kritisierte O'Rourke.

Abbott reagierte auf die Vorwürfe nicht, während andere Offizielle O'Rourke zur Ordnung riefen und ihn dazu aufforderten, den Saal zu verlassen. Ein Mann rief O'Rourke zu: "Sie fallen aus dem Rahmen, und Sie sind peinlich." Ein anderer Mann beschimpfte den Demokraten wüst und sagte: "Ich kann nicht fassen, dass Sie ein kranker Bastard sind, der aus einer Sache wie dieser ein politisches Thema machen will." O'Rourke verließ nach der verbalen Auseinandersetzung den Raum.

Amokläufe, auch an Schulen, kommen in den USA mit trauriger Regelmäßigkeit vor. Biden ordnete an, bis einschließlich Samstag die Flaggen an allen öffentlichen Gebäuden in den USA auf halbmast zu setzen.

Obama: "Unser Land ist gelähmt"

Der frühere US-Präsident Barack Obama sprach den betroffenen Familien auf Twitter sein Beileid aus und kritisierte die oppositionellen Republikaner: "Unser Land ist gelähmt, nicht durch Angst, sondern durch eine Waffenlobby und eine politische Partei, die keine Bereitschaft gezeigt haben, in irgendeiner Weise zu handeln, um diese Tragödien zu verhindern." Das Massaker befeuerte umgehend die Debatte über die lockeren Regeln zum Waffenbesitz in den USA. Für weitreichende Gesetzesänderungen fehlen Bidens Demokraten die nötigen Stimmen im Senat. Viele Republikaner lehnen schärfere Regeln ab, und die US-Waffenlobby ist sehr mächtig.

Auch Prominente reagierten schockiert auf die Tat. Uvalde ist die Heimatstadt des Schauspielers Matthew McConaughey. "Das ist eine Epidemie, die wir in den Griff bekommen können, und unabhängig davon, auf welcher parteipolitischen Seite wir stehen, wissen wir alle, dass wir es besser machen können. Wir müssen es besser machen", schrieb der Oscar-Preisträger von 2014 auf Twitter.

Auch der Basketball-Meistertrainer Steve Kerr von den Golden State Warriors reagierte mit einer emotionalen Rede auf das Verbrechen. Er forderte eine strengere Waffenkontrolle in den USA und richtete sich an 50 Senatoren, die das bisher verhindern würden. Der achtmalige NBA-Champion spricht sich bereits seit längerem gegen Waffengewalt aus. Sein Vater war 1984 bei einem Terroranschlag in Beirut im Libanon erschossen worden.

Schusswaffenverband tagt in Houston

Mindestens zwei texanische Republikaner forderten als Reaktion auf den Angriff, Lehrer zu bewaffnen. Zudem müsse die Sicherheit an Schulen verschärft werden. "Fakt ist, dass wir nicht die Ressourcen haben, um an jeder Schule Polizisten einzusetzen", sagte der Justizminister von Texas, Ken Paxton, dem Sender Fox News. Es gebe keine perfekte Lösung. Auch Paxton steht im November zur Wiederwahl, da der Kabinettsposten in Texas von den Wählern bestimmt wird. Ab Freitag soll die Jahrestagung der Waffenlobby NRA im texanischen Houston stattfinden. Dort sollen unter anderem neben Abbott auch die einflussreichen Senatoren Ted Cruz und John Cornyn sprechen.

Hintergrund noch unklar

Schon vor knapp zehn Jahren hatte das Massaker an der Sandy-Hook-Volksschule in Connecticut besondere Erschütterung in den USA ausgelöst: Im Dezember 2012 hatte ein 20-Jähriger dort um sich geschossen, 20 Schulkinder und sechs Lehrkräfte wurden getötet. Und erst vor gut einer Woche hatte ein Schütze mit einem Sturmgewehr in Buffalo im Bundesstaat New York in einem Supermarkt das Feuer eröffnet, zehn Menschen erschossen und drei verletzt. Den Ermittlern zufolge war die Tat rassistisch motiviert – elf der 13 Opfer waren schwarz.

Über den Hintergrund der Tat in Uvalde war zunächst wenig bekannt. Die Ermittler hielten sich bedeckt. Medienberichten zufolge soll der Schütze die Waffe vor rund einer Woche kurz nach seinem 18. Geburtstag gekauft haben. Ehemalige Schulkameraden ordneten dem Schützen laut CNN ein Instagram-Profil zu, auf dem vor wenigen Tagen ein Foto von zwei Gewehren gepostet worden war. Das Verhalten des Schützen habe sich zuletzt verändert, zitierte die "Washington Post" einen Jugendfreund. Er habe bei seiner Mutter und manchmal bei seiner Großmutter gelebt und sich in letzter Zeit aggressiv verhalten. (APA, 25.5.2022)