Verteidiger Volkert Sackmann ist über die Anklage gegen einen suspendierten Polizisten im und vor dem Verhandlungssaal ziemlich erbost.

Foto: Neos / Nina Neuherz

Wien – "Es gibt Verfahren, die sind einfach, es gibt Verfahren, die sind kompliziert, und es gibt Verfahren, die einen am Rechtsstaat zweifeln lassen", macht Verteidiger Volkert Sackmann aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er muss es wissen, kennt er sich im Justizsystem doch aus, schließlich war er vor seiner Selbstständigkeit Staatsanwalt in Wien. Vor Richterin Patrizia Kobinger-Böhm vertritt er Egisto Ott, einen zuletzt für das ehemalige Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) tätigen 59-jährigen Polizisten, der derzeit suspendiert ist.

Im seinem Prozess um falsche Beweisaussage geht es aber nicht um den im Zuge der BVT-Affäre aufgekommenen Vorwurf, er habe illegal Dokumente an Russland weitergeleitet, sondern um Dinge, die Ott im Vorjahr bei einer Einvernahme im Zusammenhang mit seiner Festnahme und der Hausdurchsuchung bei ihm zu Protokoll gegeben hat.

Staatsanwaltschaft Eisenstadt ermittelte

Der Unbescholtene habe damals behauptet, er sei verletzt worden, er sei von den einschreitenden Beamten nicht korrekt über seine Rechte belehrt worden, und generell sei die Amtshandlung nicht im Sinne der Strafprozessordnung (StPO) durchgeführt worden, und all das sei falsch, wirft ihm die Staatsanwaltschaft Eisenstadt (wegen des früheren Berufslebens von Sackmann zuständig) vor.

Das Seltsame daran: Die Verletzungen, die angeblich erfunden sind, wurden sogar bei Otts Einlieferung in die Polizeihaft eine Stunde nach der Festnahme durch eine Amtsärztin dokumentiert, deren Diagnose sich im Akt befindet. Auch als er später kurzfristig in Untersuchungshaft genommen wurde, hielt man in der Justizanstalt die von den Handfesseln verursachten Schürfwunden an den Handgelenken und Blutergüsse fest – diesen Befund haben sich die Ermittler allerdings nicht besorgt, erst Sackmann legt ihn der Richterin vor.

Würgegriff und Leberhaken

Nicht nur deshalb bekennt sich der aufgebrachte Angeklagte mit Vehemenz nicht schuldig. Er habe immer die Wahrheit gesagt, beteuert er, die Polizisten hätten dagegen widersprüchliche Aussagen geliefert. Ott schildert den Einsatz gegen neun Uhr am 24. Jänner 2021 so: "Ich bin am Küchentisch mit Kopfhörern bei meinem Laptop gesessen und habe gearbeitet. Plötzlich sind Männer gekommen, ich wurde in einen Würgegriff genommen, bekam einen Leberhaken und wurde zu Boden gezerrt."

"Jetzt hamma dich endlich, du Dreckschwein!", soll einer der Polizisten gesagt haben. Auf seine Aufforderung, über seine Rechte belehrt zu werden, habe er "Du hast keine Rechte!" gehört. Er habe weder seine Frau noch seinen Anwalt kontaktieren dürfen, er sei auch nie aufgefordert worden, die vom richterlich genehmigten Hausdurchsuchungsbefehl umfassten Datenträger und elektronischen Geräte freiwillig herauszugeben. Im Gegenteil, die Beamten seien "vandalenmäßig vorgegangen". Er sei seit 1982 bei der Exekutive, betont der Angeklagte: "Ich habe nie so gearbeitet, wie diese Herren dort gewütet haben."

Gerichte gaben Angeklagtem recht

Für ihn spricht, und das ist die nächste Seltsamkeit in diesem Fall, dass ihm bereits mehrere Gerichte recht gegeben haben. Eine Beschwerde beim Oberlandesgericht Wien ergab, dass die Hausdurchsuchung an sich zwar zulässig gewesen sei, Ott aber in seinen Beschuldigtenrechten verletzt worden sei. Das Landesverwaltungsgericht Wien ging noch weiter: Seine Festnahme sei rechtswidrig gewesen, die Rechte von ihm und seiner Gattin seien ignoriert worden. Auch der von der Anklagebehörde nebulös formulierte Punkt, Ott habe zu Unrecht behauptet, die Amtshandlung sei nicht StPO-konform durchgeführt worden, scheint also bestätigt.

Bleibt nur mehr die Detailfrage nach der Belehrung. Die Polizisten, die Richterin Kobinger-Böhm als Zeugen geladen hat, können da nur bedingt weiterhelfen. Und sie erzählen auch völlig andere Versionen des Einsatzes in der 32-Quadratmeter-Wohnung.

"Ich bin nicht der Otto Wanz"

Einer sagt, bei ihrem Erscheinen habe Ott sitzend sein Mobiltelefon genommen, um es entweder zu zerstören oder auszuschalten. Dabei sei es zu einem Gerangel gekommen, dann sei er wegen Widerstands festgenommen worden. Ein anderer meint sich zu erinnern, der Angeklagte sei mit dem Handy "im Bereich der Küche weggelaufen". Dieser Beamte ist sich auch ganz sicher, dass Ott das Gerät zerstören wollte, indem es er zwischen den flachen Händen zerdrücken wollte. "Ich bin nicht der Otto Wanz", kontert der Angeklagte diesen Vorwurf.

Der Ermittlungsleiter, der die kleine Wohnung erst betreten haben will, nachdem Ott schon gesichert war, beteuert, er habe seinen suspendierten Kollegen über den Inhalt des Hausdurchsuchungsbefehls und den Festnahmegrund informiert. Dann habe er ihn gefragt, ob er ihn als Polizist über seine Rechte belehren soll, was Ott ausdrücklich verlangte, also habe er ihn aufgeklärt. Wobei – während der Belehrung habe der Asthmatiker Probleme mit dem Luftholen bekommen, daher sei sein Spray geholt worden, ganz sicher ist also nicht, ob Ott alles mitbekommen hat.

"Arschloch" und "schwarze Netzwerke"

In einem anderen Verfahren gab der Ermittlungsleiter allerdings zu, Ott als "Arschloch" bezeichnet zu haben, was dieser mit der Bemerkung, dass "das schwarze Netzwerk jetzt zuschlägt", quittiert habe. Vor Kobinger-Böhm gesteht der Beamte aus Oberösterreich auch zu, dass Ott nur nach dem Aufbewahrungsort seiner Waffen gefragt worden sei – nach den eigentlich gesuchten Datenträgern sei er nicht gefragt worden, da er ja nach Darstellung der Polizei das Handy auch nicht freiwillig hergeben wollte.

Die Staatsanwältin erweitert am Ende die Anklage um das Verbrechen der Verleumdung, da sie meint, Ott habe durch seine Aussagen den Polizisten Amtsmissbrauch unterstellt. Interessanterweise hat ihre Kollegin in Eisenstadt das Verfahren zu diesem Vorwurf eingestellt.

Eine Rolle spielt das nicht mehr, die Richterin spricht Ott nicht rechtskräftig frei. Die Verletzungen seien dokumentiert, die StPO-Konformität eine Wertung, und ob und wie eine Belehrung über die Rechte stattgefunden hat, könne sie nicht beurteilen. Für eine Falschaussage müsse dem Angeklagten aber die subjektive Absicht zur Lüge nachweisbar sein, und die sieht Kobinger-Böhm nicht.

Fortführungsantrag gegen Polizisten

Zu Ende ist die Geschichte damit nicht: Die Verfahren wegen Amtsmissbrauchs gegen die Polizisten wurden zwar eingestellt, Verteidiger Sackmann – der von der Richterin am Ende übrigens einmal als "Herr Staatsanwalt" angesprochen wird – hat aber einen Fortführungsantrag gestellt, da es ihn aufregt, wenn Gerichte feststellen, dass etwas nicht rechtskonform abgelaufen ist und das keine Konsequenzen für die Beamten hat. (Michael Möseneder, 25.5.2022)