Wir sehen hier ein Foto von Scooter live, aufgenommen am 11. Mai in Hannover im Rahmen ihrer aktuellen "God Save the Rave"-Tournee.

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Bob Dylans Stimme klingt nach einer Kröte mit Raucherhusten. Der geht bei der Bergwertung oft die Luft aus. AC/DC haben seit der ersten Ölkrise 1973 exakt ein Lied im Repertoire. Gut, sie haben auch ein zweites, langsameres, aber das will niemand hören. Der Gesang bei AC/DC nimmt die Hörerinnen jedenfalls mit seiner einzigartigen Angestochenheit sofort für sich ein. Neil Young jammert mit Fistelstimme von der Liebe und nur der Liebe. Björk begleitet ihre Musik gesanglich ausdrucksstark, aber auf Distanz zum Grundgeschehen und der jeweiligen Tonart. Rammstein lassen das RRRRR im Paarreim rollen.

Und der heute 58-jährige H. P. Baxxter marschiert mit seiner am kommenden Freitag in der Wiener Stadthalle möglicherweise nicht ganz live auftretenden Drei-Mann-Sause Scooter aus Hamburg seit Jahr und Tag zu verhallten und sofort wiedererkennbaren Kasernenhof-Kommandos durch den deutschen Kirtagstechno.

Mit dem Alleinstellungsmerkmal in der Kunst ist es so eine Sache. Wenn man es positiv deutet, nennt man die ständige Wiederholung eines einmal gefundenen Ausdrucks einen Personalstil. Negativ betrachtet handelt es sich, wie der Engländer es formuliert, um ein "one-trick pony".

Scooter

Scooter kamen vor mittlerweile gut drei Jahrzehnten über die Welt. Damals feierte Techno den Einzug in die Großraumdiscos und wurde zum Rave für die breite Masse. Die ursprünglich streng gegen einen Frontalunterricht von der DJ-Kanzel aus angelegte, anonyme und instrumentale, im Kollektiv gedachte Musik aus dem Untergrund schaffte dank Frontfiguren wie Westbam, Marusha oder Sven Väth mitunter den Einzug in die Charts. Scooter, die Band um den gachblonden norddeutschen Frontmann Hans Peter Geerdes, spitzten Techno noch einmal zu, indem sie ihn stumpf machten und auf den Rummelplatz holten.

Völkerfreundschaft

Mit immer voll auf die Zwölf gehenden, von schnellmachender Unterhaltungschemie befeuerten Stücken wie Hyper Hyper oder How Much Is the Fish? verkauften Scooter bis heute 30 Millionen Tonträger. Mit rekordverdächtigen 24 Top-Ten-Platzierungen in der deutschen Hitparade strahlten sie auch international bis hinter den Ural und von dort einmal um die ganze Welt aus. Da drücken Scooter im Sinne der Völkerfreundschaft schon einmal ein Auge zu und machen der Gage und der gachblonden Frauen wegen auch bei einer Firmenfeier einer mindestens umstrittenen russischen Institution Party. H. P. Baxxter: "In Russland traten wir für den Inlandsgeheimdienst auf, da tanzten die schönsten Models vor der Bühne. Die zeigten uns nach der Show, wie toll sie uns fanden."

Scooter

Scooter ballerten ihre Beats und Kommandos aber auch Ende der Zehnerjahre auf der besetzten Krim. H. P. Baxxter 2013 in einem Interview: "Nach unseren Shows gibt es bei mir Barzwang, da muss getrunken werden, bis keiner mehr stehen kann. Notfalls hole ich meine Leute noch mal aus dem Bett." Wer nicht mehr stehen kann, kann auch keinen Schaden anrichten. Subversion durch Affirmation.

Feierei bis zum Umfallen

Parallel ergänzt von den ungleich garstigeren Rammstein, stehen Scooter für eine gnadenlose Form deutscher Unterhaltungskultur, die zwar auf moderne Marschmusik im Angriffsmodus setzt. Allerdings steht bei Scooter neben dem offensiv gepflegten harten deutschen Schulenglisch-Akzent immer schon die Party im Vordergrund. Feierei bis zum Umfallen. Damit legten sie mit mächtig ballernden Beats, leicht wiedererkennbaren Samples aus der Popgeschichte und zwischengeschalteten Kreissägensounds, Fliegeralarmsirenen und Megafongebrüll unabsichtlich auch mit den Grundstein für das heutige Genre der Ballermann- und Skihüttenmusik.

Selbstverständlich kennt heute jeder mindestens einen Menschen, der Scooter unendlich deppert findet. Wer sich aber einmal auf ein sogenanntes Livekonzert der Band eingelassen hat, wird begeistert sein. Hier gelangt Popmusik endlich ganz zu sich selbst. Sie ist reine Oberfläche und wird zum wie geschmiert laufenden Soundtrack zur totalen Entgrenzung am Wochenende. Hörsturz inklusive.

Kontor.TV

Wie bei Rammstein spielt auch die Pyrotechnik eine entscheidende Rolle. Allerdings wird das Weltenende durch halbnackte Tänzerinnen vom Armageddon zum Wet-T-Shirt-Contest mit Sangria aus dem Kübel abgemildert. Dieser Club kennt die Notaufnahme, aber keinen Notausgang. Das kann man natürlich ironisch sehen. Junge Leute heute neigen überhaupt zu einer grundsätzlichen Ironisierung einer Popmusik, die am Ende angekommen ist, weil mittlerweile einfach alles geht. Allerdings haben gescheite Menschen schon vor Jahrhunderten herausgefunden, dass Exzesse nur glimpflich verlaufen, wenn man diese diszipliniert begeht. Jede Ausschweifung benötigt Ordnung. Zurück ins Glied! Der Saal geht durch die Decke.

Völlig sinnbefreit

Unvergesslich völlig sinnbefreite Scooter-Slogans wie "The cherries are not important / Let's blow a hole in the bowl!" oder "Please refrain from not smoking / The question is: What is the question?!" oder "Respect to the man in the ice cream van!".

Ernster kann Hans Peter Geerde natürlich auch: Mit H. P. Baxxter liest Erzählungen von Thomas Bernhard liegt von ihm ein Hörbuch vor. In diesem kommen unter anderem die Geschichten Der Kassier, Der Gastwirt, Der Diktator und Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? vor. Das passt wie die Faust aufs Auge. Thomas und Hans Peter, immer dieselbe Leier. (Christian Schachinger, 26. 5. 2022)