Die Bilder gleichen einander, auch die Zahlen sind vergleichbar – und doch ist vieles anders: 2022 ließen sich bisher 72.000 Ukraineflüchtlinge als Vertriebene registrieren...

foto: Robert Newald

Wien – Der Exodus aus der Ukraine begann vor einem Vierteljahr. Am 24. Februar überfiel Russland den Staat. Seitdem haben hunderttausende Frauen mit Kindern und älteren Verwandten die Westgrenzen der Ukraine überquert und Schutz in Europa gesucht. Die Bilder ähneln jenen, die sechseinhalb Jahre früher, ab Sommer 2015, an den Südostgrenze der EU, und in weiterer Folge auch an den Grenzen zu Österreich, zu beobachten waren.

Und doch ist die Lage anders. Warum das? 2015 und 2016 kamen vorrangig Menschen aus muslimisch geprägten, oft arabischen Ländern in der EU an. Die meisten hatten in der Türkei und in Griechenland unfreiwillig Zwischenstation gemacht. Die Flüchtlinge im Jahr 2022 hingegen stammen aus einem europäischen, großteils christlich geprägten Land und kommen direkt aus der Ukraine.

Schutzsuchende als "Invasion"

Auch die Geschlechterverteilung eine andere: 2015 und 2016 war die Fluchtbewegung männlich dominiert. 2022 sind nur wenige Männer mit dabei, da die meisten in der Ukraine zum Kampf verpflichtet werden.

2015 und 2016 wurde der Umgang mit Asylwerbenden vor allem als Teil der Sicherheitspolitik betrachtet, Geflüchtete galten als Bedrohung. In Ungarn nannte Präsident Viktor Orbán die Fluchtbewegung eine "Invasion", Migranten "Gift". Die Ukrainevertriebenen hingegen werden überwiegend willkommen geheißen.

Asylwerber verlieren Jahre

Höchst unterschiedlich ist auch der rechtliche Umgang mit den beiden Fluchtbewegungen. Die Flüchtlinge von vor sechseinhalb Jahren suchten in Österreich meist laut Genfer Flüchtlingskonvention um Asyl an. In der Folge mussten sie den Ausgang ihres Asylverfahrens abwarten – so, wie das auch jetzt alle Schutzsuchenden außer Menschen aus der Ukraine tun müssen. Das kann manchmal Jahre dauern.

...2015 hatten mehr als 88.000 Flüchtlinge in Österreich um Asyl angesucht.
Foto: planenauer

Das Leben Betroffener bleibt währenddessen oft stehen. Sie haben nur beschränkt Zugang zu Sozialleistungen und zu Bildung nach der Schulpflicht. Der Jobmarkt ist ihnen, von Saison- und Erntearbeit abgesehen, verschlossen. Am Ende des Verfahrens stehen Asylanerkennung, subsidiärer Schutz oder Ablehnung. Auch humanitäres Aufenthaltsrecht wird fallweise zuerkannt.

Paradigmenwechsel in der EU

Den Ukrainevertriebenen hingegen wurde von Beginn an ein Aufenthaltsstatus gewährt. Auf Grundlage der EU-Massenzustromrichtlinie erhielten sie unionsweit temporären Schutz, vorerst für ein Jahr, verlängerbar auf bis zu drei Jahre. Sie haben Zugang zum Arbeitsmarkt. Insgesamt gibt es in der EU derzeit drei zentrale rechtliche Schutzinstrumente für Menschen auf der Flucht (siehe unten).

Die Aktivierung der seit 2001 bestehenden Richtlinie und der Umgang der EU-Staaten mit den aus der Ukraine Geflüchteten war ein Paradigmenwechsel: Erstmals wurden Menschen, die vor einem Krieg flüchten, sofort Rechte gewährt, die jenen anerkannter Flüchtlinge nahekommen. 2015 und 2016 wahr eine solche Einigung gescheitert, vor allem, weil sich die EU-Staaten nicht darüber einigen konnten, wie Geflüchtete verteilt werden sollen.

Ukrainer in der Warteschleife

Wie aber wirkt sich der temporäre Schutz für Ukrainerinnen in Österreich in der Praxis aus? Nach drei Monaten ist die Lage der rund 72.000 Kriegsvertriebenen durchwachsen. Nur 3.600 von ihnen haben einen Job gefunden und stehen auf eigenen Beinen. Die meisten warten in der Grundversorgung, die 2011 an sich für Asylwerber geschaffen wurde, auf ihre blaue Vertriebenenkarte, ihre E-Card und ihren Arbeitsmarktservicetermin.

Wer über keine Geldreserven oder private Unterstützer verfügt, spürt die engen Grenzen des Grundversorgungssystems am eigenen Leib: den Umstand etwa, dass man in organisierten Quartieren in Naturalien versorgt wird, dann man nur 40 Euro monatliches Taschengeld erhält, und dass es keine Beschwerdemöglichkeiten gibt, wenn die Unterkunft inakzeptabel ist.

Systemimmanente Arbeitshinderung

Wer wiederum, wie zwei Drittel der Ukraineflüchtlinge, in einer privat zur Verfügung gestellten Wohnung lebt, muss – als Einzelperson – mit maximal 300 Euro monatlich auskommen. In vielen Fällen wurden diese Gelder bis dato noch überhaupt nicht ausbezahlt. Hinzu kommt eine drakonische Zuverdienstgrenze von 110 Euro monatlich. Wer mehr einnimmt, muss binnen mehrwöchiger Frist aus dem Quartier ausziehen.

Diese Regeln wurden geschaffen, um Asylwerbern die Verankerung in Österreich zu erschweren. Nun hemmen sie die Jobaufnahme von Ukraineflüchtlingen. Dabei ist Arbeitengehen genau das, was man von ihnen erwartet. (Irene Brickner, Muzayen Al-Youssef, 26.5.2022)