Boris Johnson versucht in Sachen Partygate die Flucht nach vorn.

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Mit einem massiven Hilfspaket für geplagte Energiekonsumenten hat Boris Johnsons konservative Regierung am Donnerstag versucht, die britische Öffentlichkeit von den verheerenden Lockdown-Partys in der Downing Street abzulenken. Für die Zustände am Regierungssitz übernehme er "die volle Verantwortung", hatte der Premier am Mittwoch dem Unterhaus mitgeteilt, Rücktrittsforderungen jedoch zurückgewiesen. Drei Abgeordnete der Regierungsfraktion entzogen dem Chef das Vertrauen. "Er hat wissentlich das Parlament getäuscht", gab John Baron zur Begründung an.

Angesichts teilweise verdoppelter Kosten für Strom und Heizung kündigte Finanzminister Rishi Sunak eine einmalige Energiezulage von umgerechnet 470 Euro für jeden Haushalt auf der Insel an. "Die Konservativen brauchten eine neue Schlagzeile", höhnte Labours Finanzsprecherin Rachel Reeves.

Gegen geltendes Recht

Tatsächlich hatten die Londoner Zeitungen zuvor schlimme Details der systematischen Rechtsbrüche in der Downing Street aufgeblättert, wie sie der Bericht von Spitzenbeamtin Sue Gray anführte: Alkoholgelage bis tief in die Nacht, mit Partymüll übersäte Büros, offener Hohn für Sicherheitsbeamte und Putzpersonal. Die Vorwürfe beschäftigen die Briten seit sechs Monaten und haben zu einem massiven Ansehensverlust Johnsons geführt.

Gray spricht von einem "Versagen von Führungsqualität und Urteilsvermögen" in der Downing Street, wo die Stabsstelle des Premiers beheimatet ist. Viele der insgesamt 16 untersuchten Events hätten nicht stattfinden dürfen. Einer separaten Untersuchung der Kriminalpolizei zufolge haben 83 Menschen gegen Corona-Vorschriften und damit gegen geltendes Recht verstoßen.

Zu all jenen, die Geldstrafen, im Normalfall 50 Pfund, bezahlen mussten, zählten außer Johnson selbst auch dessen Frau Carrie sowie der Finanzminister Rishi Sunak.

Der Zeitplan hilft

Johnson gab sich in einer kurzen Stellungnahme im Unterhaus "demütig" und betonte, er habe an mehreren der Events nur für einige Minuten teilgenommen, um scheidenden Mitarbeitern zu danken und Erfolg zu wünschen. Ausdrücklich entschuldigte sich der Premier bei Putzleuten und Sicherheitspersonal. Zu Hilfe kam dem Partypremier Grays Zugeständnis, dass sich seit ihrem Zwischenbericht Ende Jänner bereits manches in der Downing Street verändert habe.

Oppositionsführer Keir Starmer sprach von einem "Katalog von Kriminalität", für den Johnson verantwortlich sei. Der Premier handle nicht "verantwortungsvoll, ehrlich und im Interesse des Landes", wie es die Briten vom Bewohner der Downing Street erwarten.

Grays Zwischenbericht geriet Ende Jänner durch die Nachricht in den Schatten, dass damals nach wochenlanger Weigerung plötzlich auch die Kriminalpolizei Ermittlungen aufgenommen hatte. Scotland Yard kam dem Premier auch diesmal zu Hilfe: Die Behörde beendete vergangene Woche ihre Untersuchung, ohne weitere Geldstrafe.

Zusätzlich wirkt sich der politische Zeitplan zu Johnsons Gunsten aus: Am Donnerstag verschwinden die Abgeordneten in die Pfingstferien, die diesmal mit den Feiern zum 70. Thronjubiläum der Queen zusammenfallen. Eine innerparteiliche Attacke auf den Regierungschef – die einzig echte Gefahr für Johnson – wird so extrem unwahrscheinlich. (Sebastian Borger aus London, 26.5.2022)