Jacques Duèse war alles andere als ein begnadeter Theologe." So begann vor sechs Jahren ein Geschichtsporträt des Historikers und Redakteurs Berthold Seewald in der Berliner Zeitung Die Welt. Der informative Kurzaufsatz porträtierte nicht nur den katholischen Bischof Duèse, der von Haus aus Jurist war und nicht Theologe und in hohem Alter, mit 72, im Jahr 1316 kränkelnd zum Papst gewählt worden war, sich Johannes XXII. nannte und mit eiserner Hand auf dem Stuhl Petri achtzehn Jahre amtierte. "Mit ihm", so der Bamberger Ordinarius für Kirchengeschichte Georg Denzler, "kam eine der unwürdigsten Persönlichkeiten auf den päpstlichen Thron." Im Jahr seiner Wahl 1316 residierte dieser Papst nicht mehr in Rom. Sondern in Avignon im Südosten Frankreichs.

Kannte Dirk Schümer diesen Beitrag? Immerhin ist er seit 2014 Kulturkorrespondent der konservativen Zeitung, in Venedig stationiert, von wo aus er zuvor bereits ein Jahrzehnt für die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet hatte. Einzige Unterbrechung: die Jahre 2009 bis 2012, als er Wien-Korrespondent war. Und fast direkt neben dem Zsolnay-Verlag residierte. Nun ist der erste Roman des Journalisten erschienen, bei Zsolnay, ein historisches Epos. Das 1328 in Avignon spielt. Eine der Hauptfiguren: der Duèse-Papst, der als geld-, gold- und machtgieriger Paulus-Nachfolger auftritt und in einer Glaubensduellszene als Menschen verachtender Wiedergänger des Teufels.

Gestern und heute

Beim populären Genre Historienroman, das zwischen trivialen Untiefen à la Iny Lorentz, Tanja Kinkel oder Ken Follett und literarischen Höhen – Hilary Mantel, Robert Ranke-Graves, Leo Perutz, die Kanadierin Esi Edugyan – oszilliert, stellen sich stets Fragen wie: Roman oder Biografie? Eng der Historie folgend oder "nachempfunden"? Wie nah sind uns die Figuren von einst? Spiegelt Geschichte die Gegenwart – was deutschsprachige Exilautoren in den 1930er- und 1940er-Jahren zu zeigen versuchten, Heinrich Mann, Hermann Kesten oder Lion Feuchtwanger? Und warum werden zu welchem Zeitpunkt bestimmte Persönlichkeiten neu entdeckt?

Ganz aktuelle Frage des Jahres 2022: Wieso haben gleichzeitig ein erfolgreicher Historiker wie der in Wien lebende Philipp Blom, einer der belesensten literarischen Essayisten deutscher Sprache, der in Zürich lebende Tiroler Markus Gasser und der Kulturreporter Schümer das Fach gewechselt und sich an historischen Romanen versucht? Im letzten Oktober erschien Bloms Diebe des Lichts über Kunst, Renaissance und Italien; jetzt, kurz hintereinander, Gassers Daniel-Defoe-Roman Die Verschwörung der Krähen und das umfangreichste des Trios, Schümers satt ausgemaltes Historien-Pasticcio Die schwarze Rose. Geringe Auslastung eines Redakteurs einer immer dünner werdenden Zeitung? Oder ökonomische Aus- und Zuflucht, weil Sachbuchverlage derzeit alle Manuskripte ablehnen, auf denen "Kulturgeschichte" steht?

Geschichte und Zitat

In Die schwarze Rose – schöner Gruß von Orson Welles und Tyrone Power aus Henry Hathaways Film The Black Rose von 1950, der auf des Kanadiers Thomas Castains Historienroman basierte – tritt ein englischer Franziskaner mit Adlerblick auf, der eine Weltberühmtheit ist: William von Baskerville, der Protagonist in Umberto Ecos Der Name der Rose. Doch William ist bei Schümer eine Nebenfigur. Im Zentrum steht ein junger Dominikaner mit wildem Vorleben, Wittekind Tentronk. Der seinen Meister, den rheinischen Prediger Eckhart von Hochheim, nach Avignon begleitet. Dieser muss sich dort vor der Inquisition des Häresie-Vorwurfs und des Verbrennens auf dem Scheiterhaufen erwehren.

Schümer zeichnet ein intensives Bild der Stadt im Jahr 1328, von der Joseph Roth sieben Jahrhunderte später so bezaubert war: dreckig, lustverseucht, voller Liebe, Gier, Macht, Intrigen. Dazu gibt es einen Kriminalfall, eine Verschwörung, Raufereien, die Schümer besser schildert, als dies Blom gelang, etliche Tote, Zärtlichkeit, viel Musik, noch mehr Atmosphäre. Und eine Fülle an vergnügt eingestreuten Zitaten, Pastiches und Travestien. So taucht etwa ein freundlicher bärtiger Bibliothekar namens Humbert aus Alexandrien auf, natürlich Umberto Eco, geboren in Alessandria.

Es dürfte bald einige Studierende geben, die sich daranmachen werden, die eingewobenen Anspielungsfäden, von Eco über E. T. A. Hoffmann bis zu Petrarca, aus dem Breitwandroman zu ziehen. Gelungen ist er, nur der Nachklapp stört ein wenig, da Schümer hier das letzte Fiktionsregister zieht, wie ihn nämlich 2020 auf der Insel Teneriffa ein uraltes Manuskript zugespielt wurde, das er, der einst im Nebenfach Mittelalterliche Geschichte studierte, wie in Trance übersetzte, danach verschwand es spurlos mitsamt dem Finder.

Dem Roman spielt die aktuelle Debatte über die katholische Kirche – "ecclesia povera" oder in jeder Hinsicht reformresistenter Machtapparat, der antiquiert-sklerotisch ist, Liberalismus oder rigid weltabgewandte Orthodoxie – gerade machtvoll in die Arme.

(Alexander Kluy, 28.5.2022)