US-Präsident George W. Bush verkündete am 1. Mai 2003 "mission accomplished", das Ende des Irakkriegs. 19 Jahre danach ist dessen Völkerrechtswidrigkeit wieder ein Thema.

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Lachen verbindet, sollte man meinen. Zumindest konnte sich wohl kaum jemand ein Schmunzeln verkneifen, als George W. Bush in einer auch auf Youtube verfügbaren Rede folgender Lapsus passierte: Eine Folge der Abwesenheit von "checks and balances" in Russland sei "die Entscheidung eines einzelnen Mannes, eine gänzlich ungerechtfertigte und brutale Invasion des Irak zu starten ...". Schrecksekunde. "Ich meine: der Ukraine." Dann hört man gemurmelt: "Anyway, Iraq... Seventy-five." 75 – das ist das Alter des Ex-Präsidenten der USA (2001 bis 2009).

Im Westen, wo man sich schon immer über die "Bushisms" amüsierte, die Sager eines Mannes, der wohl so einiges "misunderestimated" – diese Wortkreation stammt von ihm – hatte, war das Lachen eher ein Bruhaha. In anderen Teilen der Welt gab es durchaus auch Kommentare mit Titeln wie "Das ist nicht lustig". George W. Bush hatte 2003 das gemacht, was sein Vater, Präsident George H. W. Bush, 1991 nach dem Golfkrieg zur Befreiung Kuwaits nicht getan hatte, gerade deshalb nicht, um die Region nicht zu destabilisieren: den Irak erobert und Saddam Hussein gestürzt. 2003 kam sein Sohn.

Das ist 19 Jahre her. Der Irak hat seither einen konfessionell geprägten Bürgerkrieg und die Übernahme eines Teils seines Territoriums durch eine jihadistische Terrorgruppe, den "Islamischen Staat", erlebt. Junge Iraker und Irakerinnen können sich an Saddam Hussein, dem brutalsten Diktator seiner Zeit, nicht mehr persönlich erinnern, junge Menschen weltweit kennen ihn nur aus Geschichtsbüchern. Aber plötzlich schwappt die US-geführte Irak-Invasion von 2003 im öffentlichen Diskurs wieder nach oben.

Symbol für das Scheitern

Sie ist zum Symbol für das westliche Scheitern geworden. Der Krieg in der Ukraine, der die USA und Europa bei der Verteidigung gegen den russischen Aggressor von außen beistehen, ist in der Darstellung zum Kampf der "Werte" geworden. "Ihr wollt die Guten sein?", werden wir gefragt. Was ist mit dem völkerrechtswidrigen Irakkrieg, in dem die Menschenrechte – hier kommen die ikonischen Bilder durch US-Soldaten gefolterter irakischer Gefangener aus dem Gefängnis von Abu Ghraib ins Spiel – mit Füßen getreten wurden und in dessen Folge Hunderttausende gestorben sind?

Die Diskussion wird von beiden Seiten oft mit dem Bihänder geführt. Sie läuft nicht mehr einfach zwischen den Kriegsbefürwortern und -gegnern von damals: Unter Letzteren haben viele die Seite gewechselt. Zu klar hat sich nach dem Krieg erwiesen, dass die "Beweise" gegen Saddam konstruiert waren und dass es – für den Irak sicher noch fataler – keine Pläne für die Nachkriegszeit gab.

"Mission accomplished"?

Es wurde ein politisches Desaster, aber auch ein militärisches. Denn schon ein Jahr, nachdem Bush am 1. Mai 2003 auf der USS Abraham Lincoln "mission accomplished" verkündet hatte, befanden sich Teile des Irak nicht mehr unter Kontrolle der USA und deren Alliierten. Bis heute ist der Irak nicht stabilisiert – und kein Freund des "Westens". Vor ein paar Tagen hat das irakische Parlament erneut ein Gesetz erlassen, dass jede Normalisierung mit Israel verbietet und Kontakte zu Israel im schlimmsten Fall unter Todesstrafe stellt. Aber schon zuvor: So mancher Kriegsfan von damals will es heute nicht mehr gewesen sein.

Bei vielen "Das ist nicht lustig"-Kommentaren zu Bushs Freud’schem Versprecher wird hingegen voll und ganz ausgeblendet, um wen es sich bei Saddam Hussein eigentlich handelte: dass die US-Invasion kein Überfall auf einen friedlichen Staat mit einem demokratisch gewählten Präsidenten war, wie es bei der Ukraine der Fall ist. Völkerrechtlich macht das wohl keinen Unterschied, historische Vergleiche sollten dennoch differenzierter sein. Es gab 2003 keine Massenvernichtungswaffen und auch keine Massenvernichtungswaffenprogramme im Irak. Aber all das, Waffen und Programme, hatte Saddam Hussein zuvor gehabt, sie wurden nach 1991 von den Inspektoren der Uno und der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA erfolgreich aufgespürt und eliminiert.

Aber auch die Verteidiger Bushs schießen noch immer aus allen Rohren. Der Klassiker: Der Präsident habe nicht gelogen, sondern er wurde getäuscht. Er habe – anders als er es in der verunglückten Rede über Putin jüngst sagte oder sagen wollte – die Entscheidung auch nicht alleine getroffen. Und vor allem: Der Krieg von 2003 war ja gar nicht illegal!

So argumentiert etwa Michael Rubin vom American Enterprise Institute (AEI) mit dem alten Hut, dass sich die USA bei ihrer Invasion im März 2003 mit Recht auf die Uno-Sicherheitsrats-Resolutionen von November 1990 und April 1991 vor und nach dem Golfkrieg berufen konnten. In Ersterer wurden dem Irak "alle Mittel" – also Gewalt – angedroht für den Fall, dass sich die irakischen Truppen nicht aus Kuwait zurückziehen, in Letzterer wurden der Waffenstillstand und die Bedingungen dafür festgelegt. Die Saddam Hussein eben 2003 nicht erfüllt hatte, so der Spin.

Putin sah es einmal anders

Australien und Großbritannien waren dieser Argumentation angesichts der Problematik, dass es kein neues Uno-Mandat für den Krieg gegen den Irak gab, ansatzweise gefolgt. So richtig abgehoben hat sie jedoch nie, juristische Schriften, warum sie unhaltbar ist, füllen Bücherregale. Durch den Chilcot-Bericht von 2016, in dem die britische Kriegsbeteiligung untersucht wurde, wurde bekannt, dass der damalige Generalstaatsanwalt und Rechtsberater der Krone, Peter Goldsmith, im Jänner 2003 noch die Rechtsmeinung vertreten hatte, ein neues Uno-Mandat sei für den Krieg absolut vonnöten. Im März war er anderer Meinung.

Selbstverständlich hatte es sich Lord Goldsmith nicht einfach anders überlegt: Seine spätere Entscheidung basierte auf den vehementen Behauptungen der Regierung von Tony Blair, dass "überzeugende Beweise für konkrete Verletzungen" der Uno-Resolutionen vonseiten des Irak vorlagen. Er stellte keine eigenen Nachforschungen dazu an – dazu war er offenbar auch nicht verpflichtet –, ob sie gedeckt seien. Sie waren es nicht.

"Die Anwendung von Gewalt in einem fremden Staat kann gemäß herrschenden internationalen Regeln nur von der Uno erlaubt werden. Das ist das Völkerrecht." Wer hat das gesagt? Es war Wladimir Putin im Jahr 2003, in Bezug auf den Irakkrieg.

Dass sich einer die Welt so macht, wie sie ihm gefällt, nennt man in einem anderen Kontext: Realpolitik. Gerade, was den Irak unter Saddam betrifft, war sie im Laufe der Zeit starken Wandlungen unterworfen. So zoomte die Kamera, als Bush im Herbst 2002 bei der Uno-Generalversammlung sprach, auf eine Gruppe bitter lachender iranischer Diplomaten. Der US-Präsident hatte gerade gesagt: "Saddam Hussein hat Iraner und irakische Dörfer mit Gas angegriffen." Auf amerikanisch klingt es noch drastischer, "gassed".

"Eine gänzlich ungerechtfertigte und brutale Invasion des Irak ... Ich meine: der Ukraine. Na ja, Irak." Ex-Präsident George W. Bush
Associated Press

Das hatten die USA, wie Joost Hilterman in einer Studie für Human Rights Watch feststellte, allerdings bereits 1988 gewusst, als in der irakisch-kurdischen Stadt Halabja Tausende am Giftgas Saddams starben. Und dennoch hatten die USA damals wider besseres Wissen versucht, es Teheran anzuhängen. Damals war Saddam Hussein, egal, welche Verbrechen er verübte, für die USA ein strategisches Asset gegen den Iran.

Der Wert von Menschenleben

Wie unterschiedlich man wo etwas wahrnimmt, wurde auch Ende März anlässlich des Todes von Madeleine Albright, von 1997 bis 2001 Außenministerin unter Bill Clinton, offenbar. Im Westen unter anderem als erste Frau in diesem Amt zelebriert, schrieb die in Washington in einem US-Thinktank wirkende irakische Politologin Rasha Al Aqeedi: "Für uns Iraker wird Albright immer die Frau bleiben, die dachte, dass der Tod von 500.000 Kindern ,es wert war'. Diese Zahl war übertrieben, aber sie zeigte kein Mitleid, als sie das sagte." Aqeedi spielte damit auf eine Antwort Albrights zur Frage in einem Interview nach Nutzen und Kosten der Sanktionen gegen den Irak in den 1990er-Jahren an.

Nicht nur der Fall Albright zeigt, dass es auch keineswegs nur um die bösen Republikaner geht: Das Lob, das Barack Obama dem US-Drohnenkrieg gegen "Terroristen" gesungen hat, fehlt in keiner dieser Diskussionen, sein Auftritt in einem der berühmten Dinner für Korrespondenten im Weißen Haus, in dem er über die "Predator-Drohnen" scherzte, die er jedem nachschicken würde, der seinen Töchtern nachstellte. Man höre sie nicht kommen, genial! Im Dezember 2021 dokumentierte die New York Times den enormen Verlust von zivilem Leben durch US-amerikanische Drohnen in Afghanistan, im Irak und in Syrien. Für uns mag das eine Facette der Zeitgeschichte sein. Für andere ist es das Bild des Westens und seiner Werte. Seines Zynismus. (Gudrun Harrer, 28.5.2022)