Tod durch Schusswaffen war 2020 in den USA die häufigste Todesursache für Kinder und Jugendliche (4.386 Fälle). Das x-te Schulmassaker, diesmal in Uvalde, Texas, wird keine nennenswerten Auswirkungen auf die absurden Waffengesetze in den USA haben. Der Oberste Gerichtshof wird demnächst darüber entscheiden, ob in New York das Verbot, Waffen verdeckt zu tragen, aufgehoben wird. Mit möglichen Folgen fürs ganze Land.

Und natürlich wird erwartet, dass der Supreme Court demnächst die Tür weit aufmacht für teils drakonische Verbote der Abtreibung. Und möglicherweise demnächst für die Aufhebung der Minderheitenschutzmaßnahmen ("affirmative action"). Und der Homosexuellenrechte inklusive gleichgeschlechtlicher Ehe. Ultrakonservative Kräfte betreiben all das mit großem Eifer.

Bei den Kongressuntersuchungen über den Sturm rechtsextremer Gruppen auf das Kapitol vom 6. Jänner 2021 kommen immer mehr Details über Donald Trumps Rolle als Anheizer ans Licht. Doch die Republikaner bezeichneten den De-facto-Putschversuch, mit dem der Kongress an der Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden gehindert werden sollte, als "legitimen politischen Diskurs".

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Auch das Schulmassaker in Texas wird keine nennenswerten Auswirkungen auf die absurden Waffengesetze in den USA haben.
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Und selbstverständlich fährt Trump fort, die Big Lie zu erzählen, dass ihm die Wahl gestohlen wurde. Seine Partei und die Amerikaner folgen ihm dabei großteils. Rund 53 Prozent der Republikaner und damit 25 Prozent der Amerikaner glaubten noch vor einem Jahr die Big Lie. Trumps Anhänger reden über Bürgerkrieg, und er retweetet das.

Was ist los mit den USA? Ist die wichtigste Demokratie der Welt verrückt geworden? "Transatlantiker" ist inzwischen bei etlichen Linken und Rechten ein Schimpfwort geworden, aber jeder mit einem Funken Realismus weiß, dass Europa ohne eine wirklich demokratische USA wenig Chancen gegen Wladimir Putins Krieg und Dominanzpläne hat.

Weiße Vorherrschaft aufrechterhalten

Die Antwort, auf die kürzestmögliche Formel gebracht: Es handelt sich um den Versuch einer Minderheit, einer weißen, konservativen bis rechtsextremen Minderheit, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. In den ethnosoziologisch sich wandelnden USA die weiße Vorherrschaft aufrechtzuerhalten. Dass es dieser – starken – Minderheit gelingt, sich derart durchzusetzen, liegt a) am US-(Wahl-)System und b) an der Entschlossenheit der Rechtskonservativen.

Die Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, Autoren des Bestsellers How Democracies Die, analysierten schon 2020: "Heute sind die amerikanischen Parteien krass entlang urban-ländlicher Linien geteilt: Die Demokraten sind in den großstädtischen Zentren konzentriert, während die Republikaner zunehmend in schwach besiedelten Gebieten ihre Basis haben. Das gibt den Republikanern einen Vorteil im Electoral College (das bei den Präsidentenwahlen schwach besiedelte Staaten begünstigt, Anm.), dem Senat und dem Supreme Court (den Trump besetzen konnte, Anm.)".

Die beiden Autoren konstatieren, dass in den USA eine "minority rule", eine Herrschaft der Minderheit, vorliegt. Obwohl eine Mehrheit der Amerikaner für Abtreibung und für strengere Waffengesetze ist, setzt sich eine rechte und motivierte Minderheit immer wieder durch. Gemäßigte Konservative haben derzeit wenig zu reden, wichtige Beobachter halten die Republikaner inzwischen insgesamt für autoritär-antidemokratisch. Und was tun die Linken und Liberalen? Die Demokratische Partei? Joe Biden? Zu wenig und teilweise das Falsche. Davon demnächst mehr. (Hans Rauscher, 27.5.2022)