An Bitcoin und anderen Kryptowährungen scheiden sich die Geister. Die aktuellen Preisstürze sorgen für neuerliche Panik.

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Als der Software-Entwickler Laszlo Hanyecz am 22. Mai 2010 sage und schreibe 10.000 Bitcoin für zwei Pizzen eintauscht, glaubt er, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Die gerade erfundene digitale Münze ist de facto noch wertlos, dennoch findet sich über das Internet ein Interessent, der die Bitcoin haben will und ihm dafür Pizza um 41 Dollar bestellt.

Wenn Hanyecz damals jemand gesagt hätte, dass die Transaktion im Herbst 2021, auf dem Höhepunkt der Bitcoin-Euphorie, 690 Millionen Dollar wert sein würde, hätte er diese Person wohl für verrückt erklärt. In Interviews hat Hanyecz stets bestritten, den Pizzakauf bereut zu haben. Mit seiner Transaktion, die als erste Bitcoin-Bezahlung in die Geschichte eingehen soll, habe er die Verwendung der digitalen Währung angestoßen und so zu ihrem Erfolg beigetragen. Die Kryptogemeinschaft dankt es ihm bis heute mit einem Feiertag: dem "Bitcoin Pizza Day".

Aktuell sorgt der anhaltende Kurseinbruch von Bitcoin und anderen Kryptowährungen wieder einmal für Panik. Viele haben bereits Geld verloren oder fürchten, dass der Preis der digitalen Münze in den kommenden Wochen weiter abstürzen könnte. Andere, die länger im Markt sind, feiern die sinkenden Preise, weil sie die Kryptowährung damit günstiger nachkaufen können. Doch was steckt wirklich hinter Bitcoin? Eine revolutionäre neue Geldordnung oder ein Pyramidenspiel, das wenige reich und viele arm machen wird?

1. Akt: Die Schöpfung

Bitcoin erblickt das Licht der Welt. Die Hintergründe bleiben bis heute rätselhaft.

Kein Mensch weiß, wer sich hinter Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto verbirgt.
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Wir schreiben das Jahr 2008. Die Finanzkrise hat die Welt fest im Griff. Der über Jahre aufgeblasene US-Immobilienmarkt ist bereits implodiert, viele Menschen stehen vor dem Ruin. Im Herbst kollabiert die US-Großbank Lehman Brothers, das Vertrauen in das globale Finanzsystem liegt am Boden. Im November taucht plötzlich ein akademisches Papier auf, das eine Vision beschreibt: ein digitales Geldsystem, das sichere Überweisungen zwischen zwei Personen ohne ein Finanzinstitut dazwischen ermöglicht. Der Name dieser revolutionären Währung: Bitcoin.

Als Autor des Leitfadens fungiert ein gewisser Satoshi Nakamoto. Die Frage, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt, sorgt bis heute für wildeste Spekulationen. Dass es sich dabei tatsächlich um einen 1975 geborenen Japaner handeln soll, wie Nakamoto einst angab, wird heute stark bezweifelt. Bis 2011 wirkte er oder sie an der technischen Umsetzung des Systems mit, danach verliert sich jegliche Spur. Bis zu eine Million Bitcoin, die von Nakamoto selbst erzeugt wurden, bleiben seit diesen Anfangszeiten unberührt. Sie sind beim aktuellen Kurs 30 Milliarden Dollar wert.

Jeder kann Bitcoin herstellen

Die Anfangszeit ist vom Aufbau des globalen Netzwerks geprägt. Mitmachen kann zunächst praktisch jeder, der über einen halbwegs leistungsstarken Computer verfügt. Wird eine Transaktion durchgeführt, wird diese in einer Datenbank, der sogenannten Blockchain, gespeichert. Über die im Netzwerk verteilten Computer wird durch das Lösen mathematischer bzw. kryptografischer Aufgaben sichergestellt, dass die Transaktionen nicht manipuliert werden können. Auch eine nachträgliche Änderung ist nicht möglich. Welcher Computer welche Transaktion bestätigt, erfolgt nach dem Zufallsprinzip. Für die zur Verfügung gestellte Rechenleistung bekommt man neue Bitcoin als Belohnung.

2. Akt: Auf Irrwegen

Erste Gehversuche führen schnell in den Untergrund. Die USA und China greifen ein.

In den Anfangszeiten wird Bitcoin vor allem auf illegalen Marktplätzen verwendet.
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Zunächst nimmt kaum jemand die neu geschaffene Geldwährung ernst. Computerfachleute, Gamer und politische Aktivistinnen zeigten das größte Interesse. Erstere sind von der Technologie fasziniert. Die zweite Gruppe ist bereits mit dem Tausch digitaler Objekte als Teil von Spielewelten vertraut. Und Letztere sehen in einer dezentral organisierten Währung, die noch dazu mehr oder weniger anonyme Zahlungen zulässt, eine spannende Alternative zum etablierten Finanzsystem. Wenig überraschend zählen so auch die US-Datenschutzorganisation Electronic Frontier Foundation und die Aufdeckerplattform Wikileaks rund um Julian Assange zu den Ersten, die bereits 2011 Bitcoin-Spenden akzeptieren.

Die ersten zaghaften Gehversuche führen allerdings bald in den Untergrund. Schnell etabliert sich die Kryptowährung auf illegalen Online-Marktplätzen im sogenannten Darknet. Besondere Berühmtheit erlangt die von US-Behörden 2013 abgedrehte Plattform "Silk Road", auf der vor allem Medikamente und Drogen gekauft werden können. In den knapp 30 Monaten ihrer Existenz werden über 1,2 Millionen Transaktionen durchgeführt. Über 9,5 Millionen Bitcoin im damaligen Wert von 183 Millionen Dollar werden umgesetzt. Über 150.000 Menschen nutzen die Plattform.

Bitcoin als Darknet-Währung

Das Ende von "Silk Road" bedeutet allerdings nicht das Ende illegaler Aktivitäten. Dutzende ähnliche Marktplätze etablieren sich in diesen frühen Jahren. Sie prägen damit ein Negativbild von Bitcoin, das bis heute als Argument gegen die Kryptowährung vorgebracht wird – obwohl Transaktionen mit kriminellem Hintergrund heute nur mehr einen geringen Anteil am riesigen Handelsvolumen ausmachen. Neben derartigen Umschlagplätzen ist Bitcoin damals auch bei Online-Spielkasinos gefragt. Im Jahr 2012 ist das Würfelspiel Satoshi Dice so populär, dass 80 Prozent aller Bitcoin-Transaktionen über diese eine Plattform abgewickelt werden.

Im Jahr 2013 kommt es schließlich zur ersten großen Preisexplosion. Von knapp über zehn Dollar schießt die digitale Münze bis Ende des Jahres auf über 1000 Dollar hoch. Als China im Dezember erstmals Bitcoin-Transaktionen verbietet, crasht der Kurs praktisch über Nacht um 50 Prozent. Begleitet wird der erste Absturz vom Konkurs der damals größten Kryptobörse Mt. Gox, die zuvor mit Hackerattacken und Ermittlungen von US-Behörden zu kämpfen hatte.

3. Akt: Sturm & Drang

Der Kryptomarkt erlebt den ersten digitalen Goldrausch. Hunderte neue Währungen entstehen.

Zig Meme- und Shitcoins überschwemmen bis 2018 den Markt. Der Crash ist vorprogrammiert.
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Während der nun folgenden Durststrecke büßt Bitcoin etwa 80 Prozent seines Werts ein und wird drei lange Jahre brauchen, um erneut die 1000-Dollar-Marke knacken zu können. Während viele Bitcoin abgeschrieben haben, tut sich im Hintergrund einiges. Findige Köpfe beginnen an neuen Kryptowährungen zu basteln, deren Funktionalität über Bitcoin hinausgeht.

Mit Vitalik Buterin, Charles Hoskinson und Gavin Wood finden drei Persönlichkeiten zusammen, die heute für drei der wichtigsten Kryptoprojekte der Welt verantwortlich sind: Ethereum, Cardano und Polkadot. Über diese Netzwerke soll künftig mehr möglich sein, als "nur" Geldbeträge hin- und herzuschicken.

Aber auch im Start-up-Bereich tut sich vieles. Onlineshops beginnen damit, Bitcoin-Zahlungen zu akzeptieren. Erste Bankomaten werden aufgestellt, über die man Bargeld in Bitcoin umtauschen kann. In Österreich installiert das Start-up Coinfinity das erste derartige Gerät in seinem Grazer Geschäftslokal. Unter den neu entstehenden Handelsplattformen ist auch die österreichische Kryptobörse Bitpanda. Mit ihrer Bewertung von 4,1 Milliarden Dollar im vergangenen Sommer gehört sie mittlerweile zu den ganz Großen im Markt.

Die Masse entdeckt Bitcoin

Illustration: Sebastian Schwamm

Während sich der Bitcoin-Preis langsam, aber stetig vom brutalen Absturz erholt, lockt die digitale Währung zunehmend neue Interessenten an, die der Geldpolitik der Notenbanken misstrauen. Denn die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit Null- und Minuszinsen sowie milliardenschweren Anleihenkäufen die Finanzwelt auf den Kopf gestellt. Die damals unkonventionelle Geldpolitik lässt auch weniger betuchte Sparfüchse nach alternativen Anlageformen suchen.

Im Jahr 2017 gibt es schließlich kein Halten mehr. Bitcoin ist plötzlich wieder in aller Munde und hebt zum nächsten phänomenalen Kursaufschwung ab. Während der Wert der ältesten Kryptowährung der Welt sich von 1000 auf knapp 20.000 Dollar verzwanzigfacht, legen etliche andere, neue Kryptowährungen wie Ethereum um tausende Prozent an Marktwert zu.

Bitfinex-Hack und Dogecoin

Selbst neuerliche Kryptobörsen-Hacks – die Plattform Bitfinex verliert 120.000 Bitcoin – sowie ein weiteres Bitcoin-Verbot in China und Betrugsfälle im großen Stil können die grenzenlose Euphorie nicht aufhalten. Innerhalb weniger Monate produziert der Markt Kryptomillionärinnen und Kryptomillionäre. Diverse Jung-Investoren, die noch kaum aus dem schulpflichtigen Alter sind, haben in ihren digitalen Geldbörsen plötzlich Kryptowährungen im Wert von sechs- und siebenstelligen Beträgen.

Youtube-Influencer jazzen die Preise selbst von Spaßwährungen wie Dogecoin immer weiter hoch, bis der digitale Goldrausch beim Jahreswechsel auf 2018 plötzlich ein abruptes Ende findet und die vermeintlichen Gewinne sich rasend schnell wieder in heiße Luft auflösen.

Kurz vor dem Absturz, der viele erneut auf dem falschen Fuß erwischt, zeichnet sich bereits der nächste Schritt für den Kryptomarkt ab. Erstmals können an US-Börsen auch Kontrakte auf Bitcoin gehandelt werden, was Profianlegerinnen und Großinvestoren anlocken soll. Die offiziellen Börsenkurse zeigen fürs Erste aber vor allem in eine Richtung: steil nach unten.

4. Akt: Déjà-vu

Corona kann Bitcoin nicht stoppen, der Finanzmarkt schon.

In El Salvador wird Bitcoin sogar zur offiziellen Währung. Das gefällt nicht allen.
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Wer nach dem neuerlichen Crash 2017 glaubt, Bitcoin werde nun endgültig in der Versenkung verschwinden, wird einmal mehr eines Besseren belehrt. Dass die Kryptowährung nach Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 kurz auf 6000 Dollar absackt, lässt selbst manch erfahrene Kryptoenthusiasten (ver)zweifeln. Da gleichzeitig auch die Aktienmärkte crashen und die Welt gerade ganz andere Probleme hat, nimmt davon außerhalb der Kryptoblase kaum jemand Notiz.

In weiterer Folge erweisen sich Bitcoin und die mittlerweile Tausenden anderen Kryptowährungen als erstaunlich krisenfest. Die Preise erholen sich nicht zuletzt durch Investitionen von Großanlegerinnen und Finanzinstitutionen schnell und lassen schon bald sämtliche Rekordmarken purzeln. Noch vor Jahresende egalisiert Bitcoin den bisherigen Höchststand von 20.000 Dollar.

Foto: Illustration: Sebastian Schwamm

Dann geht es Schlag auf Schlag. Der Bezahlgigant Paypal, der als Bindeglied zwischen traditioneller Finanzindustrie und Onlinehandel fungiert, ermöglicht in den USA den Kauf und Verkauf von Bitcoin direkt über seine Plattform. Als sich dann auch noch Elon Musk als Krypto-Fan outet und bekanntgibt, Tesla habe Bitcoin im Wert von 1,5 Milliarden Dollar gekauft, klettert der Preis der digitalen Münze im April 2021 auf über 63.000 Dollar.

Risse in der goldenen Fassade

Der neuerliche Hype lässt schnell wieder kritische Stimmen lauter werden. Neben altbekannten Vorwürfen wie Geldwäsche und fehlender Regulierung rückt angesichts der Klimakrise der enorme Energieverbrauch von Bitcoin in den Mittelpunkt. Da das System so programmiert wurde, dass die Bitcoin-Herstellung kontinuierlich aufwendiger wird, kommen mittlerweile riesige Serverfarmen zum Einsatz.

Diese werden teilweise mit schmutziger Energie aus Kohle und Gas betrieben und konterkarieren das moderne Bild der zukunftsfitten Alternativwährung. Prompt macht auch Elon Musk einen Rückzieher, stoppt Bitcoin als Zahlungsmittel für Tesla und schickt den Kurs erneut auf Talfahrt.

Über den Sommer erholt sich der Markt zwar, viele Kryptoneulinge, die durch den Crash in Panik geraten sind und mit Verlust verkauft haben, sind fürs Erste aber weg. Auch Kryptokenner verfolgen die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Der starke Geldfluss aus der traditionellen Finanzbranche hat die jüngsten Preisrallys überhaupt erst ermöglicht. Gleichzeitig ist die Abhängigkeit von genau jenem System gestiegen, von dem man sich ursprünglich lösen wollte.

Die Ankündigung der US-Notenbank, die lockere Geldpolitik zu beenden und Zinsen anzuheben, lässt nicht nur die traditionellen Börsen einknicken. Zusammen mit vielen Aktien stürzt Bitcoin auf den tiefsten Wert seit 2020 ab. Das populäre Kryptoprojekt Terra Luna kollabiert überhaupt gänzlich. Hunderttausende haben ihre Investitionen verloren.

5. Akt: R.I.P.?

Warum es erneut verfrüht sein könnte, Bitcoin für tot zu erklären.

Wird der Kryptomarkt auch diesen Crash überlegen? Viele glauben fest daran.
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Hat sich mit dem neuerlichen Crash das Bitcoin-Experiment endgültig erledigt? "Ungeachtet der enormen Schwankungen ist der langfristige Preistrend immer noch positiv. Die Nachricht vom Bitcoin-Tod ist also stark übertrieben", sagt Alfred Taudes vom Institut für Kryptoökonomie der WU Wien im STANDARD-Interview. Die Anzahl jener, die an Bitcoin als Wertsicherung glauben, nehme stetig zu. "Die langjährigen Investoren werden auch jetzt nicht verkaufen", meint Taudes.

Als Hauptargument für die Wertsicherung gilt: Während Notenbanken in den vergangenen Jahren viel Geld druckten und so die Kaufkraft von Währungen wie Dollar und Euro schwächten, sei Bitcoin so programmiert, dass maximal 21 Millionen Bitcoin erzeugt werden können. Die steigende Inflation könnte der digitalen Münze folglich helfen, sich als digitales Gold zu etablieren.

Alternative zum Dollar

Auch wenn sich Bitcoin zuletzt eher in Richtung Wertanlage entwickelte, ist die digitale Münze mancherorts weiterhin als alternative Leitwährung im Rennen. Gerade unter den Schwellenländern wollen sich viele Staaten aus den Fesseln des internationalen Finanzsystems und des Dollars lösen. Das haben auch Kryptoprojekte wie Cardano erkannt, die mit ihrem Bitcoin-ähnlichen Netzwerk etwa in Afrika eine moderne Infrastruktur für Gelddienstleistungen, aber auch sichere digitale Amtswege schaffen wollen.

Illustration: Sebastian Schwamm

Über Kryptowährungen bzw. die dahinterliegende Technologie können zudem Verträge zwischen Firmen fälschungssicher digital gezeichnet werden. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer sind von solchen Diensten bisher ausgesperrt oder müssen ausländischen Zertifizierungsstellen hohe Gebühren bezahlen, um an der globalen Weltwirtschaft teilnehmen zu können. Kryptowährungen könnten hierbei einen Ausweg bieten.

Junge Generation denkt anders

Ungeachtet der gerade entstehenden Anwendungsmöglichkeiten bleibt die Investition in Kryptowährungen aber extrem riskant. Das trifft auch auf die größten Projekte wie Bitcoin und Ethereum zu. "Für viele ist es jedoch eine Frage der fehlenden Alternativen. Das zinsenlose Sparbuch zählt nicht dazu. Zu echtem Gold fehlt der jungen Generation der Bezug", sagt Taudes.

Dass hinter Bitcoin kein physischer Wert stehe, spiele für junge Leute keine allzu große Rolle. "Sie haben einen ganz anderen Zugang zu physischem Besitz. Sie leben in digitalen Welten und kaufen digitale Objekte, die dort als Statussymbol gelten."

Dieser Paradigmenwechsel sei bei großen börsennotierten Technologiekonzernen schon vorweggenommen. Auch der Wert von Facebook oder Twitter fuße nicht auf physisch greifbaren Produkten, sondern rein digitaler Interaktion, die vermarktet werden könne. Taudes ist überzeugt: "Geld ist für die junge Generation immer digital. Und darin liegt auch die Chance von Bitcoin." (Martin Stepanek, Alexander Hahn, 28.5.2022)