Am Ende stand ein Plus vor dem Ergebnis: 94,4 Prozent der Delegierten am Landesparteitag der SPÖ Wien sprachen Michael Ludwig am Samstag ihr Vertrauen erneut aus. Zum Vergleich: Bei seiner letzten parteiinternen Wahl im Jahr 2019 erhielt der Wiener Bürgermeister 90,8 Prozent der Delegiertenstimmen.

94,4 Prozent stimmten für Michael Ludwig als SPÖ-Wien-Chef.
Foto: APA/HANS PUNZ

Ein Parteitag beinahe so wie früher sollte es werden: Die Halle D der Wiener Messe war am Samstag in rot gehüllt, die knapp 1.000 Delegierten nahmen in den Reihen ihrer Bezirks- oder Teilorganisationen Platz, auf der Bühne wurden Reden geschwungen. Aufgrund der Corona-Situation musste das höchste Gremium der Stadtroten bereits zwei Mal verschoben werden.

Gut gefüllt: Die Messe Halle D in Wien.
Foto: Regine Hendrich

Das Treffen stand heuer dennoch im Zeichen der Pandemie: Etwas kleiner war der Parteitag, um die aufgelegten Corona-Beschränkungen einhalten zu können, am Eingang wird der Grüne Pass kontrolliert – nur wer geimpft, genesen oder PCR-getestet ist, durfte hinein – und auf den Sitzplätzen lagen rote FFP2-Masken bereit. Trotzdem: "Tut gut, euch in voller Pracht wieder zu sehen", erklärte Landesparteisekretärin Barbara Novak zu Beginn.

Auch dabei: Ex-Bürgermeister Michael Häupl, ÖGB Präsident Wolfgang Katzian und Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner.
Foto: APA/HANS PUNZ

Für Spannung sorgten diverse Anträge: Etwa ein Statutenantrag, der den Parteitag in seiner vollen Größe nur noch alle zwei Jahre vorsieht. Dazwischen soll es eine Sparvariante geben – die "Wiener Konferenz" mit minimal 400 Delegierten. Trotz langer Diskussion stimmen die SPÖ-Mitglieder für die Verschlankung der Parteigremien aus. Nicht angenommen wurde hingegen ein Statutenantrag der Parteispitze, der die Streichung der Alters-Obergrenze von 65 Jahren für ein öffentliches Mandat vorsah.

Maske bleibt

Unter lang andauerten Beifall und mit einer Entourage, bestehend aus der Mitgliedern der Wiener Parteispitze und Schildchenträgerinnen, marschierte Bürgermeister Ludwig in die Halle. Als erster Redner am Parteitag verteidigte er den "Wiener Weg" und kündigte an, die Maskenpflicht in den Öffis der Bundeshauptstadt weiterhin beizubehalten: "Die Gesundheit für alle ist uns ein wichtiges Anliegen, unabhängig vom Gesundheitszustand. Wir werden deshalb die Maskenpflicht auch für die nächste Zeit beibehalten."

Ludwig und sein Einzugs-Squad.
Foto: ook

Fast eine Stunde dauerte Ludwigs Rede an, bevor er zu einem besonders umstrittenen Thema kam. Ohne das Wort Tunnel in den Mund zu nehmen, kommentierte er das Bauprojekt: den von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) gestoppten Lobautunnel. Begonnen habe alles mit der sechsten Donauquerung – durch eine Brücke, erklärte der SPÖ-Chef. Dann sei ein neueres und auch teureres Projekt geplant worden. Und hier kam die Tunnelumschreibung: Ein Projekt, "von dem die Lobau nicht betroffen ist – weil es 60 Meter unter der Erde liegt". Eines, das "keine biologischen Nachteile, aber große Vorteile für die Bevölkerung" brächte.

Beton-Politik

Die Stadtstraße hingegen, "die hat mit der Lobau gar nichts zu tun", betonte der Bürgermeister: "Ich wundere mich immer, wenn es heißt: 'Lobau bleibt!' Und die ist Kilometer entfernt." Bei der Stadtstraße gehe es um ein Symbol, kritisierte Ludwig. Doch: "Ich bin nicht für Symbole, sondern die Wiener Bevölkerung zuständig." Ob die SPÖ nun Betonpolitik mache? "Ja – Klammer: und Ziegel und Holz." Wenn man Arbeitsplätze, Kindergärten und Wohnraum schaffen wolle, "dann wird man dazu Beton brauchen", sagte Ludwig.

ORF

Die Themen Stadtstraße und Lobau kochten im Laufe des Tages auf. Die Parteispitze holte sich in einem Leitantrag die Zustimmung der Genossinnen und Genossen. Ein Antrag der Jungen Generation sowie der SPÖ Alsergrund forderte das genaue Gegenteil: Die Abkehr von dem Projekt. Dieser Antrag wurde abgelehnt.

"Wir dürfen es uns nicht mehr leisten, an fossilen Großprojekten wie der Lobau-Autobahn festzuhalten. Ich würde mir wünschen, dass wir, wenn es um Fragen der Klimapolitik geht, Experten genauso ernst nehmen wie bei Corona", erklärte Claudia O’Brien, Bundesvorsitzende der Jungen Generation in der SPÖ und Bezirksrätin am Alsergrund: "Hören wir auf, die Menschen von einem teuren Auto abhängig zu machen." Unterstützung erhielten der Neunte und die Junge Generation auch von Vertreterinnen des Verbands Sozialistischer Student_innen (VSStÖ) und der Sozialistischen Jugend (SJ).

Stefanie Berger, Vorsitzende des VSStÖ forderte ein, dass die Jugend ernst genommen werden solle. "Es gibt verschiedene Argumente zur Stadtstraße, das ist wichtig und richtig." Das Problem dabei sei, dass die Jugend dabei nicht gehört werde. Junge Menschen seien in der Frage extrem emotionalisiert: "Wir haben Angst, wir haben Sorgen und wir sind wütend", fasste Berger zusammen. Und fuhr fort: Am Podium beschimpft zu werden, sei "nicht die Sozialdemokratie, die ich mir vorstelle".

Junge Menschen auszuschließen, könne nicht die Antwort der SPÖ sein, denn: "Wir jungen Genossinnen sind es, die mit den klimapolitischen Entscheidungen leben müssen." Begleitet wurde Berger auf die Bühne von Aktivistinnen der roten Jugendorganisation. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift: "Verbaut uns nicht die Zukunft" oder "Klimaschutz heißt Klassenkampf".

Geschlossene Partei?

"Zu sagen, dass wir in der Verkehrspolitik nur den Tunnelblick haben, schmerzt mich", betonte Verkehrsstadträtin Ulli Sima. Sie bat die Delegierten, nicht nur dem Narrativ der Opposition zu folgen, sondern auch die Erfolge der Stadt zu berücksichtigen: das flächendeckende Parkpickerl oder den hohen Anteil der Öffis im Modal-Split zum Beispiel.

Der Bezirksvorsteher der Donaustadt, Ernst Nevrivy, beklagte die Absage des Tunnels durch Gewessler. Er zählte in seiner Rede Straßenbauvorhaben auf, die durch die grüne Ministerin nicht gestoppt wurden. Nevrivy appellierte an die Delegierten, für den Lobautunnel und die Stadtstraße zu stimmen. Sein Schlussappell: "Es geht darum zu zeigen, ob wir als Partei geschlossen sind. Ob wir hinter der Stadtregierung stehen. Wir werden keinen Keil in die SPÖ treiben lassen."

"Entschlossen den Wiener Weg gehen": So lautete das Motto des Landesparteitags. Die Kritikerinnen bezeichnen diesen als "vorbetoniert".
Foto: APA/TOBIAS STEINMAURER

Zu dem Thema Lobau wurde am Samstag auch demonstriert. Die Initiative "Lobau Bleibt" rief gemeinsam mit zahlreichen weiteren Gruppen zu einer Großdemo auf, "um den Protest gegen die Betonpolitik der SPÖ von der Donaustadt zur Messehallen zu tragen", hieß es in einer Ankündigung. Man werde "zu Tausenden" auf die Straße gehen, ließ man wissen. Eine Kundgebung direkt bei der Messehalle wurde untersagt.

Die Demo zog durch den Prater in Richtung Messe.
Foto: Max Stepan

Die Demonstration zog ab den Mittagsstunden durch die Innenstadt. Die U2-Station Krieau wurde von den Wiener Linien vorsorglich gesperrt. Nach einem Zwischenstopp am Praterstern setzte sich der Protestzug weiter in Richtung Messe in Bewegung. "Wir bewegen uns noch näher in Richtung Halle D, wo sich Ludwig verschanzt hat", hieß es dort.

In der Kaiserallee am Rotundenplatz war am frühen Nachmittag die Abschlusskundgebung geplant. Einige Demonstrantinnen und Demonstranten versuchten, trotz großräumiger Absperrungen, näher an den Austragungsort des SPÖ-Landesparteitags zu kommen.

"Öffis statt Stadtstraße": Forderungen wie diese fanden sich auf den Plakaten der Demo-Teilnehmenden.
Foto: Max Stepan

Gefordert wird unter anderem von der Umweltschutzorganisation Global 2000 eine Anpassung des Projekts der Stadtstraße, es sei ein Relikt der verkehrspolitischen Steinzeit: "Die Menschen der Seestadt sollten die Wahl haben, ob sie mit dem Rad, zu Fuß oder mit den Öffis mobil sein wollen und nicht dazu gezwungen werden, nur mit einem Auto von A nach B zu kommen", fordert Viktoria Auer, Pressesprecherin von GLOBAL 2000. Sie und ihre Organisation wollen, dass die Stadt das Geld lieber in den Klimaschutz und in eine "zukunftsgewandte Stadtpolitik" investiert.

Home-Office weiter beibehalten

Thema in Ludwigs Rede war auch der Arbeitsmarkt. Wichtig sei es, die Möglichkeit des Home-Office weiterhin beizubehalten, die Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer aber nicht aus den Augen zu verlieren. "Wir haben nicht umsonst jahrzehntelang für die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter gekämpft, wir müssen sie auch im Home-Office weiterhin im Blick behalten", sagte Ludwig.

Michael Ludwig am Samstag beim Landesparteitag der SPÖ Wien.
Foto: Regine Hendrich

Mindestlohn nur in enger Abstimmung mit Gewerkschaften

Wenig überraschend waren die Teuerungen in Ludwigs Rede ein zentraler Punkt. Für ihn sei es wichtig, dass die Menschen weiterhin von ihrer Arbeit leben können: "Jene, die ohnehin wirtschaftlich schlechter gestellt sind, werden von den Teuerungen noch enormer getroffen. Hier braucht es Maßnahmen." Ein Mindestlohn sei laut Ludwig eine Option, die man umsetzen könne. Jedoch brauche es dabei immer eine enge Abstimmung mit den Sozialpartnern, betont der Bürgermeister: "Mindestlöhne müssen immer auf Basis der Kollektivverträge ausgehandelt werden. Diese sind ein starkes Instrument der Gewerkschaften."

Eine kostenfreie Ganztagsschule ist seit Jahrzehnten eine zentrale Forderung der Sozialdemokratie, sie ermögliche eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf: "Unsere Kindergärten ermöglichen bereits den Menschen, ihren Beruf auszuüben und nebenbei eine neue Familie zu gründen. Eine kostenfreie Ganztagsschule ermöglicht nicht nur diese Vereinbarkeit, sondern schafft auch eine bessere Bildung." Denn es brauche laut Ludwig ein Konzept, damit Nachhilfe gar nicht möglich sein muss.

Ludwig stellt sich gegen einen Nato-Beitritt

Den Schlusspunkt in der Rede von Ludwig machte das Thema des Krieges. Unbeschreiblich sei die derzeitige Situation in Europa, er stelle sich klar gegen die russische Diktatur: "Ich habe ein Problem mit dem autoritären Regime und nicht mit dem russischen Volk. Wir haben den flüchtenden Menschen aus der Ukraine schnell Hilfe angeboten, wir leben das Miteinander in Wien vor."

Michael Ludwig: "Ich habe ein Problem mit dem autoritären Regime und nicht mit dem russischen Volk."
Foto: Regine Hendrich

Ein Nato-Beitritt sei für Österreich keine Option: "Unser Land kann als neutraler Staat den Konfliktparteien als Verhandlungsort dienen. Ich bin klar für die Neutralität und gegen einen Nato-Beitritt." In dieser Ausnahmesituation brauche es in Europa und der Welt eine starke Sozialdemokratie: "Ich bin mir sicher, dass es bald mit Pamela Rendi-Wagner eine sozialdemokratische Bundeskanzlerin in Österreich geben wird", gab sich Ludwig überzeugt.

Rendi-Wagner: "Billige Ausreden"

Diese schoss sich gleich zu Beginn ihrer Rede auf die Türkis-Grün ein. In der gegenwärtigen krisenhaften Zeit sei man Zeuge einer Bundesregierung, die selbst ein Krisenfall geworden ist, sagte Pamela Rendi-Wagner: "Es ist eine türkis-grüne Koalition des Misstrauens". Breiten Raum räumte sie in ihrer Rede der Teuerung ein. Heizen, Lebensmittel, Mieten seien immer teurer geworden, nur die "Ausreden der Bundesregierung, die werden immer billiger."

Maßnahmen zur Abfederung würden fehlen, diesbezüglich Vorschläge der SPÖ würden aber mit dem Argument, dass diese sozial nicht treffsicher seien, abgeschmettert. Bei den Corona-Hilfen an Unternehmen sei das kein Thema gewesen, jetzt "plötzlich" schon, monierte Rendi-Wagner.

"Die Gewerkschaften werden sich nicht zurückhalten", versprach Rendi-Wagner.
Foto: Regine Hendrich

Kritik übte sie an Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), von seinen Ankündigungen zur Gewinnausschüttung sei nichts übrig geblieben: "Die einen müssen immer mehr bezahlen, die anderen machen die Gewinne ihres Lebens. Das geht sich nicht mehr aus".

Das werde die SPÖ nicht akzeptieren. "Die ÖVP findet, die Preise dürfen steigen, aber die Löhne nicht", erklärte Rendi-Wagner. Was diese Frage betreffe, sei sie ganz bei Bürgermeister Michael Ludwig: "Die Gewerkschaften werden sich nicht zurückhalten."

Friedliche Konfliktlösung gewünscht

Ludwig streute sie noch mehr Rosen: "Du bist jemand auf den sich die Menschen verlassen können." Genau das sei die Aufgabe von Politik. "Die Menschen vertrauen dir und ich vertraue dir auch", sagte die Bundesparteichefin. Dieses Vertrauen falle nicht vom Himmel, das sei das Ergebnis von Ludwigs Politik.

ORF

Bei der Frage der Neutralität argumentierte Rendi-Wagner ähnlich wie Ludwig, ein Nato-Beitritt sei inakzeptabel: "Mögen doch andere die Neutralität in Frage stellen, ich mache das sicher nicht." Sie überzeugt, dass Waffen und Sanktionen den Krieg nicht lösen können. Es werde zu viel über Waffenlieferungen gesprochen, Rendi-Wagner wünschte sich eine friedliche Konfliktlösung: "Der Frieden muss auf diplomatischem Wege hergestellt werden. Wir dürfen nicht darauf warten, dass jemand anders den Krieg lösen wird. Europa muss das schon selbst machen."

Michael Ludwig und Pamela Rendi-Wagner verstehen einander.
Foto: Regine Hendrich

Ungeduldig gab sich Rendi-Wagner abschließend auch noch einmal mit der Bundesregierung. "Egal, wann die Nationalratswahl sein wird: besser früher, als später. Denn jeder weitere Tag mit dieser Regierung ist ein verlorener Tag", schloss sie.

Hanke: "Frauen sind die Krisenverlierer"

"Die Wiener Sozialdemokratie gilt als Vorbild. Der Wiener Weg muss bundesweit umgesetzt werden", meinte Marina Hanke, Vorsitzende der SPÖ-Frauen. Sie betonte, dass Frauen zu den stärksten Krisenverlierer zählen und dass es dringend Maßnahmen brauche. "Es kann nicht sein, dass einerseits die Reichen von der Krise profitieren und andererseits viele Frauen nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen können." (Max Stepan, Oona Kroisleitner, Stefanie Rachbauer, 28.5.2022)