Herausgekommen ist das, was Kritiker befürchtet hatten: Ein weich gewaschenes, vorsichtig formuliertes Statement angesichts von Menschenrechtsverbrechen historischen Ausmaßes. Am vergangenen Samstag hatte Michele Bachelet, UN-Menschenrechtskommissarin, nach ihrer Reise in die chinesische Provinz Xinjiang ihren Abschlussbericht vorgelegt. Wörtlich sagte sie: Es sei gar nicht um Ermittlungen hinsichtlich Menschenrechtsverbrechen gegangen. Vielmehr sei das Ziel eines solchen Besuchs hochrangige Gespräche mit Regierungsvertretern. Bachelet äußerte "Besorgnis über die Menschenrechtslage", und forderte Peking auf, Willkür zu vermeiden und internationale Standards einzuhalten.

Die ehemalige Präsidentin Chiles war sechs Tage lang in Xinjiang unterwegs. Journalisten durften sie auf ihrer Reise nicht begleiten. Als Grund hierfür hatte Peking Corona-Maßnahmen angeführt.

Chinesische Propaganda

Bachelets Besuch war von Beginn an auf Kritik gestoßen. Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International aber auch der Weltkongress der Uiguren hatten die Reise im Vorfeld kritisiert. "Wir brauchen keinen diplomatischen Besuch, wir brauchen eine Untersuchung des Genozids", hatte der Präsident des Weltkongresses der Uiguren, Dolkun Isa, vergangene Woche dem STANDARD gesagt. "Der Bericht war bereits vor Monaten fertig. Die chinesische Regierung hat großen Druck ausgeübt".

In Peking wollte man sichergehen, dass die Menschen den Besuch Michele Bachelets in China mitbekommen.
Foto: REUTERS/Carlos Garcia Rawlins

Peking arbeitet seit Jahren daran, Besuchern der Region ein Bild zu vermitteln, das mit der Lebensrealität der rund zehn Millionen Uiguren kaum etwas zu tun hat. Auf vorgefertigten und streng überwachten Touren werden Ausländern Infrastrukturprojekte und in Tracht tanzende Menschen gezeigt. Ähnliches war bereits mit der WHO-Kommission zur Untersuchung des Ursprungs des Corona-Virus geschehen: Die Teilnehmer waren zuvor von Peking ausgesucht worden und ihr Besuch minutiös geplant und überwacht. Menschenrechtsgruppen hatten deswegen befürchtet, dass ein Bericht der UN-Hochkommissarin die tatsächliche Lage nur beschönigen, und im schlimmsten Fall die Verbrechen sogar indirekt legitimieren könne.

Dabei ist längst gesichert: In Umerziehungslagern foltert das Regime bis zu 1,5 Millionen Uiguren. Oft genügt ein geringer Anlass, wie der Besitz eines Korans oder eine negative Bemerkung eines Nachbarn, dass Uiguren monatelang in einem dieser Lager verschwinden. Die Überlebenden berichten von grauenhaften hygienischen Zustände, täglicher Gehirnwäsche, Folter, Misshandlungen und Zwangssterilisierungen.

Die kommunistische Partei China bestritt Anfangs die Existenz der Lager. Als diese nicht mehr zu leugnen waren, gab Peking zu, dort "Ausbildungszentren zu betreiben". Jegliche Zeugenberichte bezeichnet die staatseigene Presse konsequent als "westliche Propaganda".

Verpasste Chance

Bachelet sagte, sie habe ein Gefängnis besucht und habe mit Uiguren frei sprechen können. Journalisten, die die Region in den vergangenen Jahren immer wieder bereist haben, berichten das Gegenteil: Sobald sie sich auch nur in die Nähe der Lager kommen, tauchten sofort Polizei und Sicherheitsleute in Zivil auf. Gespräche mit Uiguren seien nahezu unmöglich geworden, da diese von der Polizei massiv unter Druck gesetzt werden.

Vergangene Woche waren zu dem die Xinjiang Police Files veröffentlicht worden. Der Aktivist Adrian Zenz hatte die Daten, die vermutlich von einem Hacker stammen, an internationale Medien übermittelt. Die Leaks enthalten zwar nichts substanziell Neues. Sie belegen aber nochmals deutlich mit Namen, Foto und Personalausweis die Identität von tausenden von Opfern des Lagersystems. Viele von ihnen wurden wegen kleinster Vergehen zu jahrelanger Haft verurteilt. Ihre Angehörigen haben seit Monaten nichts von ihnen gehört. Zudem beweisen Fotos die Misshandlungen und Folter in den Gefängnissen.

Die Leaks zeigen die Polizeigewalt in den als Umerziehungslagern bezeichneten Straflagern.
Foto: AFP /THE VICTIMS OF COMMUNISM MEMORIAL FOUNDATION'

Human Rights Watch kritisierte Bachelets Bericht auch umgehend: Bachelet habe eine wichtige Chance verpasst. "Sie ist entweder unfähig oder nicht willens, die zweitmächtigste Regierung der Welt zur Verantwortung zu ziehen", so Sophie Richardson von Human Rights Watch. (Philipp Mattheis, 29.5.2022)