Zerstörte Schule in Bachmut, Donbass.

Foto: APA/AFP/ARIS MESSINIS

Wie groß wird die Ukraine einmal sein, wenn der Angriffskrieg des Kreml gegen Russlands südwestlichen Nachbarstaat eines Tages beendet ist? Das ist die Frage, die sich Geopolitikerinnen und Militärstrategen und auch viele in der Ukraine immer wieder stellen. Juristisch wird man die völkerrechtswidrig annektierten und besetzten Gebiete freilich nicht aufgeben. De facto schafft Russland aber immer weiter Fakten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Samstag in einem Interview im niederländischen TV nun auch eingestanden, dass man nicht das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern können wird – und meinte damit wohl primär die 2014 von Russland annektierte Krim. Ein solches Szenario würde hunderttausende Landsleute töten, sagte Selenskyj.

Den Donbass im Osten des Landes hat man in Kiew hingegen noch nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil: Dank der heroischen Verteidigung nähere man sich einem Punkt, an dem die Ukraine technologisch dem Aggressor Russland überlegen sei, sagte der Präsident. Dies hänge aber auch an den westlichen Partnern "und deren Bereitschaft, die Ukraine mit allem zu versorgen, was zum Schutz der Freiheit benötigt wird", so die etwas verklausulierte Forderung nach mehr schweren Waffen seitens Selenskyjs.

Während über die etwaige Lieferung der dringend gewünschten Mehrfachraketenwerfer aus den USA noch diskutiert wird, hat die polnische Regierung zumindest die Lieferung von 18 modernen Haubitzen zugesichert.

Lage in Luhansk eskaliert

Der langsame, aber beständige Vormarsch russischer Truppen im Osten setzte sich aber auch über das Wochenende fort. Die Lage in Luhansk sei "extrem eskaliert" erklärte Serhij Gaidai, der Gouverneur der Region, die am Sonntagnachmittag kurz vor der kompletten Einnahme stand. Bei der Verteidigung Siewierodonezks wurde von Generalstabsseite auch der Rückzug aus der größten noch ukrainisch kontrollierten Stadt im Donbass in Erwägung gezogen, um eine Einkesselung zu verhindern.

Selenskyj in Charkiw.
Foto: Ukrainian Presidential Press Service/Handout via REUTERS

Um die Moral der Verteidigungskräfte zu stärken und sich ein Bild der Zerstörung zu machen, verließ Selenskyj erstmals seit Kriegsausbruch die Hauptstadt und besuchte in Charkiw Truppen. An Moskau gerichtet sagte er, dass sie mittlerweile begriffen haben müssten, "dass wir unser Land bis zum letzten Mann verteidigen werden. Sie haben keine Chance. Wir werden kämpfen, und wir werden in jedem Fall siegen." (Fabian Sommavilla, 30.5.2022)