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Sind die Kinder noch klein, fällt eine Trennung besonders schwer.

Foto: Getty Images/Noel Hendrickson

Frage:

"Meine Frau und ich sind seit knapp zehn Jahren ein Paar. Wir haben auch zwei Kinder. Sie sind drei und sieben Jahre alt. Seit etwa einem Jahr ist es aber so, dass meine Frau und ich uns eigentlich nur mehr streiten. Ob wir uns noch lieben? Ich glaube nicht. Es ist in den letzten Monaten zu viel vorgefallen, zu viel Groll und Wut. Ich bin mir sicher, dass wir uns längst getrennt hätten, wenn wir nicht die Kinder hätten. Es gibt eigentlich jeden Tag Streit, auch vor den Kindern. Natürlich wissen wir beide, dass man das nicht soll, aber es passiert dennoch regelmäßig. Auf der anderen Seite denken wir, dass die Kinder einfach zu klein sind. Sie würden leiden, wenn wir uns trennen. Ich würde wahrscheinlich ausziehen und dann jede zweite Woche die Kinder nehmen. Die Vorstellung finde ich furchtbar, dass die Kinder dann immer umziehen müssen. Einmal da, einmal dort ... Sowohl meine Frau als auch ich sind selbst Scheidungskinder, wir wissen also beide, wie schrecklich das ist. Der größere Sohn sagt auch von sich aus immer wieder: 'Aber wir bleiben für immer zusammen.' So als würde er ahnen, dass eine Trennung im Raum steht und er Angst davor hat. Ist es eine gute Idee, wenn wir der Kinder zuliebe zusammenbleiben?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Da beschreiben Sie eine schwierige und unangenehme, zugleich aber enorm häufige Situation. Geschuldet ist sie oftmals dem enormen Druck, den viele Eltern sich machen in dem wohlgemeinten Wunsch, möglichst perfekt sein zu wollen. Die eigene Lebensplanung wird dann großteils auf die Bedürfnisse der Kinder zugeschnitten, Zeit für die Paarbeziehung bleibt nur ungenügend, und das Paar gerät in die Krise. Die Beziehung droht zu zerbrechen. Selbst wenn es so weit nicht kommt, sind Eltern im gestressten Alltag ihren Kindern bei bestem Bemühen kein besonders brauchbares Vorbild. Die Kinder lernen nämlich, dass Kinderhaben Stress und Streit bedeutet, sodass sie später oft zu der Entscheidung kommen, das sie selbst deswegen keine Kinder wollen.

Erschwerend könnte bei Ihnen hinzukommen, dass Sie selbst beide Scheidungskinder sind und am eigenen Leib erfahren haben, wie schwierig es für Kinder ist, zwischen die Fronten eines Ehestreits zu kommen, weshalb Sie genau das Ihren Kindern ersparen wollen, was gut ist. Allerdings haben Sie von den eigenen Eltern vorgelebt bekommen, dass sich eine Partnerschaft nicht reparieren lässt. Wir Menschen lernen am vorgelebten Modell und neigen unbewusst dazu, dieses nachzuahmen, sofern wir nicht bewusst gegensteuern. Angesichts Ihres eigenen Elternmodells sollten Sie sich also beide an erster Stelle offen die Frage stellen, warum es Ihnen nicht gelingt, sich wieder zusammenzuraufen. Wiederholen Sie ungewollt die Geschichte Ihrer Eltern? Ist es elterliche Überlastung wegen einer zu sehr auf die Kinder verschobenen Lebensgestaltung? Oder sind es wirklich Gründe, bei denen Sie beide sich auseinandergelebt haben?

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Andrea Diemand

Wenn es Ihnen nicht gelingt, wieder zueinanderzufinden, ist eine ehrliche Trennung besser als unehrliches Nebeneinanderherleben "den Kindern zuliebe". Denn auch eine vorgespielte falsche Harmonie bekommen die Kinder mit und besitzen ein solches liebloses Miteinander dann als Modell für ihre eigenen späteren Partnerschaften. Denn: Kinder merken, was rennt. Das Verhalten Ihres Ältesten belegt das bereits deutlich.

Entscheidend in einer Trennungssituation oder bei einem Streit der Eltern überhaupt ist die Tatsache, dass Kinder einen solchen Streit in der Regel auf sich beziehen und bei sich selbst die Schuld für die Konflikte der der Eltern suchen, daher dann Schuld und Angst empfinden. Hier ist es wichtig, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben und ihnen zu erklären: Unser Streit hat nichts mit euch zu tun. Auch ihr streitet gelegentlich, das ist ganz normal. Idealerweise führt ein Streit zu einer Lösung. Doch auch wenn das scheitern sollte, wird weiter für euch gesorgt werden, werden eure Eltern euch weiter genauso lieben wie bisher, selbst wenn sie miteinander nicht mehr klarkommen.

Doch sollte das den Kindern nicht nur gesagt, sondern auch vorgelebt werden. Kinder brauchen gerade in einer für sie schwierigen Situation Verlässlichkeit, und sich trennende Eltern sollten sich deshalb so weit zurücknehmen, dass sie nicht vor den Kindern Dramen inszenieren oder über die Kinder Machtkämpfe ausüben durch Intrigen, Konkurrenz oder gegeneinander Ausspielen. Wenn das gelingt, kann eine Trennung der Eltern zwar unangenehm sein, aber letztlich für die Kinder zu einer Erfahrung werden, dass auch Unangenehmes bewältigt werden kann, ohne dass das ein Drama sein muss – mit neuen Partnerschaften und damit neuen Modellen eines liebevollen Miteinanders. (Hans-Otto Thomashoff, 30.5.2022)

Antwort von Linda Syllaba:

Es kursiert seit Generationen das Gerücht, man würde den Kindern etwas Gutes tun, indem man das Familienkonstrukt aufrecht hält, bis diese aus dem Gröbsten raus sind. Ich halte das für falsch. Fix ist die Tatsache, dass die Kinder bis dahin geprägt sind von dem, was zu Hause abläuft, und es in der einen oder anderen Form im eigenen Leben weiterführen – sei es Täuschung, Verrat, Selbstverleugnung, was auch immer.

Wenn Sie tatsächlich in Ihrer Paarbeziehung da angekommen sind, wo Sie nur noch streiten und es kein wertschätzendes Miteinander mehr gibt, dann sind Sie auch kein gutes Vorbild mehr für die Kinder, was Streitkultur und Konfliktlösung in einer Partnerschaft angeht. Man darf nicht vergessen, dass man als Eltern auch die erste Vorlage für die Kinder bietet, von der sie lernen und die sie prägt. Das betrifft das Frausein, das Mannsein, das Paarsein, das Elternsein, die Art, wie wir miteinander umgehen und eben auch wie wir uns verhalten, wenn es nicht gut läuft. In dem Zustand, den Sie oben beschreiben, befinden sich Ihre Kinder in einer Atmosphäre, die ihnen nicht guttut. Es verunsichert Kinder sehr, wenn die Eltern miteinander – oder auch jeder Elternteil für sich – nicht klarkommen. Schließlich bilden die Erwachsenen mit ihrer Paarbeziehung das Fundament für die Familie, das auch die Kinder trägt in ihren Sicherheits- und Bindungsbedürfnissen. Ohne die elterliche Liebesbeziehung gäbe es die Kinder nicht, und sie brauchen beide Elternteile, wenn irgend möglich.

Sofern Sie versucht haben, auch mit externer Hilfe, diese Beziehung wieder zu stabilisieren, und dennoch keinen Weg finden, dann ist eine einvernehmliche, klare Trennung immer noch besser, als der Kinder wegen zusammenzubleiben. Wie gesagt, Sie bleiben Vorbild – wollen Sie tatsächlich Vorlage bieten für einen erwachsenen Menschen, der sich selbst verbiegt oder gar unterdrückt, vom Lebendigen abtrennt, indem er eigene Bedürfnisse nach Nähe und Zuwendung verleugnet? Die Alternative dazu ist vielleicht, heimlich oder ungeniert Parallelbeziehungen zu führen, oder andere "unmoralische" Verhaltensweisen – auch das halte ich für fragwürdig in seiner prägenden Wirkung auf die Kinder.

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Sie ist Autorin der Bücher "Die Schimpf-Diät" (2019) und "Selfcare für Mamas" (2021).
Foto: stefan seelig

Wie Sie es drehen und wenden, Sie können den Kindern nichts vormachen, sie bekommen alles mit – ob ausgesprochen oder unausgesprochen. Kinder spüren, wenn die Stimmung nuanciert, wenn es jemandem schlecht geht, und sie können auch die Diskrepanz erkennen zwischen dem, was der Mund, und dem, was der Körper eines Menschen sagt.

Wenn es wirklich so weit ist, ist es das Beste, was Sie für Ihre Kinder tun können, sich in zumindest gutem Einvernehmen zu trennen und zu bleiben. Mischen Sie Ihre emotionalen Verletzungen nicht mit Themen der Vermögensaufteilung und der Elternschaft! Sie bleiben Eltern, für immer! Das können Sie nicht ändern, und Sie sollten auch Ihren Kindern zuliebe nicht so tun, als wäre das möglich. Es ist eine Sache zwischen Ihnen als Erwachsenen, die Verantwortung darüber tragen Sie beide, niemals die Kinder. Fürchterliche Scheidungserfahrungen haben Kinder dann, wenn ihre Eltern das nicht verstehen, ernst nehmen und sich entsprechend darum kümmern.

Ich begleite immer wieder (und seit Corona noch deutlich mehr) Paare durch die Trennung und halte es für enorm verantwortungsbewusst, sich gerade in dieser Phase Hilfe zu holen. Es ist nicht leicht, sich selbst eingestehen zu müssen, dass es nicht geklappt hat. Auch das Auseinanderdividieren von Emotionen, Aufgaben, Geld und allem, was man jahrelang gemeinsam geschaffen hat, ist herausfordernd. Fairerweise muss auch gesagt sein, dass auch die Betreuungsplanung von kleinen Kindern ihre Tücken birgt, und so weiter. Nein, es ist nicht leicht. Dennoch ist es nicht immer das Beste für die Kinder, wenn die Eltern mit aller Gewalt zusammenbleiben. Stichwort: "zumindest bis zum Schulabschluss".

Wägen Sie gut ab, die Entscheidung treffen Sie. Die Auswirkungen tragen alle. (Linda Syllaba, 30.5.2022)