Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat die schwierige Aufgabe, eine gemeinsame Linie der EU zu finden.

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Brüssel/Kiew (Kyjiw)/Moskau – Ein heftiger Streit um ein Embargo auf russische Erdölimporte droht, den EU-Sondergipfel in Brüssel zu überschatten. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich vor Beginn des Gipfels am Montag zuversichtlich, dass eine Übereinkunft auf ein Ölembargo gegen Russland möglich sei. Es habe am Sonntagnachmittag und Montagmorgen harte Gespräche gegeben, sagt Borrell dem Sender France Info. Bis Nachmittag könne eine Einigung stehen.

Ausnahme bei Pipeline-Lieferungen möglich

Am Widerstand unter anderem Ungarns werde das Vorhaben nicht scheitern, meinte Borrell. "Am Ende wird es eine Einigung geben." Ungarn, der Slowakei und Tschechien müsse mehr Zeit zur Anpassung ihrer Öleinfuhren gegeben werden.

Laut einem neuen Kompromissvorschlag will die EU beim geplanten Ölembargo Pipeline-Lieferungen vorerst ausschließen. Die 27 EU-Mitgliedsstaaten würden sich "mit dem Thema einer zeitweisen Ausnahme für Rohöl, das über Pipelines geliefert wird, so schnell wie möglich befassen", heißt es in einem neuen Entwurf für den EU-Gipfel, den die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte.

Ungarn hat keinen Anschluss ans Meer und wird daher nicht per Schiff beliefert. Auch die Slowakei und Tschechien werden vor allem über die Druschba-Pipeline mit russischem Öl versorgt. Das Embargo soll Teil des sechsten Sanktionspakets gegen Russland sein. Am Sonntagabend gab es in EU-Diplomatenkreisen noch große Zweifel, dass es am Montag zu einer Einigung kommen würde.

Verschiebung der Sanktionen möglich

Sollte keine Einigung erreicht werden, könnte auch das gesamte Sanktionspaket verschoben werden. Vor allem mit Blick auf Selenskyjs Gipfelteilnahme warnte ein EU-Diplomat jedoch, dass ein Scheitern der geplanten Sanktionsvereinbarung der "Elefant im Raum" sein würde.

EU-Beamte sprachen von "technischen" Schwierigkeiten in den Verhandlungen, nicht von politischen Differenzen zwischen Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und seinen EU-Partnern. Ein hochrangiger EU-Diplomat warnte jedoch, dass die Gemüter auf eine harte Probe gestellt würden. Es bestehe der Verdacht, dass die Unterhändler in ihren Bemühungen, Orbán zu beschwichtigen, zu weit gingen.

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, forderte am Montag daher ein Ölembargo zur Not auch ohne Ungarn. "Wenn Ungarn nicht bereit ist, die Blockade aufzugeben, muss es möglich sein, den Langsamsten zurückzulassen, damit der Rest der EU vorangehen kann", sagte Weber den Sendern RTL und ntv. Ungarns Regierungschef Orbán dürfe der EU "nicht auf der Nase herumtanzen".

Einstimmiger Beschluss nötig

Das geplante neue Strafpaket gegen Moskau umfasst außerdem Sanktionen gegen weitere Kreml-nahe Persönlichkeiten, darunter das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, und die ehemalige Turnerin Alina Kabajewa, der enge Verbindungen zu Wladimir Putin nachgesagt werden. Auch der Ausschluss von drei russischen Banken aus dem internationalen Finanzsystem Swift, darunter mit der Sberbank das größte Kreditinstitut des Landes, liegt auf dem Tisch.

Der Streit um ein Embargo auf russische Erdölimporte droht, das EU-Gipfeltreffen in Brüssel am Montag und Dienstag zu überschatten. Ursprünglich sollten die europäische Verteidigungspolitik sowie weitere Finanzhilfen für die Ukraine im Vordergrund stehen.

Sanktionen müssen von den 27 EU-Staaten einstimmig beschlossen werden. Ungarn ist gegen des Ölembargo, da es nach eigenen Angaben 65 Prozent seines Rohöls aus Russland bezieht. Budapest verlangt zuletzt eine vierjährige Übergangsfrist und 800 Millionen Euro Finanzhilfen, um seine Raffinerien anzupassen und eine Pipeline von Kroatien auszubauen.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wird Österreich am Gipfel vertreten. Zur aktuellen Lage in der Ukraine wird es den Planungen zufolge ein Briefing durch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geben. Dieser soll per Videokonferenz zugeschaltet werden. (APA, 30.5.2022)