Manche haben nur wenige Wochen mit dem Coronavirus zu kämpfen – andere sind nie vollständig gesund geworden.

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Auch im dritten Sommer der Pandemie scheint das Coronavirus für viele wie vergessen. Die Infektionszahlen sind derzeit niedrig, die Krankenhäuser zählen stationär wenige Hundert Betroffene, und die Schutzmaßnahmen werden gelockert. Doch für manche, die schon einmal an Covid-19 erkrankt sind, sind die Folgen des Virus nicht auszublenden: Noch monatelang später verspüren sie Müdigkeit, haben Atemprobleme oder Gedächtnisstörungen.

Bis heute ist wenig über die Ursachen von Long Covid bekannt. Derzeit gehen Forschende davon aus, dass rund zehn Prozent aller Genesenen nach vier Wochen immer noch Nachwirkungen verspüren – mit unterschiedlichem Schweregrad. Konkrete Zahlen wurden hierzulande bisher noch nicht zentral erhoben, auch, weil viele Patientinnen und Patienten noch nicht diagnostiziert wurden. Bei mehr als vier Millionen positiven Covid-19-Testergebnissen in Österreich könnte es jedoch potenziell mehrere Hunderttausend Betroffene geben.

Krankheitsbild variiert

Dabei ist der Leidensdruck unterschiedlich groß, denn die Symptome sind zahlreich und variieren von Fall zu Fall dramatisch: Manche verspüren ein bleibendes Druckgefühl in der Brust, andere leiden unter einer so massiven Erschöpfung, dass ein normaler Alltag gar nicht mehr möglich ist. Banale Aktivitäten wie Stiegensteigen oder Zähneputzen führen dazu, dass sie sich tagelang ausruhen müssen.

Ihr Pfad zur Genesung wird oft zur Odyssee: einerseits, weil Long Covid eine so breite Palette an Symptomen nach sich ziehen kann und viele Aspekte noch nicht erforscht sind; andererseits aber auch, weil das Gesundheitssystem noch keinen Weg gefunden hat, die zahlreichen Patientinnen und Patienten ausgiebig zu versorgen, kritisieren Betroffeneninitiativen wie der Verein Long Covid Austria. Zwar haben immer mehr Krankenhäuser spezielle Stationen eröffnet – doch der Andrang ist so groß, dass Erkrankte ein halbes Jahr oder sogar länger abwarten müssen, um überhaupt einen Termin zu bekommen.

Diese Ambulanzen seien meist aus Eigeninitiative entstanden, sagt Maarte Preller von Long Covid Austria. Der Verein bietet Betroffenen eine Plattform zum Austausch und zur Informationsbeschaffung. Die Stationen seien überlaufen, ein Termin dort sei üblicherweise eine reine "Bestandsaufnahme". "Alle Befunde werden gesammelt, mit Glück erhält man eine Diagnose für Long Covid", sagt sie und kritisiert: "Die Regierung hat noch nicht eingesehen, dass es Geld für eine zentrale Anlaufstelle braucht."

Ärztemangel, vor allem am Land

Wer kürzlich an Long Covid erkrankt ist, wird üblicherweise zunächst von der Allgemeinmedizinerin oder dem Allgemeinmediziner zu Fachpersonal überwiesen. Oft fehle aber das Wissen, sagt Preller, da das niedergelassene Personal das Krankheitsbild kaum kenne und nicht ausreichend weitergebildet worden sei. "Es gibt nur ganz wenige wirkliche Spezialisten im Land."

Die meisten davon sind im Privatbereich angesiedelt – und selbst überlaufen. Hinzu komme, dass Long Covid im Vergleich zu anderen Krankheiten eine besonders breite Palette an Nachwirkungen mit sich zieht, die unterschiedlichste Ursachen haben können. Einzelne Fachärztinnen und Fachärzte müssten demnach von Termin zu Termin einzeln aufgesucht werden, um andere Erkrankungen auszuschließen. Das sei häufig mit monatelangen Wartezeiten verbunden.

Zudem ist die Gesundheitsverwaltung in Österreich primär Ländersache – wodurch je nach Bundesland große Unterschiede bei der Versorgung herrschen würden, sagt Preller. Gerade in ländlichen Gebieten, in der ein allgemeiner Facharztmangel herrscht, seien viele Betroffene aufgeschmissen.

Bundesweite Diagnosezentren

Prellers Verein fordert Diagnosezentren, an denen alle Untersuchungen entsprechend dem aktuellen Forschungsstand gebündelt durchgeführt werden. Auch Expertinnen wie die Immunologin Eva Untersmayr-Elsenhuber von der Med-Uni Wien und der Neurologe Michael Stingl halten derartige Ambulanzen, ähnlich dem Charité-Fatigue-Zentrum Berlin, für notwendig. So erhielten Patienten eine spezialisierte Anlaufstelle für Diagnose und Behandlung. Dabei sei "eine multidisziplinäre Zusammenarbeit der einzelnen Fachrichtungen entscheidend, da Patienten von einer Vielzahl von Symptomen betroffen sind", sagt Untersmayr-Elsenhuber.

Die aktuelle Situation sei untragbar, findet Betroffenenvertreterin Preller, denn: "Das Leben wartet nicht auf die Betroffenen – und auch nicht die Sozialversicherung." Erkrankte können, besonders bei schweren Fällen, aufgrund ihrer Erschöpfung oft keiner Arbeit nachgehen.

Jene, die bereits länger im Krankenstand sind, müssen einen Antrag auf Rehabilitationsgelder einreichen – ansonsten droht, dass nach einem Jahr kein Krankengeld mehr ausgezahlt wird. Derartige Anträge werden von Gutachtern der Pensionsversicherung geprüft.

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Versicherung klagen

Nur: Ein großer Teil wird abgelehnt. Jürgen Holzinger, Obmann des Vereins Chronisch Krank, schätzt, dass beim Chronischen Erschöpfungssyndrom – eine der möglichen Formen von Long Covid – rund 70 Prozent aller Anträge abgewiesen werden. Betroffene müssen vor Gericht ziehen.

Holzingers Verein vertritt derzeit mehr als 100 Erkrankte bei derartigen Prozessen. Eine etablierte Fachambulanz könne in solchen Fällen hinzugezogen werden, um geeignete Gutachten zu erstellen, sagt er.

"Patienten sind nicht nur unterversorgt und unterinformiert, sie werden bei dem Kampf um finanzielle Absicherung auch noch in die Armut gestoßen", kritisiert Preller, die selbst erfolgreich vor Gericht gezogen ist. "Es gibt kein Entgegenkommen. Du bist krank – und dann tritt dich das Sozialsystem noch tiefer in den Boden." (Muzayen Al-Youssef, 31.5.2022)