Ob es "da oben" überhaupt genug flache Stellen gäbe, um auch nur 50 Meter zu laufen ohne sich anseilen zu müssen, fragte der rennende Rechtsanwalt via Social Media. Zwar eh mit Augenzwinkern – aber ganz ohne Grund kam die Frage nicht. Und alleine war der Jurist mit seinem Stirnrunzeln auch nicht.

Denn, Hand aufs Herz, woran denken Sie zuerst, wenn Ihnen jemand sagt, dass er am Katschberg ist. Nein, nicht um Ski zu fahren – sondern zu laufen. Eben. Also auch im Sinne von "flach": Denn auch wenn es beim Laufcamp, zu dem die Macher von "Kärnten läuft" vergangenes Wochenende geladen hatten, dann natürlich schon auch ins Hügelige ging, hieß die Zielgruppe definitiv Hobby- und nicht Trail- oder Ultraläuferinnen.

Foto: Tom Rottenberg

Der Katschberg ist ein bisserl wie der Arlberg. Beide gibt es nicht. Nicht, wenn Sie nach so benamsten Gipfeln suchen. Das tut hier und heute inhaltlich nur insofern etwas zur Sache, als "Arlberg" ebenso eine Passhöhe definiert wie Katschberg: "Katschberghöhe" heißt es ja korrekt – aber diese "Höhe" ist eine Straße, die an der Grenze zwischen Kärnten und Salzburg auf etwa 1.640 Metern Seehöhe durch eine (de facto Hotel-)Siedlung führt. Im Winter geht es mit ein paar Liften auf über 2.000 Meter hinauf. Und im Sommer kann man wandern, reiten und (mittlerweile angeblich sogar legal) biken.

Foto: Tom Rottenberg

Laufen geht hier natürlich auch. Und zwar Trail- und Berglauf. Beides habe ich hier schon einige Male ausprobiert und erlebt – und auch darüber geschrieben. Zuletzt, als Michael Kummerer, der Erfinder von "Kärnten läuft", vor knapp einem Jahr hier den 20. Geburtstag seines Wörthersee-Lauffests feierte – und dabei en passant Höhentrainingslager am Katschberg ankündigte.

Die Auf-zu-auf-zu-Corona-Regelungen samt begleitender Lockdown-Verwirrungen und -Unsicherheiten ließen diesen Worten aber nie Taten folgen.

Die Frage, wen Kummerer genau hier heraufholen wollen würde, brachte ich damals nicht raus: Wer in der Früh von Wien (170 m) auf den Katschberg fährt und sich zu Mittag auf 1.600 Metern Laufschuhe anzieht, schnappt beim Einlaufen nach Luft – das war diesmal auch nicht anders. Schön ist es aber trotzdem.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich ändert diese Atemnot nicht das Geringste daran, dass es hammerschön ist, hier die touristische Infrastruktur hinter und unter sich zu lassen – und den Blick in und über die Berge zu genießen.

Erst recht, wenn eine versierte Kennerin der Region die Routen und Wege aussucht: Isabella Knoll, Ironman-Finisherin, Trail- und Bergläuferin – und nebenbei auch noch Herz, Hirn und Heinzelfrau-Einpersonentaskforce in mindestens eineinhalb der auch im Sommer geöffneten Hotels hier oben.

Ich vermute aufgrund dessen ja seit Jahren, dass es sich bei Knoll um – mindestens – Drillinge handelt. Sie dementiert das aber beharrlich.

(Im Bild: im ersten Schnee, Mitte September 2020)

Foto: Tom Rottenberg

Dass Isabella Knoll da lachend und locker bergauf springinkerlt, während der Wiener – aber auch Menschen, die zum Laufen über Fronleichnam aus Graz, Linz oder Kärnten hierhergekommen sind – längst schwer schnauft, ist nicht weiter überraschend. Und genau das stützt dann auch die Eingangsfrage des rennenden Wiener Anwalts, die eher eine These ist: Laufen für Normalos am Berg? Ist das nicht eher vertikal als sonst was?

Was – und, vor allem, wo – sollen "Normalos" in einem Skigebiet denn laufen?

Und vor allem: Kann man als Nicht-Hochlandbewohner hier wirklich mehrere Tage hintereinander so rennen, dass man danach nicht eine Woche Erholung braucht?

Foto: Tom Rottenberg

Kurze Antwort: Ja, das geht.

Sogar ganz ausgezeichnet. Weil der Berg, die Landschaft, ja nicht erst oberhalb der Baumgrenze beginnt. Und weil familienkompatible Wanderwege und auch das, was touristisch meist als "Moutainbikeroute" beworben wird, nur eher selten schroffe, exponierte Singletrails meint, sondern in der Regel komfortable "Forstautobahnen" beschreibt.

Güterwege also, die zwar durchaus wellig, mitunter auch ein bisserl anspruchsvoll bergauf und bergab führen, die aber für durchschnittlich fitte Personen weder zu Fuß noch am E-Bike unbewältigbar sind. Nicht nur, weil man den Gast weder frustrieren noch umbringen will, sondern auch, weil hier Gütertransport und Viehtrieb möglich sein müssen.

Foto: Tom Rottenberg

Was beim Wandern traditionell und zum Glück kaum jemanden abschreckt, macht beim Laufen dann aber vielen Angst.

Wo die Worte "Laufen" und "Berg" zusammenkommen, trauen sich sogar durchaus versierte und trainierte Hobbyläuferinnen und Hobbyläufer plötzlich nichts mehr zu.

So, als wären die 170 Kilometer und 10.000 Höhenmeter des UTMB (also des "Ultratrail de Mont Blanc") nicht der Gipfel, sondern die Grundvoraussetzung für Laufen im Gelände.

Verstehen muss man das nicht – akzeptieren wohl schon: Außer unserer Gruppe sah ich während der drei Fonleichnamstage am Katschberg exakt einen Läufer – aber Heerscharen von Wanderern, dutzende (E-)Radfahrerinnen und (E-)Radfahrer – und einen Trupp am Segway.

Foto: Tom Rottenberg

Auch wenn es niemand laut aussprach, hatten auch meine Gastgeber mit diesem Mindset zu kämpfen: "Kärnten läuft" gehört zu den "Großen" im Land. Neben dem legendären Wörthersee-Halbmarathon im August gehört unter anderen auch der Graz-Marathon zu Michael Kummerers Portfolio.

Dennoch – und obwohl der Laufworkshop ausdrücklich als jedermenschkompatibel kommuniziert worden war – wagte sich nur ein Dutzend Läuferinnen und Läufer zu diesem ersten Laufcamp am Berg.

Beim Vorstellen, beim ersten gemeinsamem Akklimatisationslauf, sah man in einigen Gesichtern fast ein bisserl Sorge: "Ich bin nur ein neugieriger Normalo – werde ich mich hier zwischen Freaks und Fachleuten nicht grenzenlos blamieren?"

Foto: Tom Rottenberg

Umso größer und umso glücklicher war das kollektive Aufatmen dann. Denn der Fokus und das Augenmerk von Birgit Kummerer und Florian Schipflinger, der Sportwissenschafterin (türkise Jacke) und dem Eliteläufer und Physiotherapeuten (in Schwarz), die das Camp leiteten, lag genau dort, wo es wirklich zählt: beim unarroganten, niederschwelligen Abholen des sprichwörtlichen "Läufers von nebenan" (und natürlich auch der Läuferin).

Foto: Tom Rottenberg

Hobbyathletinnen und Hobbyathleten also, die gern und durchaus auch intensiv laufen, die aber meist dennoch noch nie ein Wort von oder über Lauftechnik gehört haben. Wo auch? Menschen, die nicht wissen, was das Lauf-Abc ist. Was "Fahrtenspiel" bedeutet.

Wofür derlei gut sein könnte. Wieso es also sinnvoll ist, Distanzen, Intensitäten, Untergründe oder Tempi zu variieren. Wieso Yoga, Pilates, Core-Training, Dehnen und Co fürs Laufen so wichtig sind. Oder wieso man Laufschuhe nicht nach Farbe kauft. Ja, gerade wenn man nur ein- oder zweimal pro Woche eine Dreiviertelstunde "joggen" geht.

Foto: Tom Rottenberg

Das Kunststück, das Kummerer und Schipflinger da bravourös schafften, war und ist etwas, woran andere so oft scheitern. Die beiden brachten – durchaus intensiv dosiert – fachliche und wissenschaftliche Trainingskompetenz mit einem Augenzwinkern an den Mann und die Frau.

Vermittelten Menschen, die aus "einfach nur laufen" nur "ein bisserl mehr, aber keinen Leistungssport" machen wollten, professionelle Skills und Techniken. Und vergaßen dabei keine Sekunde, worum es im Breitensport einzig und alleine geht: um Freude und Spaß an der Bewegung.

Denn der Grat zwischen "fordern" und "überfordern" ist schmal. Und wo Lust einmal zu Frust geworden, ist der Weg zurück doppelt schwer – wenn nicht unmöglich.

Foto: Tom Rottenberg

Da bei Menschen, die einander zuvor nie gesehen haben, den richtigen Mix zu finden ist nicht leicht. Erst recht in der knappen Zeit eines solchen Camps: Wenn da am dritten Tag bei der Ausgabe der Test-Laufschuhe von Leuten gefachsimpelt wird, die zwei Tage zuvor nicht einmal den Namen des als Sponsor auftretenden Nicht-Mainstream-Herstellers kannten, hat sich etwas bewegt.

Und wenn Fragen zu Begleitübungen, zu Ernährung oder Trainingsplanung immer öfter nicht mehr mit "was", sondern mit "wie" beginnen, hat die Trainerin, hat der Trainer das Wichtigste richtig gemacht: die Neugier auf mehr entfacht nämlich.

Foto: Tom Rottenberg

Am deutlichsten sieht und spürt man das aber natürlich draußen. Unterwegs. Wenn im Gelände plötzlich auch die selbstbewusst strahlen, die anfangs sagten, sich noch nie vom Asphalt weggewagt zu haben.

Dass es diesmal nicht ganz hinauf, zu den Gipfelkreuzen (eigentlich: Bergstationen) des Katschbergs, ging, ist da nicht so wichtig. Denn das Ziel, oben, ist beim nächsten Mal ja auch noch da.

Aber statt der Unsicherheit und der Scheu, mehr als das Gewohnte zu versuchen, hat man dann etwas anderes im Gepäck: die Lust darauf, die eigene Komfortzone so bald wie möglich wieder zu verlassen. (Tom Rottenberg, 31.5.22)


Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Aufenthalt und Teilnahme beim Laufcamp am Katschberg waren eine Einladung von "Kärnten läuft" und dem Hotel Lärchenhof am Katschberg.


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