Im Jahr 2015 waren es die propagierten kostenlosen Smartphones für Geflüchtete aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und dem Irak. Gegen die Behauptung der "Handylüge" wurde von der Caritas sogar geklagt. Die NGO bekam recht. 2022 ist es – zumindest in Wien – das tatsächlich existierende kostenlose Parken für Schutzsuchende aus der Ukraine. Die Gemeinsamkeit: Die FPÖ nutzte beides als Aufhänger für eine Neiddebatte.

Foto: Andy Urban

Beim Parken manifestierte sich das unter anderem in Form eines Instagram-Videos der Stadtblauen. Darin zu sehen: Parteichef Dominik Nepp und viele Fotos von abgestellten SUVs der Marken Range Rover, Lamborghini oder Mercedes mit verpixeltem Kennzeichen. "Während jeder Wiener fürs Parken zahlen muss, sind das die armen Ukrainer, denen Bürgermeister Ludwig die Parkgebühren schenkt", sagte Nepp süffisant. Eine Argumentation, die sowohl vom Boulevard wie auch in einschlägigen Foren bereitwillig übernommen wurde.

965 Pickerlanträge

Diese Woche könnte die Empörung ihren vorläufigen Endpunkt finden. Ab Juni brauchen auch Autos mit ukrainischem Kennzeichen einen Parkschein oder ein Parkpickerl an der Windschutzscheibe. Letzteres kostet exklusive Gebühren zehn Euro pro Monat und kann von Ukrainerinnen und Ukrainern seit 9. Mai für ihren Wohnbezirk beantragt werden. Bisher sind 965 Anträge eingelangt, heißt es aus dem Büro von Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) auf STANDARD-Anfrage. Davon wurden lediglich 260 für den Mindestzeitraum von drei Monaten beantragt, der Rest für einen längeren Zeitraum. Grundsätzlich können Autos mit ukrainischem Kennzeichen ab Ankunft in Österreich ein Jahr ohne Ummeldung verwendet werden.

Die Parkgebührenausnahme galt ursprünglich nur bis Mitte März. Seither wurde sie zweimal verlängert. Eine Schonfrist für Strafen ist laut Simas Büro nicht angedacht: Die Änderung sei im Vorfeld breit kommuniziert worden, etwa mit Infoschreiben auf Deutsch und Ukrainisch an den Windschutzscheiben, heißt es.

17.012 SUV-Neuzulassungen

Wie viele Parkpickerlanträge speziell für SUVs gestellt wurden, ist nicht bekannt. Ebenso wenig, wie viele Autos von ukrainischen Geflüchteten insgesamt in Wien sind. Was es jedoch gibt, sind Zahlen der SUVs mit Wiener Kennzeichen. Und die sind im Kommen. Das zeigt eine Untersuchung des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ) auf Basis der Daten der Statistik Austria, die Anfang des Jahres veröffentlicht wurden. Konkret hat sich der Anteil der SUVs an den neu zugelassenen Autos im Zehnjahresvergleich seit dem Jahr 2010 von elf auf 36 Prozent im Jahr 2021 verdreifacht. Womit sogar Tirol (35 Prozent) knapp überholt wurde. Von den 46.682 im Vorjahr in Wien neu zugelassenen Pkws waren 17.012 SUVs oder Geländewagen.

Doch warum hat es Aufregerpotenzial, wenn auch ukrainische Schutzsuchende derartige Autos fahren bzw. diese gratis parken dürfen? Weil SUV-lenkende Geflüchtete nicht in eingeübte Bilder passen, erklären Experten. Bilder, die für die Aufnahmegesellschaft vonnutzen sind. "Im Hinblick auf Geflüchtete existiert stark die Idee von materieller Bedürftigkeit. Die Logik ist: Will jemand Unterstützung oder eine Ausnahme, muss diese Person bedürftig sein", sagt Clara Holzinger vom Institut für Soziologie an der Uni Wien. Geflüchtete mit großen Autos würden diese Vorstellung irritieren. Dieses Bild vom bedürftigen Flüchtling erfülle eine bestimmte Funktion, erläutert Michael Parzer, ebenfalls vom Institut für Soziologie. "Durch die Unterstellung von Bedürftigkeit wird eine Abhängigkeit von der Aufnahmegesellschaft konstruiert." Fahren Ukrainerinnen und Ukrainer SUVs, breche dieses Machtverhältnis zusammen.

Aus der Forschung sei zudem bekannt, dass Aufnahmegesellschaften dann am heftigsten reagieren, wenn Geflüchtete sozial ebenbürtig sind oder gar aufsteigen – und so den Platz verweigern, der ihnen eigentlich zugewiesen wurde. Der Effekt: "Es werden, wie jetzt durch die FPÖ, negative Klassifikationen und Vorurteile mobilisiert, um die angestrebte soziale Ordnung wiederherzustellen."

Stimmung kippt

Holzinger gibt zu bedenken, dass es der FPÖ bei der Parkgebührenausnahme weniger um die aufgewendeten Summen, sondern allem voran um die Symbolik gehe: "In der FPÖ-Logik will man diese Solidaritätsbekundung nicht." Das passt ins Stimmungsbild: Wie eine aktuelle Market-Umfrage für den STANDARD zeigt, ist Solidarität mit der Ukraine für die Österreicherinnen und Österreicher kein vordringliches Anliegen. Auf der Top-25-Liste der politischen Prioritäten rangiert dieses Thema mit einer Durchschnittsnote von 2,61 auf dem viertletzten Platz. Die ersten drei Ränge: Maßnahmen gegen die Inflation (1,59), Sicherung der Pensionen (1,66) und Verringerung der Abhängigkeit von Energieimporten (1,76).

Ein ähnliches Bild zeichnete eine Umfrage des Marktforschungsinstituts TQS Research & Consulting bereits Anfang Mai. Während zu Beginn des Angriffskriegs sich noch 74 Prozent von den Entwicklungen in der Ukraine emotional betroffen zeigten, flachte die Empathie 70 Tage später deutlich ab; genauso wie das Informationsbedürfnis der Befragten, die sich zu Kriegsbeginn teilweise noch mehrmals täglich auf den aktuellen Stand zu bringen versuchten. Anfang Mai gaben 65 Prozent an, dass sie die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine negativ betroffen machten. Während das Mitgefühl für Ukrainerinnen und Ukrainer zurückging, stieg die Sorge über die Auswirkungen des Krieges auf das eigene Leben – etwa spüre man persönlich Nachteile durch die gestiegenen Preise.

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Eine Ausnahme in Sachen Mobilität bleibt für Ukrainerinnen und Ukrainer aufrecht: Sie dürfen bis Ende Juni gratis die Wiener Linien nutzen, gab die Stadt am Montag bekannt – die entsprechende Sonderregelung wurde verlängert. Ganz friktionsfrei geht es aber auch hier nicht: Mobilitätsleistungen für ukrainische Geflüchtete könnten derzeit nicht über die Grundversorgung abgerechnet werden, teilt das Büro von Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) mit. Er verlangt vom Bund eine dauerhafte, für Österreich einheitliche Lösung. (Stefanie Rachbauer, Oona Kroisleitner, 31.5.2022)