Die Historikerin Eva Hallama und die Restauratorin Katrin Abromeit berichten im Gastblog über das aktuelle Forschungsprojekt "Sonime – Sonic Memories. Audio Letters in Times of Migration and Mobility".

In den 1950ern warb das Direktschallplatten-Label "Voice-O-Graph" mit der Aufforderung, das Briefeschreiben sein zu lassen und stattdessen eine Nachricht auf Schallplatte zu sprechen und als "voice letter" zu verschicken. Diese Kulturpraxis, die das Briefeschreiben überflüssig erscheinen ließ und auch von Schreibunkundigen praktiziert werden konnte, wird im aktuellen Forschungsprojekt "Sonime – Sonic Memories. Audio Letters in Times of Migration and Mobility" am Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und an der Österreichischen Mediathek untersucht.

Alles begann mit einer Wachswalze

Mit der Erfindung der Wachswalze und des Phonographen im Jahr 1878 wurde eine lang erträumte, bislang nur in Mythologie und Kunst ausgestaltete Phantasie zur realen technischen Möglichkeit: die Stimme vom Körper zu lösen und sie an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit wieder anzuhören. Als Verwendungsmöglichkeit schlug der Erfinder der Wachswalze, Thomas Alva Edison, dementsprechend schon Ende des 19. Jahrhunderts das Aufnehmen von Briefen und Diktaten vor und dachte erst im Weiteren an die Musikwiedergabe, das Erstellen eines akustischen Familienarchivs, Spielzeug, die Archivierung von Sprachen sowie das Speichern von Telefongesprächen.

Edison selbst versandte sein erstes "Postphonogramm" im Jahr 1888: Als Abspielgerät nutzte er seinen verbesserten Phonographen und zwei Wachswalzen, auf die er über einen Aufnahmetrichter einen Brief an seine Vertreter und eine Werbebotschaft für eine öffentliche Vorführung seiner Erfindung gesprochen hatte. Seither wurde über Möglichkeiten nachgedacht, die für den Postverkehr etwas unhandliche dreidimensionale Wachswalze, preisgünstig zu versenden. 1901 stellte die Phonographische Zeitschrift etwa die Erfindung eines Holzkästchens vor, das den Transport von kürzeren, für den Postweg besser geeigneten Walzen möglich machte.

Auf Wachszylinder, wie sie beispielsweise Bertha von Suttner besprach, hatte eine Nachricht von etwa zwei bis drei Minuten Platz. Sie konnten mehrmals abgeschliffen und erneut bespielt werden, verloren aber mit jedem Abspielen an Qualität. Außerdem konnten sich Amateure mit Hilfe von Gießformen und Mischrezepten ihre Walzen selber gießen. Preiswertere Produkte erlaubten zudem schon um die Jahrhundertwende breiteren Bevölkerungsschichten das Phonographieren. Zwar waren Wachswalzen bereits ein verbreitetes Unterhaltungs-, Aufnahme- und Kommunikationsmedium, dennoch sind heute nur noch wenige Walzen, die gesprochene Briefe und Privataufnahmen enthalten, in den Archiven zugänglich.

Platten passen besser ins Kuvert: Die Pathépost

Für den Postweg besser geeignet waren aber flache Platten. Eine Übergangsform zwischen den akustischen Wachswalzen und den elektrisch aufgenommenen Direktschnittplatten, die ab den 1930er Jahren den Markt eroberten, waren etwa die 1908 eingeführten Wachsscheiben der französischen Firma Pathé und das dazugehörige Abspielgerät: die "Pathépost". Mit einem Trichter konnte man Nachrichten auf die Platten sprechen, deren Pappkern mit einer synthetischen Wachsschicht beschichtet war, mit einem Kopfhörer konnte man sie anhören.

Da die Qualität von der Aufnahmetechnik abhängig war, gab die Gebrauchsanweisung genaue Hinweise: "Den Mund und die Nase in den Trichter halten, laut nebenstehender Fig[ur] u[nd] deutlich sprechen, ohne zu hasten und ohne den Kopf zu bewegen." Pathépostplatten waren doppelseitig bespiel- und in zwei Größen verfügbar. Die kleinere Platte mit elf Zentimeter Durchmesser hatte eine Aufnahmedauer von drei, die größere mit 14 Zentimeter von ungefähr fünf Minuten. Unmittelbar nach der Aufnahme sollten mit einem Pinsel die Wachsspäne beseitigt werden. Zwar gibt es eine Handvoll Rohlinge an Pathépostplatten in der Österreichischen Mediathek, nur eine einzige enthält aber geschnittene Rillen und somit eine akustische Aufnahme. Im Projekt "Sonic Memories" wird Restauratorin Katrin Abromeit von der ÖAW nicht nur das Material dieses historischen Tonträgers untersuchen, sondern darauf basierend Restaurierungsmaßnahmen entwickeln, die es erlauben, die Platte wieder abzuspielen.

Pathépost-Platte
Foto: Österreichische Mediathek, Hallama

Aufnahme mit Direktschnittplatten – beliebt beim Radio und im Privaten

Die Selbstaufnahmetechnik auf Schallplatte erfuhr ab den 1930er-Jahren große Beliebtheit. Vor allem im Rundfunk zum Mitschnitt von Live-Sendungen genutzt, hielt sie auch im privaten Bereich Einzug, und es etablierte sich ein Amateurinnen- und Amateurwesen. Die bei überlieferten Direktschnittplatten beobachtbare Materialvielfalt bildet das damalige Bestreben der herstellenden Firmen ab, eine funktionale Materialkombination zu entwickeln. Sie musste weich genug für den Schnitt mit einem Stichel bei der Aufnahme und gleichzeitig ausreichend hart für die Abtastnadel bei der Wiedergabe sein. Dafür wurden sowohl einschichtige Systeme aus weicheren Materialien wie Gelatine, Wachs, PVC und sogar Zink oder Aluminium als auch mehrschichtige Systeme aus stabilem Träger mit Beschichtung produziert.

Zahlreiche Ratgeber und Anleitungen zur Selbstaufnahme zeugen von der vermehrten Verbreitung. An Tourismus-Hotspots sowie in größeren Städten erfreuten sich Aufnahmestudios und Sprachboxen an öffentlichen Orten weltweit großer Beliebtheit, in denen man um wenig Geld seine Stimme aufnehmen und die geschnittene Platte im Briefumschlag mitnehmen konnte. Die gängigsten Systeme für den Sprechbrief in Österreich waren Melograph, Literaphon und Phonoson, die je nach Größe und Qualität die Aufnahme von ein bis vier Minuten erlaubten. Am erschwinglichsten davon war das Wiener Phonoson-Schneidesystem mit seinem Logo, auf dem eine Schallplatte im Briefkuvert um die Welt geht. Während einige Kritikerinnen und Kritiker die schlechte Qualität von Phonoson in Zeiten der elektrischen Aufzeichnung bemängelten, betonten andere, dass mit ein wenig Geschick auch damit passable Aufnahmen gemacht werden konnten. Aber auch die Firma Melograph, ebenso aus Wien, entwickelte einen erschwinglichen Rohling, mit dem nach dem akustischen Prinzip aufgenommen werden konnte.

Heritage Science am Phonogrammarchiv der ÖAW und an der Österreichischen Mediathek

Das Projekt "Sonime – Sonic Memories. Audio Letters in Times of Migration and Mobility" untersucht die Material- und Kulturgeschichte analoger Audiobriefe im Kontext von Migration und Mobilität und ihre Bedeutung als auditives Kulturerbe. Aus Mitteln des Heritage-Science-Austria-Förderprogramms der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) finanziert, wird es in Kooperation zwischen der Österreichischen Mediathek und dem Phonogrammarchiv der ÖAW durchgeführt. Erforscht werden die in den beiden Audioarchiven bereits vorhandenen Audiobriefe sowie Briefe, die sich in Privatbesitz befinden. (Eva Hallama, Katrin Abromeit, 1.6.2022)