Ebergassing – Drei Schritte sollen Kegler gehen, so steht es in den Lehrbüchern. Erster Schritt – Blick auf die Kugel. Zweiter Schritt – Blick auf die Kegel. Dritter Schritt – wieder zur Kugel. Dann nach unten beugen, die Kugel sanft auf die Bahn setzen und schwungvoll geradeaus schieben. Möglichst gerade und mittig, wenn noch alle Kegel dastehen. Sobald die Kugel die Hand verlassen hat, kann man nur noch zuschauen: Wie viele Kegel erwischt man? Ein zu stark abgewinkelter Finger oder eine leicht eingedrehte Hand können 22 Meter Bahn später darüber entscheiden, ob man alle neun umwirft oder nur einen. "Wenn ich nicht gut aufgewärmt bin, merke ich schon: Das wird heute nichts", sagt Johann Ackermann, sportlicher Leiter des Kegelklubs Ebergassing.


Walter Brezina, Karl Zajicek, Günther Sandtner und Johann Ackermann (von links): der harte Kegelkern in Ebergassing.
Foto: christian fischer

Seine Männer gehörten einmal zu den Besten der Region. Eine Zeitlang spielten sie sogar in der Landesliga. Doch Vereine wie den SKK Ebergassing stoßen irgendwann an eine Grenze. Um weiter aufsteigen zu können, bräuchte das Kegellokal der Truppe vier Bahnen. Das in Ebergassing hat nur zwei. So gut ihre Leute auch spielten – und sie spielten wirklich gut –, sie saßen in ihrer Liga fest. Und das hat die Ebergassinger ordentlich eingebremst.

Dennoch spielen sie noch und lassen den STANDARD auch gern zuschauen. Jeden Dienstag und jeden Freitag trifft sich der Klub zum Training. Um 17 Uhr beginnt der sportliche Teil, aber schon Stunden zuvor sitzt die Mannschaft an diesem Dienstag im Vereinslokal, trinkt und tratscht – vier von sechs aktiven Mitgliedern sind da. Karl Zajicek ist überhaupt schon seit Mittag vor Ort, er hat die Bahn geputzt.

"Man muss ein Vereinsmeier sein"

Der 77-Jährige ist eigentlich Wiener und fährt seit 20 Jahren an zwei Abenden pro Woche zum Kegeln nach Ebergassing. "Man muss ein bissl ein Vereinsmeier sein", um sich den Aufwand anzutun, sagt Zajicek, der bei Veranstaltungen Brote belegt, hinter der Budel steht, Kaffee, Bier und Limo einschenkt. Den Klub zu erhalten treibt ihn an. "Ob ich dann gut spiel’, ist nicht so wichtig."

Neun Kegel gilt es beim Kegeln umzuwerfen.
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Aber natürlich ist den Ebergassinger Keglern auch wichtig, dass sie nicht immer nur verlieren: Zuletzt ist der SKK Ebergassing freiwillig abgestiegen, von der A-Liga in die B-Liga, Region Niederösterreich-Süd. "Wir kegeln, weil wir eine Freud’ dran haben wollen. Da gehört ein Sieg oder ein Unentschieden dazu", sagt Zajicek. Aber das sei halt in der A-Liga immer seltener passiert. Sein Kollege Johann Ackermann ergänzt etwas pointierter: "Ich will nicht allerweil nach Wiener Neustadt oder Neunkirchen fahren und eine kassieren."

Gwirks mit den Bahnen

Aber was ist passiert, dass der einst so stolze Kegelklub Ebergassing nun in der zweitniedrigsten Liga Niederösterreichs spielen muss? Ein Faktor ist eben das Gwirks mit den Bahnen. Als der SKK in der A-Liga spielte, wurde das Regularium geändert: Vereine, die in der A- und in der Landesliga spielen wollten, brauchten von da an vier Bahnen. Für die Ebergassinger wurde zwar eine Ausnahme gemacht, weil sie schon in der A-Liga spielten. Aber klar war: Höher geht’s nicht mehr.

Die Gemeinde hat lange versucht, das zu ändern, schaute sich nach neuen Lokalen um, die mehr Platz hätten als das Volksheim. Der ehemalige Billa am Ortsrand wäre ideal für ein Sportzentrum gewesen, aber mit dem Eigentümer wurde sich der Bürgermeister nicht einig. Bis heute steht der frühere Supermarkt leer. Und bis heute gibt es in Ebergassing nur zwei Kegelbahnen.


Früher kehrten die Ebergassinger auch von schwierigen Wettkämpfen mit Pokalen heim.
Foto: christian fischer

Die Folge des Bahnendramas war Talentverlust. Ihre besten Spieler verloren die Ebergassinger an andere Vereine – solche mit vier Bahnen. Wenn man gut genug spielt, um immer weiter aufsteigen zu können, sei das ja logisch. Die Männer nehmen das den Ex-Kollegen nicht übel. Aber bitter ist es schon.

Der Rücken spielt nicht mehr mit

Natürlich spielt auch die Biologie eine Rolle. Fast alle aktiven Mitglieder des Kegelklubs sind weit jenseits der 60, nur Zajiceks Bruder Günther, "der Lehrbub", ist 57. Beim Kegeln muss man in die Knie gehen und sich bücken. Beide Bewegungen sind, Ausnahmen bestätigen die Regel, üblicherweise nicht die größte Stärke von Männern im Pensionsalter. Einer ihrer besten Spieler hat gerade erst aufgehört, erzählt Zajicek: Der Rücken spielt nicht mehr mit.

Solche Abgänge sind normal, aber die Kegler von Ebergassing haben das Problem: Es kommt niemand neuer nach. Und das, obwohl sich der Verein um Junge bemüht. In Kooperation mit der Volksschule konnten Kinder hier etwa das Kegeln ausprobieren, vielen habe es Spaß gemacht, geblieben ist aber keiner. "Die Zeiten haben sich geändert, leider", sagt Zajicek. Einer der Buben, die hier schnuppern waren, sei sogar wirklich gut gewesen, "aber dann holt ihn die Mutti ab und sagt: Er spielt eh schon Fußball, und Hausübung hat er auch." Das sei ja auch verständlich. Die streitbare These des Keglers: "In so einem kleinen Ort wie Ebergassing gibt es einfach zu viele Vereine."

Und die Frauen? Gemischte Teams wären erlaubt, aber in Ebergassing fehlen auch die Damen. "Leider, weil die täten wir brauchen", sagt Zajicek. Auch das sei früher anders gewesen, da kegelten einige mit.

Mehr Sport, als andere machen

Bis heute spielt der SKK gut, auf Platz vier steht er aktuell in seiner Gruppe. Aber der Niveauverlust im Vergleich zu den goldenen Zeiten schmerzt sehr. Warum sitzen die Männer immer noch hier? "Wir sind froh, dass wir uns noch bewegen können, überspitzt gesagt", sagt Sportchef Ackermann. Der wahre Kern des Schmähs: Der Sport tut den Männern gut. Zweimal wöchentlich schieben sie eine drei Kilo schwere Kugel die Bahn hinunter, und das üblicherweise 120-mal. Das ist mehr Bewegung als viele andere machen.

Der soziale Aspekt mache die Hälfte des Spaßes aus, sagen die Kegler – im Laufe des Abends stößt auch ein nicht mehr sportlich aktives Mitglied zur Runde.
Foto: christian fischer

Was beim Schmähführen und Radlertrinken vor dem Training aber auch klar wird: Da sitzen Freunde, die einander regelmäßig treffen und mögen. Sie planen ihre Wettkampfstrategien, stellen Veranstaltungen auf die Beine, organisieren ihren Verein. Sie erzählen aber auch Witze, tauschen Neuigkeiten aus und ziehen sich gegenseitig auf. Das mache die Hälfte des Spaßes aus, sind sich die vier einig.

Jetzt wird aber gekegelt. Erster Schritt, zweiter Schritt, dritter Schritt, Wurf. "Das ist unser Sport", sagt Ackermann. (Sebastian Fellner, 1.6.2022)